FACHFORUM

Philosophie der Homöopathie

Klaus Binding

Wer die Homöopathie verstehen will, muss den Menschen verstehen. Mensch und Welt sind auseinandergefallene Schöpfung, sind nicht mehr ursprüngliche Einheit. Grundlage der Schöpfung sind die Elemente Wasser, Erde, Luft und Feuer, die vier Wesen. Das darüber hinausgehende fünfte Wesen ist der Mensch, die Quintessenz (quinta essentia: das fünfte Seiende, das Wichtigste…). Der Mensch trägt deshalb die gesamte Schöpfung in sich, als reales Element oder als Prinzip. So, wie alles Äußere im Menschen ebenfalls existiert, war der Mensch in einer früheren Entwicklungsphase auch äußerlich in der gesamten Schöpfung mit seinem Wesen in Allem anwesend und in Harmonie.


Tiefste Grundlage der Homöopathie ist die hermetische Philosophie des Hermes Trismegistos. Dieser „dreimal große Hermes“ war eingeweihter Priester in Ägypten und Verfasser der verschollenen „tabula smaragdina“, einer Weisheitsschrift bestehend aus fünfzehn Aussagen über das gesamte Dasein. Der zweite Weisheitssatz der smaragdenen Tafel beschreibt das Analogie-Prinzip: „Dasjenige, welches Unten ist, ist gleich demjenigen, welches Oben ist. Und dasjenige, welches Oben ist, ist gleich demjenigen, welches Unten, um zu vollbringen die Wunderwerke eines einzigen Dinges“. Dieser merkwürdig anmutende Satz wird vereinfacht wiedergegeben mit den Worten „wie oben, so unten“. Der Satz erklärt, dass auf geistiger wie auch auf materieller Ebene die gleichen Gesetzmäßigkeiten herrschen, wie im Himmel so auf Erden, Makrokosmos gleich Mikrokosmos. Da sich der menschlichen Wahrnehmung immer nur Teilbereiche der Wirklichkeit zeigen, kann mit dem Analogie-Gesetz von uns zugänglichen Bereichen auf uns unzugängliche, höhere Wirklichkeiten geschlossen werden. Paracelsus sagte: Haben wie im Äußeren verstanden was ein Gewitter ist, verstehen wir die Darmerkrankungen. Der Mensch wurde aus diesem Grund in früheren Zeiten auch die „kleine Welt“ genannt. Die gesetzmäßige Vergleichbarkeit von großer und kleiner Welt setzt voraus, dass beide Welten einer unbedingten Ordnung unterliegen, einen Kosmos darstellen, was übersetzt schlicht „Ordnung“ heißt. In einer Ordnung ist kein Platz für den Zufall. Nichts passiert im Kosmos zufällig, ebenso wenig im kleinen Kosmos Mensch. Hier stoßen naturwissenschaftlich-medizinisches Denken und Philosophie aufeinander. Die naturwissenschaftliche Medizin fragt nach dem WIE, und überlässt die Frage nach dem Sinn dem Zufall. Eine philosophisch-spirituell orientierte Medizin fragt nicht nur nach dem WIE, sondern auch nach dem WARUM. Therapie mit dieser Fragestellung ist über die Methodik hinaus auch immer lebendige Biographie-Arbeit, Arbeit am eigenen Schicksal. Die therapeutische Sinnfrage geht auf vorhippokratische Zeiten zurück, die Heilung immer als Aussöhnungsakt mit Gott und Welt und letztendlich mit sich selbst verstanden hat.

Wie in der exakten Naturwissenschaft kein Platz für Zufälliges ist, wird auch das menschliche Dasein von Gesetzmäßigkeit bestimmt. Der Zufall als eine unberechenbare, prinzipienlose Erscheinung würde jeden Kosmos in ein Chaos stürzen. Auch die Wissenschaft erklärt die Welt mit Gesetzmäßigkeiten, nimmt aber sofort den Zufall zur Hilfe, wenn es um biographische Fragen geht. Fällt ein Dachziegel zur Erde, so fällt er gesetzmäßig nach unten. Trifft dieser Ziegel den Kopf einer bestimmten Person, so geschieht das nicht zufällig, sondern ebenso gesetzmäßig. Weder Ort, Zeit, noch die Person unterliegen dem (nicht existenten) Zufalls-Prinzip. Niemand wird zufällig krank. Auch hinter Schicksals-Ereignissen stehen Gesetze, auch wenn diese schwer zu durchschauen sind. Steine fielen auch in Zeiten nach unten, in denen die Menschheit noch nichts vom Gravitationsgesetz wusste. Hahnemann nannte Symptome auch Zufälle, wobei er sich aber auf die ursprüngliche Wortbedeutung stützte: das, was uns gesetzmäßig zufällt, als Fallendes, von Oben kommendes Ereignis. Die höhere Gesetzmäßigkeit wechselt nur die Ebene. Krankheitsbilder entsprechen immer Seelenbildern. Paracelsus und Swedenborg sprachen vom Mikrokosmos Mensch, der das genaue Abbild des makrokosmischen Universums ist. Nichts ist im Außen zu finden, was nicht auch analog im Menschen zu finden ist – und umgekehrt. Aus diesem Grund war der Tempel von Delphi mit dem Weisheitssatz „Erkenne dich selbst, damit du Gott erkennst“, übertitelt.

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Anschrift des Verfassers:
Klaus Binding
Brenneckenbrück 5a
38518 Gifhorn
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www.praxis-fuer-homoeopathie-gifhorn.de

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Naturheilpraxis 2/2013