SPEZIAL

Rechtsgeschichte des Heilpraktikerberufs

Teil 2

Christian Ullmann

Die „Ausübung der Heilkunde“ als Sammelbezeichnung der Tätigkeitsmerkmale einer Anzahl von medizinischen Berufen, aber auch als Rechtsbegriff, ist sehr alt. Im Königreich Bayern lässt sich der Begriff bereits in Anordnungen zum „Medicinalwesen“ des frühen 19. Jahrhunderts nachweisen. Danach sollte „die Ausübung eines Theils der medizinischen Wissenschaften“ erlaubnispflichtig, aber nicht an eine formale Ausbildung gebunden sein. Der Bewerber hatte in einer Prüfung „durch ermächtigte Stellen“ nachzuweisen, dass er jenen Teil der Heilkunde, den er auszuüben gedenke, „nach den dafür bestimmten Gesetzen genügend erlernt“ habe1.
Fortsetzung aus 8/2015


Die Aufhebung der Nachwuchssperre in den Bundesländern

Durch die Rechtsprechung der frühen Fünfzigerjahre über das Weiterbestehen des Heilpraktikergesetzes in grundgesetzkonformer Auslegung gerieten jedoch die für den Vollzug des Heilpraktikerrechts zuständigen Landesregierungen in Zugzwang. Sie konnten zwar die Nachwuchssperre nicht weiter aufrechterhalten – etwa indem sie keine Anträge auf Erlaubniserteilung bearbeiteten. Aber sie hatten gegen einzelne Bestimmungen des alten Heilpraktikerrechts weiter erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Eher als Übergangslösung bis zum Inkrafttreten des neuen Heilpraktikergesetzes veröffentlichten sie deshalb in rascher Folge „Bekanntmachungen“ über die Neuzulassung zum Beruf, die später als „Vollzugserlasse“ ihre dauerhafte Rechtswirksamkeit entfalteten.

Die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verfügten als Erste neue Verfahren zur Heilpraktikerzulassung, gefolgt vom Innenministerium des Freistaats Bayern, das am 10. Juli 1951 eine umfangreiche Regelung erließ.59 Dessen Staatsminister Wilhelm Hoegner formulierte darin zunächst das Dilemma, in dem er sein Ministerium sah.60 „Bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung“ – so Hoegner weiter – „gelten daher das Heilpraktikergesetz und seine Durchführungsverordnungen nach Maßgabe der vorstehenden Einschränkungen weiter.“ Deshalb werde „bei ihrer Anwendung … nach folgenden Grundsätzen verfahren“.

Als verwaltungsrechtliche Vollzugsanordnung von § 2 Abs. 1 Buchst. i) DVO zum HeilprG – und damit als wesentliche Normen für die Zulassung zum Beruf – enthielt dieser Erlass die Bestimmungen, dass „vor Entscheidung des Antrags (auf Erlaubnis) … sich der Antragsteller einer Überprüfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten zu unterziehen“ habe, die im Einklang mit der Verfassung stehe. Und weiter: „Die Überprüfung stellt keine Fachprüfung dar, sondern hat sich darauf zu erstrecken, durch geeignete Fragen festzustellen, ob der Antragsteller so viel heilkundliche Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, dass eine Ausübung durch ihn nicht zu einer Gefahr für die Volksgesundheit wird. Neben der Überprüfung der allgemeinen heilkundlichen Kenntnisse und Fähigkeiten ist besonderer Wert zu legen auf Kenntnisse der Seuchengesetze und der Vorschriften über die Anzeigepflicht gemeingefährlicher und übertragbarer Krankheiten und die Erscheinungsformen dieser Krankheiten.“61

Diese zentralen Zulassungsbedingungen wurden in alle Verwaltungsvorschriften für die Zulassung zum Heilpraktikerberuf der Bundesländer übernommen und haben bis heute – vielfach überarbeitet und ergänzt – unvermindert ihre Gültigkeit behalten, obwohl sie nur als vorübergehend intendiert waren. Es sind verfassungsrechtlich gesicherte Normen, die lange nach dem Niedergang des nationalsozialistischen Unrechtsstaats von demokratisch legitimierten Regierungen in Kraft gesetzt worden waren.

Die vollständige Überwindung der Zulassungssperre zum Beruf des Heilpraktikers dauerte somit etwa sechs Jahre und damit ebenso lange, wie das Heilpraktikergesetz im nationalsozialistischen Staat in Kraft war.

Damit haben wir eine knappe Übersicht über die historische Entwicklung des Heilpraktikerrechts bis zu einer verfassungskonformen Berufsregelung gegeben. Dessen ungeachtet unterlagen die einzelnen Rechtsnormen des Heilpraktikerrechts kontinuierlichen Überprüfungen und Interpretationen durch die Rechtsprechung, vornehmlich der Verwaltungsgerichte. Bevor wir uns diesen Detailproblemen zuwenden, sollen die einschlägigen Artikel des Grundgesetzes sowie das Heilpraktikergesetz und die 1. DVO zum HeilprG in ihren gültigen Fassungen eingefügt werden.

