FACHFORUM

Arznei aus dem Totenreich – die Mumie

Ernst-Albert Meyer

Seit der Antike bis ins 17. Jahrhundert war die Mumie eine begehrte Arznei mit vielen Indikationen. Auch in der Volksmedizin waren z.B. Mumienharz oder -pulver sehr beliebt. Man glaubte nämlich, dass Tote noch eine Menge an unverbrauchter Lebensenergie in sich trügen, die man „therapeutisch“ nutzen könnte. Das galt besonders für Mumien.


Nach den religiösen Vorstellungen der alten Ägypter konnte die Seele eines Toten nur weiterleben, solange auch sein Körper erhalten blieb. Aus dieser Überzeugung heraus entwickelte sich im Ägypten der Pharaonen die Kunst der Einbalsamierung Verstorbener. Eine Tätigkeit, für die es eine eigene Berufsgruppe gab.

Ursprünglich waren es Priester, welche die Mumifizierung durchführten. Der weitgereiste Historiker Herodot (circa 484 bis 420 v.Chr.) lernte auf einer Ägyptenreise auch das Einbalsamieren kennen und beschreibt seine Durchführung. Dabei weist er darauf hin, dass die Ägypter preislich recht unterschiedliche Arten der Mumifizierung des Leichnams kennen.

Bei der teuersten Konservierung entfernt der Einbalsamierer zuerst mit einem krummen Eisen das Gehirn durch die Nasenlöcher aus dem Körper. Dann öffnet er mit einem scharfen Steinmesser die Bauchhöhle und entnimmt mit Ausnahme des Herzens die gesamten Eingeweide. Die inneren Organe werden mit Myrrhe und Natron vermischt und in reich geschmückte Urnen, die Kanopen, gefüllt. Sie gibt man später mit ins Grab. Der Einbalsamierer reinigt dann die Bauchhöhle und spült sie mit Palmenwein. Danach wird die Bauchhöhle mit reiner zerriebener Myrrhe, mit Cassiablättern und anderem Räucherwerk – auch Weihrauch – gefüllt und zugenäht.

Jetzt legt man die so präparierte Leiche für 70 Tage in Natron, welches das Fleisch auflöst und die Feuchtigkeit aus der Leiche zieht. Nach dieser Zeit wäscht der Einbalsamierer die Leiche und umwickelt sie nach einer komplizierten Wickeltechnik mit zahlreichen Binden aus feinem Leinen. Zum Abschluss wird die Leiche dick mit „Gummi“ bestrichen, was die dunkle Färbung der Mumien bedingt. Damit war die Mumifizierung beendet. Doch es war kein Gummi, wie Herodot meinte, sondern Asphalt (Bitumen), auch Erdpech, Judenpech oder Bergpech genannt. Eine dunkelbraune bis schwarze pechartige Masse, die in bestimmten Gesteinen, z.B. Ölschiefer, enthalten ist bzw. aus ihnen austritt.

Herodot schreibt abschließend: „Dann übernehmen wieder die Angehörigen die Leiche und machen einen hölzernen Sarg in Menschgestalt, legen die Leiche hinein und bewahren sie in der Grabkammer auf …“(1)

Mumien in der Paläopathologie

Es ist einleuchtend, dass die vielen gut erhaltenen Mumien ein stummes Zeugnis über die Krankheiten vergangener Tage ablegen. Die Paläopathologie, die Wissenschaft vom Studium der Krankheiten vergangener Zeiten, brachte Erstaunliches an den Tag. So wissen wir heute, dass im Ägypten der Pharaonen Blasen-, Nieren- und Gallensteine, die Wurmkrankheit Bilharziose, Gefäßkrankheiten (Arteriosklerose), Blinddarmentzündungen, Brusterkrankungen und zahlreiche Augenleiden auftraten. Der Rheumatismus war damals weitverbreitet, bei fast allen Mumienskeletten finden sich eindeutige Hinweise.

1939 gelang es, aus kleinen Stücken von Muskelgewebe die Blutgruppe von Ägyptern festzustellen, die vor 4000 Jahren verstorben waren. Häufig fanden die Wissenschaftler schwere Erkrankungen der Zähne, Kiefer und des Zahnfleisches. Gefürchtete Seuchen, wie z.B. Pest und Pocken, suchten auch schon das antike Ägypten heim. Ob Krebs damals schon auftrat, ist ungewiss. Lediglich an den Skeletten von drei Mumien aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. ließen sich Knochengeschwülste nachweisen.

Mumien als Arznei begehrt

Je unerklärlicher, unheimlicher und magischer etwas ist, desto mehr fühlt der Mensch sich davon angezogen. Das gilt auch für viele alte Heilmittel, die heute auf uns abstoßend oder sogar ekelerregend wirken. Doch bei der Verwendung von Mumien als Arznei kam noch ein weiterer Aspekt hinzu: Man glaubte, wie schon eingangs erwähnt, dass Tote – vor allem wenn sie durch Gewalteinwirkung gestorben waren – noch eine Menge an unverbrauchter Lebensenergie in sich trügen, die man „therapeutisch“ nutzen könnte. Das galt besonders für Mumien. ...

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Literatur
(1) Thorwald, J.: Macht und Geheimnis der frühen Ärzte. Kaiser Verlag, Klagenfurt 1962
(2) Toellner, R.: Illustrierte Geschichte der Medizin. Band 3, Andreas & Andreas Verlagsbuchhandel, Salzburg 1990

Anschrift des Verfassers
Ernst-Albert Meyer
Fachapotheker für Offizin-Pharmazie und Medizin-Journalist
Oldendorfer Straße 44
31840 Hessisch Oldendorf



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Naturheilpraxis 7/2015