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83. Tagung für Naturheilkunde in München

Gesundheitspolitisches Referat von Ursula Hilpert-Mühlig bei der 83. Tagung für Naturheilkunde

Ursula Hilpert-Mühlig

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

den einzelnen Menschen mit seinen individuellen Gesundheiten zu betrachten und entsprechend zu fördern – diese personale Prävention, die der Naturheilkunde wesensimmanent ist, wurde ja bereits anschaulich vorgetragen.

Ergänzend möchte ich Gesundheitsförderung – im Sinne einer Verhältnisprävention – als gesellschaftspolitische Aufgabe thematisieren.

Wir Menschen leben und handeln in vielerlei Strukturen, die Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden nehmen. So ist es fürs Gesundbleiben durchaus von Bedeutung, wie gesund unsere Lebensbedingungen selbst sind, also unsere Umwelt, unsere Nahrungsmittel, unsere Wohnverhältnisse, unsere Arbeitsbedingungen.

Und ob wir ein langes und gesundes Leben führen können, wird entscheidend auch von unserem Sozialstatus mitbestimmt.

Denn Armut macht krank – auch in unserem Land! Laut epidemiologischer Studien des Robert-Koch-Instituts haben in Deutschland Menschen mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status im Vergleich zu gut Situierten eine deutlich verringerte Lebenserwartung.

Ein brisantes Thema – weist doch unsere Wohlstandsgesellschaft nach dem neuesten Armutsreport über 16% der Bevölkerung als arm aus; etwa ebenso viele sind an der unteren Einkommensgrenze angesiedelt.

Menschen aus ärmeren Bevölkerungsschichten sind in vielerlei Hinsicht einem gesundheitlichen Ungleichgewicht ausgesetzt, auch was den Zugang zu gesundheitserhaltenden Leistungen und hier insbesondere zu naturheilkundlichen anbelangt.

Sie können sich Naturheilkunde schlichtweg nicht leisten – nicht weil Heilpraktiker kein Bestandteil des Sozialversicherungssystems sind, sondern weil ein wesentlicher Teil natürlicher Heilmittel, nämlich alle Arzneien der besonderen Therapierichtung (also pflanzliche, homöopathische, anthroposophische) von einer Kassenerstattung ausgeschlossen sind – politisch gewollt.

Erlauben Sie mir einen Blick zurück ins Jahr 2004, als das Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz mit dieser unglückseligen Bestimmung geschaffen wurde:

Vergleicht man die damals verfügbaren biologischen Präparate mit der heutigen Bestandsliste, so sind die dramatischen Verluste bei Naturheilmitteln mehr als deutlich zu erkennen.
Denn in der Folge dieses Erstattungsausschlusses werden naturheilkundliche Arzneien weniger verordnet, da auch das „grüne Rezept“ des Arztes selbst bezahlt werden muss.

Und nicht wenige der meist mittelständischen Biopharmafirmen reduzieren wegen erheblicher Umsatzeinbrüche ihre Herstellung; und so verschwinden nicht nur Naturheilmittel und die pflanzliche Arzneienvielfalt, sondern auch das Wissen über ihre präventiven und therapeutischen Möglichkeiten und deren empirische Auswertung.
Das ist auch ein Verlust unseres Kulturerbes!

Im Gegenzug gibt es mehr (erstattungsfähige) chemische Präparate auf Rezept, oftmals mit Nebenwirkungen, die selbst Krankheitswert entwickeln und nicht selten in weitere Behandlung münden. Ich darf beispielhaft den nach wie vor hohen Antibiotikaeinsatz erwähnen – auch bei banalen Infekten –, der Mensch, Tier und Umwelt erheblich belastet.
Die Ausgrenzung der Naturarzneien ist schlichtweg kontraproduktiv: Sie treibt nicht nur die Kosten – die man eigentlich verringern wollte – hoch, sie schadet letztendlich auch der Volksgesundheit.

