SPEZIAL

Geschichte der Heilkunde und des Heilpraktikerberufs

Teil 5: Neuzeit

Michael Schröder

Teil 4

Zuweilen erscheint es wichtig, auch an Bekanntes wieder einmal zu erinnern und vielleicht aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Die Geschichte der Heilkunde und der Heilpraktiker gehört zu den bekannten Themen. Jedoch in der Zeit wissenschaftlichen Denkens und Vorgehens, besonders auch in der „Gesundheitsversorgung“, scheint es geboten, an die Quellen zu erinnern, aus denen sich unser Kulturkreis diesbezüglich geschichtlich eigentlich gespeist hat. So hatten wir diese Artikelreihe im Juni diesen Jahres begonen. Heute wird sie mit dem 5. Teil zur Geschichte des 19. Jahrhunderts abgeschlossen.


Alles, was aus den Händen des Schöpfers kommt, ist gut; Alles entartet unter den Händen des Menschen. (Jean Jaques Rousseau 1712-1778) Dieser Satz der Zivilisationskritik wurde zwar ein Jahrhundert vorher geschrieben, entfaltete seine Wirkung als Leitspruch aber erst später; auf die Medizin bezogen, im frühen 19. Jahrhundert, als die Medizin sich, wie schon beschrieben, stärker zu einer technischen, naturwissenschaftlichen, mehr die Einzelaspekte des Körpers erforschenden Disziplin entwickelte. Dies bedingte eine Gegenbewegung: Schon Rousseau hatte die Einnahme von Arzneimitteln abgelehnt und Wasser und Bäder zur Kräftigung empfohlen. Im Zeitalter der Romantik kamen dann die Ablehnung des rein verstandesgemäßen Betrachtens der Welt und die Ablehnung der Mechanisierung hinzu. Der Philosoph Schelling wollte die Welt in ihrer Ganzheit erfassen: Der Geist in uns und die Natur außerhalb von uns seien absolut identisch. So geht die Naturheilkunde als Ganzheitsmedizin von einer untrennbaren Einheit von Körper und Seele aus, die sich gegenseitig beeinflussen und bestimmen. Deswegen ist die exakte Definition von Organkrankheiten wenig relevant. Die Krankheitssymptome sind mehr als Krank-­ heitssymptome, sie stellen gleichzeitig einen Heilungs- und Regulationsprozess dar, der nicht unterdrückt werden soll, sondern durch eine aktive Stärkung zum erfolgreichen Abschluss gebracht werden kann. Das Objekt der Heilung ist nicht die Krankheit selbst, sondern der ganze Organismus in seiner Lebenskraft. Letztlich geht es um das Heil des Menschen in seiner (Wieder-)einbindung in eine natürliche Lebensweise. Ähnlich wie bei Hippokrates macht der Arzt nicht gesund, sondern unterstützt nur (natura sanat, medicus curat). Die Naturheilkunde war, soziologisch gesehen, nicht nur eine andere Vorgehensweise als die Medizin, sondern eine Weltanschauung, eine Bewegung, getragen von vielen Menschen, die sich in Vereinen zu Hunderttausenden organisierten. Ihre führenden Behandler waren oft begabte Praktiker ohne schulmedizinische Ausbildung („Kurpfuscher“), zum Teil auch Ärzte (Lorenz Gleich in Bayern, der 1848 den Begriff Naturheilkunde prägte), Pfarrer wie Sebastian Kneipp und evangelische Pastoren wie Emanuel Felke. Viele Behandler gründeten keine Schulen, so wurde ihr Wirken vergessen. Als Beispiel für viele sei hier kurz der Schäfer Heinrich Ast (1848 bis 1921) aus Radbruch in der Lüneburger Heide beschrieben.

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Anschrift des Verfassers:
Michael Schröder
Heilpraktiker
Marienstr. 3a
83607 Holzkirchen
E-Mail: kontakt@prisma-seminare.de


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Naturheilpraxis 12/2012