SPEZIAL

Befreite Füße

Barfußgehen als Option der Prävention und Therapie

Matthias Engel

Auf beiden Füße durch die Welt zu gehen scheint für die meisten Menschen die natürlichste Sache der Welt zu sein. Unsere Füße verrichten, trotz einer täglichen Gesamtbelastung von mehreren Tonnen pro Fuß, meist unbeachtet ihren Dienst. Oft werden sie folglich auch als „Stiefkinder des Körpers“ bezeichnet. Dabei ist der Fuß ein wahres Wunderwerk der Natur.


Bei jedem Schritt spielen an einem Fuß über 30 Muskeln, 100 Bänder und 26 Knochen, die insgesamt 33 Gelenke bilden, harmonisch zusammen. Allein in der funktionellen Anatomie zeigt sich anhand des spiralförmigen und keilartigen Aufbaus (vgl. Larsen, 2014) die perfekte Adaptation der Füße an den aufrechten Gang und die darauf basierende Bipedie (Zweifußgang). Doch diese Perfektion scheint trügerisch zu sein, denn Patienten mit Beschwerden der Füße sind in der Praxis täglich anzutreffen. Hierbei erstreckt sich das Spektrum des klinischen Bildes von dermatologischen über vaskuläre bis hin zu orthopädischen Befunden.

Vor allem orthopädische Erkrankungen der Füße können mehr oder weniger starke Symptome auslösen. Sie besitzen jedoch nicht immer eine fußbedingte Causa, sondern können mittels sogenannter absteigender Ketten sogar durch cephale Beschwerden, wie u.a. Seheinschränkungen oder Hörschädigungen, verursacht sein. Andererseits können Fußerkrankungen im Zuge von aufsteigenden Ketten wiederum Symptome wie Kieferfehlstellungen oder Dysfunktionen der Halswirbelsäule auslösen.

Ungeachtet der Ätiologie klagen 60 bis 75 Prozent (eine höhere Dunkelziffer wird vermutet) aller Erwachsenen in Deutschland mindestens einmal im Leben über Fußbeschwerden. Dies ist erschreckend, denn je nach Studie werden 90 bis 98 Prozent dieser Personen mit gesunden Füßen geboren. Allerdings besitzen die Füße inklusive ihrer Strukturen die Fähigkeit der Adaptation. So ist bereits in Längsschnittuntersuchungen über Zeiträume zwischen 10 und 20 Jahren die Anpassung des Fußes an die Lebensumstände der Probanden, vor allem aus biomechanischer Perspektive, gut nachzuvollziehen.

Gemäß dem Prinzip „function follows form“ sind zum Erhalt einer gesunden Fußform optimale Reize mit physiologischen Reaktionen essentiell. Dies bekräftigen auch Untersuchungen, laut denen Fußerkrankungen nur zu einem Drittel aus der Vererbung und zu zwei Dritteln aus den Angewohnheiten resultieren.

Zwei Angewohnheiten, welche eine schädigende Wirkung auf die Füße besitzen, sind der Gebrauch von falschem Schuhwerk sowie der Verzicht auf das Barfußgehen.

Letzteres soll nun folgend thematisiert werden.

Das Phänomen Barfußgehen ist sehr facettenreich und kann selbstverständlich nicht in seiner Ganzheit in einem Beitrag erfasst werden. Dementsprechend werden nun einige wichtige

Effekte des Barfußgehens auf die Gesundheit des Menschen in sieben Punkten zusammenfassend erläutert.

Punkt 1

Barfußgehen stärkt den aktiven und passiven Bewegungsapparat. Es kräftigt vor allem die Fußmuskulatur. Häufig berichten Patienten, die nach jahrelangem Schuhtragen mit dem Barfußgehen beginnen, über Muskelkater in der Fußbinnenmuskulatur und am Unterschenkel. Hier ist anzumerken, dass ein Anteil der Fußmuskulatur mit den Muskelbäuchen am Unterschenkel lokalisiert ist und nur über die Sehnen am Fuß ansetzt, wie u.a. der M. tibialis posterior, M. flexor hallucis longus, M. flexor digitorum longus und der M. peroneus longus (vgl. Tittel, 1994). Dies ist auch sinnvoll, da die Kraft eines Muskels neben anderen sekundären Faktoren primär durch seine Größe determiniert ist, und dafür bietet der Unterschenkel im Gegensatz zum Fuß einfach mehr Platz – was wiederum auf dem Prinzip des ökonomischen Körperaufbaus basiert.

Allein der Umstieg auf sogenannte Barfuß- bzw. Minimalschuhe, also Schuhe ohne Absatz bzw. Sprengung, mit fußkonformer Grundsohle und mit einem flachen sowie festen Fußbett, können Muskelkater verursachen. Daher ist eine patientenadäquate Belastungsdosierung an das Barfußgehen bzw. an derartiges Schuhwerk ratsam. Neben der Muskulatur werden beim Barfußgehen ebenso die Faszien und hier vor allem die Plantarfaszie trainiert. Dies ist im Hinblick auf häufig anzutreffende Krankheitsbilder des ...



Literatur
Bonacci, J., et al. (2012): Running in a minimalist and lightweight shoe is not the same as running barefoot: A biomechanical study. Br J Sports Med doi:10.1136/bjsports-2012-091837
Cavanagh, P. R. (1999): The foot as a sensory organ. Proceedings of the 17th Congress of the International Society of Biomechanics. Calgary
Dietz, V., Duysens, J. (2000): Significance of load receptor input during locomotion: A review. Gait and Posture 11, 102–110
Greb, P. (2014): Ballengang. Koha, Burgrain
Larsen, C. (2014): Füße in guten Händen. 3., aktualisierte Auflage. Thieme, Stuttgart
Lieberman, D. E., et al. (2010): Foot strike patterns and collision forces in habitually barefoot versus shod runners. Nature 463, 531-535
Lohrer, S., et al. (2008): Sohlenaktivierte Therapieschuhe – eine vergleichende Trainingsmittelanalyse. Sportverl Sportschad 22, 191-195
Luijpers, W. (2014): Die Heilkraft des Gehens. Goldmann, München
Ober, C., Sinatra, S., Zucker, M. (2010): Earthing – Heilendes Erden. VAK, Kirchzarten
Reinberg, B. (2011): BigFoot. RaBaKa-Publishing. Neuenkirchen
Runge, M. (2001): Osteoporose – Dogmen hinterfragt. Der Hausarzt 38, 26-32
Tittel, K. (1994): Beschreibende und funktionelle Anatomie des Menschen. Gustav Fischer, Stuttgart
Weineck, J. (2002): Sportbiologie. Spitta, Balingen.

Anschrift des Verfassers
Matthias Engel
Heilpraktiker, Sportwissenschaftler
Naturheilpraxis und Zentrum für Fußgesundheit
Asbacherstraße 17c
98574 Schmalkalden


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Naturheilpraxis 10/2015