Zudem verfehlt sie das von der WHO formulierte Ziel, traditionelle Medizin in die nationalen Gesundheitssysteme „als angemessen“ zu integrieren und dafür die erforderlichen Programme einzurichten. Verbunden mit dem Appell, vor allem auch für die ärmere Bevölkerung „den Zugang und die Erschwinglichkeit“ von traditioneller Medizin zu verbessern; eben um Gesundheitsförderung bezahlbar und vor allem gerechter zu machen.

Und vergessen wir mit Blick auf Prävention als gesamtgesellschaftliches Anliegen nicht, dass pflanzliche Arzneimittel enorme Vorteile haben: Sie sind erneuerbar, umweltverträglich, artgerecht, kostengünstig, nebenwirkungsarm und biologisch wirksam.

Neben den gesundheitlichen Aspekten sind dies Charakteristika, die gerade in Zeiten wirtschaftlich angeschlagener Gesundheitssysteme und angesichts einer durch immer mehr chemische Substanzen belasteten Natur dringend Gehör finden sollten!

Wir appellieren seit Jahren an die politischen Entscheidungsträger, hier die Weichen anders zu stellen, und wir tun es auch jetzt wieder – getreu dem Naturgesetz: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“

Meine verehrten Damen und Herren,

da hochaktuell und für unseren Berufsstand von Bedeutung, möchte ich einen weiteren Aspekt aus dem Verantwortungsbereich der Gesellschaftspolitik herausgreifen.
Immer mehr Menschen, die Heilpraktiker als Behandler und Berater aufsuchen, geben eine Vielzahl von Belastungen aus ihrer Lebenswelt an, die ihre Zufriedenheit und ihr Wohlbefinden beeinträchtigen.
Zuvörderst sind das die Arbeitsbedingungen unserer Hochleistungsgesellschaft, die erhebliche Auswirkungen auf die psychisch-geistigen Ressourcen der Menschen haben.

Denken Sie an die ständige Verfügbarkeit mittels moderner Kommunikationsmedien, die Entgrenzung des Arbeitslebens ins Private. Hoher Zeitdruck und die daraus resultierende Arbeitsverdichtung sind heute in fast allen Berufen zu finden und lassen wenig Platz für Regeneration. Nicht ohne Grund steigt die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Störungen dramatisch an; inzwischen sind sie die häufigste Ursache von Berufs- und Erwerbsunfähigkeit.
Nun können wir in einer globalisierten Welt solche Bedingungen nicht zurückschrauben oder einfach abstellen. Aber wir können ihre krank machenden Aspekte erkennen und im Sinne einer salutogenetischen Orientierung Menschen helfen, trotzdem gesund zu bleiben.

Hierzu gibt es eine Reihe traditioneller Heilverfahren, die zur Entspannung und damit zu einer Stressbewältigung beitragen und die als Primärprävention – auch wissenschaftlich – anerkannt sind. Beispielhaft seien genannt fernöstliche Verfahren wie Tai-Chi und Yoga oder mental-körperliche Entspannungstechniken wie autogenes Training.

Von vielen Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern seit Jahren erfolgreich bei psychosomatischen Beschwerden, aber auch zur Vermeidung derselben eingesetzt.

Seit Jahren von den Krankenkassen bei entsprechendem Qualifikationsnachweis auch finanziell unterstützt. Und nun nicht mehr, da der Spitzenverband der GKV beschlossen hat, eine „Gesamtqualifikation“ vorzugeben, die sich zusammensetzt aus einem (bestimmten) Grundberuf und einer Zusatzausbildung in dem entsprechenden Präventionsverfahren.

Ist der Anbieter im Grundberuf „nur“ Heilpraktiker, dann reicht das nicht, obgleich etwa in der Gruppe der Entspannungsverfahren von einem „Gesundheitsberuf“ die Rede ist.

Nach Ansicht des Instituts der Krankenversicherer gehört der Heilpraktiker nicht zu den anerkennbaren Grundberufen und begründet dies mit dessen fehlender staatlicher Ausbildung.
Das führt dazu, dass Präventionsangebote durch Heilpraktiker trotz entsprechender Qualifikation nicht von den Krankenkassen anerkannt werden. Und es führt aktuell dazu, dass bisher von den Krankenkassen finanziell geförderte Kurse ihre Anerkennung verlieren.