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Handwerkliche Mängel bei der Gesetzgebung

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Verfassungsrechtliche Auslegungen des Heilpraktikergesetzes

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„Ausübung der Heilkunde“ als Rechtsbegriff

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Berufsmäßigkeit als Bedingung der Erlaubnispflicht

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Anmerkungen
1 (aus Teil 1) Döllinger, Georg: Das Medicinalwesen in Bayern, die desfalls bestehenden Anstalten und die seit dem Jahre 1616 bis auf die neueste Zeit erlassenen, noch in Kraft bestehenden Anordnungen. Erlangen 1847, Verfügung vom 8. September 1808.
59 Az.: III 8–5067 a 10; veröffentlicht in: Moser, Carl: Die Nachwuchssperre auch in Bayern aufgehoben. In: Naturheilpraxis, Juli 1951
60 Danach seien das HeilprG und seine Durchführungsverordnungen „weder durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 noch durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 aufgehoben. Doch ist in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung davon auszugehen, dass wesentliche Bestimmungen dieses Gesetzes und der 1. DVO als nicht mehr verfassungsmäßig bezeichnet werden müssen und daher nicht mehr angewendet werden können.“
61 Ziffer 4 der Bekanntmachung
62 BVerfG, Urt. v. 10.05.1988–1 BvR 482/84=NJW 1988, 2290
63 BVerfG, Urt. v. 10.05.1988–1 BvR 482/84=NJW 1988, 2290
64 BVerwG, Urt. v. 11.11.1993–3 C 45/91=NJW 1994, S. 3024
65 BVerwG, Urt. v. 24.01.1957–IC 10.54=NJW 1957, 841
66 BVerfG, Urt. v. 10.05.1988–1 BvR 482/84=NJW 1988, 2290
67 BVerfG, Urt. v. 10.05.1988–1 BvR 482/84= NJW 1988, 2290
68 BGH, Urt. v. 5.12.1991–I ZR 11/90
69 BGH, Urt. v. 5.12.1991–I ZR 11/90
70 BGH, Urt. v. 5.12.1991–I ZR 11/90
71 BGH, Urt. v. 5.12.1991–I ZR 11/90
72 BGH, Urt. v. 5.12.1991–I ZR 11/90
73 Dieser lautet: „Ausübung des ärztlichen Berufes ist die Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung ‚Arzt‘ oder ‚Ärztin‘.“
74 Franz, Kurt/Hartl, Monika: „Doping“ durch den Arzt als „ärztliche Tätigkeit“. NJW 1988, S. 2277; auch Rieger, Hans-Jürgen: Lexikon des Arztrechts (Berlin/New York 1984): „Der Definitionsinhalt des § 1 Abs. 2 HeilprG gilt jedoch auch für die ärztliche Tätigkeit.“
75 Franz, Kurt/Hartl, Monika: a.a.O., S. 2278
76 BVerfG, Urt. v. 24.10.202, Az. 2 BvF 1/01
77 BVerfG, Urt. v. 24.10. 202, Az. 2 BvF 1/01
78 Im Zusammenhang von Ausübung von Heilkunde und Betrug.
79 BGH, Urt. v. 4. 11.1955–5 StR 421/55=NJW 1956
80 BGH, Urt. v. 4. 11.1955–5 StR 421/55=NJW 1956
81 BGH, Urt. v. 4. 11.1955–5 StR 421/55=NJW 1956
82 NJW 1957, 110 f.
83 BGH, Urt. v. 5. 12.1991–I ZR 11/90
84 BGH, Urt. v. 5.12.1991–I ZR 11/90
85 BGH, Urt. v. 5.12.1991–I ZR 11/90
86 VG München, Urt. v. 25.7.1984–M 1392 VII 84
87 Der Link zum Wortlaut dieses „Maßnahmenkatalogs“ ist mittlerweile erloschen. Ferner: Scientology bleibt weiter unter Beobachtung. Bayern fordert vom Bundesinnenminister die Einleitung eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens. In: Bayer. Staatszeitung, 15.11.2002
88 BVerfGE 7, 397 ff. und 50, 362
89 BVerfGE 7, 397
90 BVerfGE 7, 397 und 13, 106
91 Eine ausführliche Darstellung der Rechtsstellung der Geistheiler nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (Az.–1 BvR 784/03). In: Ullmann, Christian: Fakten über die „andere Medizin“ – Zur Kritik der Stiftung Warentest an den komplementären und alternativen Heilverfahren (CAM). Augsburg 2006

(Die ursprünglichen Fassungen mit Begründungen der späteren Änderungen des Heilpraktikergesetzes und der Ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz sind abgedruckt in: Ullmann, Christian: Das Recht des Heilpraktikers, München 1983, S. 17 ff.). In diesem Zusammenhang sei auf einen weiteren interessanten Artikel von Dr. Christian Ullmann hingewiesen: „In Medizinforschung ohne Patienten einsame Spitze“ Er steht auf der Internetseite der ANME und kann abgerufen werden unter
www.anme-ngo.eu/index.php/de/




Anschrift des Verfassers
Dr. Christian Ullmann
Baderfeld 26
86911 Dießen am Ammersee
E-Mail: christian.ullmann@yahoo.de



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Naturheilpraxis 9/2015