SPEZIAL

Geschichte der Heilkunde und des Heilpraktikerberufs

Teil 2: Das alte Greichenland

Michael Schröder

Teil 1

Zuweilen erscheint es wichtig, auch an Bekanntes wieder einmal zu erinnern und vielleicht aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Die Geschichte der Heilkunde und der Heilpraktiker gehört zu den bekannten Themen. Jedoch in der Zeit wissenschaftlichen Denkens und Vorgehens, besonders auch in der „Gesundheitsversorgung“, scheint es geboten, an die Quellen zu erinnern, aus denen sich unser Kulturkreis diesbezüglich geschichtlich eigentlich gespeist hat.


Embryologie

Hippokrates (ca. 460 v. Chr. In Kos geboren) wird als der Begründer einer „rationalen“ Medizin des Abendlandes angesehen. Jeder kennt ihn als Verfasser des „hippokratischen Eids“, daneben gibt es noch ca. 70 weitere Schriften. Wahrscheinlich stammen nicht alle von ihm, das ist auch nicht so wichtig. Denn ob sie nun von ihm oder von seinen Schülern verfasst wurden, drückt sich in ihnen das Gedankengebäude einer medizinischen Schule aus. Diese hat stärker als andere Schulen magisch-religiöse Praktiken und religiöse Erklärungssysteme (Krankheit als Strafe der Götter) verworfen und sich stattdessen auf die genaue Beobachtungen von körperlichen Symptomen, vor allem akuter Krankheiten, und präzise Schlussfolgerungen konzentriert. Mehrere Werke der hippokratischen Schule widmen sich der Aufgabe, möglichst exakte Prognosen zu erstellen. Dafür braucht es nicht nur eine Eingangsdiagnose, sondern eine Prozessdiagnose, die die Weiterentwicklung der ursprünglichen Symptome zu interpretieren vermag. So gab es ein umfangreiches Wissen über rhythmische Abläufe der Krankheit, an welchen Tagen mit einer Krise zu rechnen ist und was die an den Krisentagen auftretenden Symptome anzeigen, um eine Verschlimmerung oder Besserung und entsprechende Veränderungen der Behandlung zu erkennen. Dagegen besitzt die heutige Schulmedizin keine Methoden, um individuelle Aussagen zu treffen. Das offizielle Wissen wird zwar „evidenzbasiert“ genannt, ist aber im Wesentlichen statistischer Natur und enthält nur Kenntnisse über Populationen. Dementsprechend ist die Beobachtung und Berücksichtigung rhythmischer Prozesse im Krankheitsverlauf weitgehend verloren gegangen. Schulmedizinische Therapie gibt ihre Medikamente wie selbstverständlich ohne Berücksichtigung rhythmischer Verläufe. Die Schulmedizin, die sich gerne auf Hippokrates beruft, hat nicht nur hier wichtige und hilfreiche Elemente der hippokratischen Medizin „vergessen“.

Hippokrates war Begründer der Säftelehre. Schleim, Galle, Blut und Wasser sind die Lebenssäfte, deren Entmischung (Dyskrasie) Erkrankung zur Folge hat. Dabei trug Vieles zur Erkrankung und zur Heilung bei, wie der Konstitutionstyp, das Wetter, die Jahreszeit, sogar die Lage der Stadt. Die angewandten Behandlungsmethoden waren eher milde: vor allem Anweisungen zur Lebensführung (Diätetik – das war viel umfassender gemeint als der heute verbliebene Begriff Diät erahnen lässt, es beinhaltet Licht und Luft, Arbeit und Ruhe, Schlafen und Wachen, Ausscheidungen und Absonderungen, positive Anregungen des Gemüts und natürlich Essen und Trinken), Klistiere, Massagen, Bäder, kaltes Wasser und natürlich pflanzliche Mittel. Auch Musik wurde zur Behandlung von Geistesstörungen angewendet.

Allerdings war die Konzentration auf das Körperliche mit einer Vernachlässigung der seelischen Komponenten verbunden. Auch als Behandler war der hippokratische Arzt zwar höflich und korrekt (das ist ja auch schon etwas), aber Empathie war kein besonderes Merkmal.

Die anatomischen Vorstellungen ließen zu wünschen übrig und fielen hinter die ägyptischen Kenntnisse zurück. Das erstaunt bei der gegebenen Konzentration auf das Körperliche, erklärt sich aber dadurch, dass anatomische Kenntnisse in Griechenland nicht am Menschen, sondern an Tieren gewonnen wurden.

Zum Abschluss ein Auszug aus dem Werk „Prognostikon“, das wahrscheinlich von Hippokrates selbst stammt (Kapitel 1.2.25):

»Es scheint mir das Beste zu sein, dass der Arzt sich um ein Vorhersehen bemüht; denn wenn er bei den Kranken die gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Gegebenheiten vorhererkennt und vorhersagt und wenn er alle Einzelheiten aufführt, welche die Patienten auslassen, dürfte man ihm wohl eher vertrauen, dass er den jeweiligen Zustand der Kranken erkennt, so dass die Menschen es wagen, sich dem Arzt anzuvertrauen. Und die Behandlung wird der wohl am zweckmäßigsten durchführen, der aufgrund der gegenwärtigen Zustände die zukünftigen im Voraus weiß. Denn es ist unmöglich, alle Kranken gesund zu machen; dies wäre nämlich noch besser, als die zukünftigen Gegebenheiten vorher zu erkennen.

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Der Beitrag wird fortgesetzt mit: Teil 3: Mittelalter und frühe Neuzeit

Anschrift des Verfassers:
Michael Schröder
Heilpraktiker
Marienstr. 3a
83607 Holzkirchen
kontakt@prisma-seminare.de

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Naturheilpraxis 8/2012