Vor allem Letzteres beklagen davon betroffene Kolleginnen und Kollegen, da sie gegenüber anderen Anbietern benachteiligt werden. Und das umso mehr, wenn in der Liste der anerkannten Grundberufe etliche genannt sind, die mit Gesundheit wenig bis nichts zu tun haben. Da erscheinen etwa Sozialwissenschaftler im Handlungsfeld „Stressbewältigung“ geeigneter als ein Heilberuf. So richtig erschließt sich einem diese Logik nicht.

Die fehlende staatliche Ausbildung für den Heilpraktikerberuf wird regelhaft als Argument herangezogen, wenn es darum geht, dem Berufsstand generell eine Qualifikation abzusprechen.

Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass Heilpraktiker ein staatlich anerkannter Heilberuf ist. Die Zulassung zu dem Beruf erfordert umfangreiche medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten, die in einer entsprechend anspruchsvollen Überprüfung durch einen staatlichen ärztlichen Vertreter nachgewiesen werden müssen. Darüber hinaus sind Heilpraktiker auch rechtlich zu ständiger Fortbildung verpflichtet. Eine fehlende staatliche Ausbildungsvorschrift kann somit nicht gleichgesetzt werden mit fehlender „Grundqualifikation“.

Auf viel Unverständnis – nicht nur in der Heilpraktikerschaft – stößt diese generelle Ausgrenzung der Heilpraktiker deshalb auch bei Menschen, die vorsorgend etwas für ihre Gesundheit aktiv unternehmen wollen.

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung verbindet mit dem Heilpraktikerberuf natürliche Heilmittel und Angebote zu einer gesund erhaltenden Lebensweise. Dies belegen Umfragen anerkannter Meinungsforschungsinstitute, wie etwa das Allensbacher Institut, in eindrucksvoller Weise. So wenden sich die meisten der Befragten bei Themen zur Gesundheitsvorsorge und zu natürlicher Lebensweise an eine Heilpraktikerin oder einen Heilpraktiker. Unsere fachliche Kompetenz wird also von der Bevölkerung in einem hohen Maße geschätzt.
Und ausgerechnet Angehörige jener Berufsgruppe, die zu Themen der Gesunderhaltung eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung genießen, werden hier unisono bei der Anerkennung ausgeschlossen. Auch dann, wenn ihre Präventionsangebote qualitätsgesichert sind. Das ist weder der Kollegenschaft noch der interessierten Bevölkerung vermittelbar.

Die Bundesregierung hat nun ganz aktuell den Entwurf eines Präventionsgesetzes auf den Weg gebracht, und wir möchten, dass die Berufsgruppe der Heilpraktiker entsprechend Berücksichtigung findet.
Als Berufsverband haben wir uns bereits beim Bundesministerium für Gesundheit eingebracht, und wir tun dies auch auf Länderebene, wohl wissend, dass die Vertreter der Bundesländer beim Gesundheitswesen federführend mitentscheiden.

In Bayern wird unser Berufsstand als eine (ich zitiere) „unverzichtbare Versorgungssäule unseres Gesundheitssystems“ gesehen – eine fraktionsübergreifende Gemeinsamkeit der bayerischen Gesundheitspolitiker; und Bayern ist im Bundesrat selten um ein gewichtiges Wort verlegen.

Und so appelliere ich auch ganz besonders an Sie, verehrte Gäste aus der Politik, sich dafür einzusetzen, dass zuvörderst die nachweisbare fachliche Kompetenz über die Anerkennung von Präventionsleistungen entscheiden soll und nicht pauschale Diskriminierung.

Für vertiefende Gespräche stehe ich gerne zur Verfügung.

Ursula Hilpert-Mühlig

83. Tagung für Naturheilkunde in München - Bericht zur Eröffnung

Impulsreferat von Tina Haußer zum Tagungsthema Prävention

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Naturheilpraxis 12/2014