FACHFORUM

Der Ölbaum als die Kulturpflanze schlechthin

von Bernd Hertling

Die schmucke Göttin Athene ist heute jedermann geläufig, nicht zuletzt, weil die Hauptstadt des modernen Hellas nach ihr benannt ist – übrigens, eine Hauptstadt des „alten Hellas“ gab es nicht, war doch die Griechische Welt ein Kosmos aus unzählbaren Stadtstaaten, den Poleis, die sich nie zu einem Staatsgebilde „Griechenland“ zusammengeschlossen hätten, da jeder einzelne auf Autonomie und Autarkie schwor. Und auch die „megale Hellas“ – Großgriechenland, eine Gegend übrigens, die das heutige Sizilien, Kalabrien und Apulien umfasst, war nur ein geografischer, kein politischer Begriff. Von einer einheitlichen hellenischen Politik oder einer griechischen Nation konnte also nicht die Rede sein. Und auch die vielzitierte „Griechische Freiheit“ bestand nicht zuletzt in dem Recht, Krieg zu führen, mit wem man gerade wollte – meist eine andere Polis griechischer Zunge. Die schrecklichsten Gemetzel des Griechischen Altertums ereigneten sich auch nicht im Zuge der Perserkriege, sondern im Verlauf des Peloponnesischen Krieges, in dem sich Sparta und Athen mit ihren jeweiligen Verbündeten bekämpften. Wenn hier der blutige Ares voll auf seine Kosten kam, so geriet Athene, die unter anderem auch die Funktion der „Göttin des gerechten Krieges“ ausübte, eher ins Hintertreffen. Als solche wird sie in der Regel dargestellt, mit Helm und Schild, die Lanze stoßbereit erhoben, um den Hals ein seltsames zotteliges Fell, aus dessen Mitte den Gegenüber das scheußliche, versteinernde Medusenhaupt der Gorgo anstarrt. Doch wenden wir den Blick von diesem Petrifikationsautomaten an Athenes Habit lieber ab und uns besser ihren Aufgaben zu. Sie bilden nämlich ein weites Feld, galt sie doch auch als Athene ergane als Hüterin der Handwerkskunst, um nur ein Beispiel zu erwähnen. Sie erfand auch so etwas ihr wesenfremdes, wie den Aulos, die Doppelflöte, deren Spiel zu Ekstase und Raserei führt. Doch distanzierte sie sich davon, nicht zuletzt, weil sie sich beim Aulosspiel im Spiegel gesehen hatte.

“Ich seh’ ja aus, wie ein Blasengel, pfui Teufel!“, soll sie dazu gesagt haben, und schenkte sogleich das Instrument dem ohnehin schon ausreichend hässlichen Satyrn Marsias. Welche Folgen das haben sollte, werden wir später noch berichten. Athenes Hauptzuständigkeitsbereich jedoch war die Weisheit, die sie, portiönchenweise auch an ihr besonders nahestehende Sterbliche weiterzugeben bereit war. In dieser Eigenschaft dürfen wir sie uns denken, wenn von der eulenäugichten Athene, Athena glaukops1 die Rede ist und so meinte man von jeher, in Eulen besonders kluge Tiere sehen zu müssen. So wurde auch der Steinkauz, manche meinen auch es sei der Sperlingskauz, was durchaus sein kann, denn in rechten Größenverhältnissen werden sie selten abgebildet, zum Symboltier für Athene. Linné nahm in dieser Diskussion offen Part für den Steinkauz, den er in seiner Systematik des Tierreiches Athene noctua nannte. Die bekannte Wendung, „Eulen nach Athen tragen“ bedeutete zwar nicht gleich einen mit weisen Männern übersäten Platz 2 mit noch mehr Weisheit zu überfüttern, sondern spielte auf die Tatsache an, dass die Weisheit der Athene dem Stadtstaat im Herzen Attikas auch wirtschaftliche Prosperität bescherte. Schon in der Antike prangte Athenes Wappentier im Inspiz der Leitwährung des Attischen Seebundes, der Drachme, übrigens genau dieselbe Eule kann man heute auf der 1 € Münze Griechenlands bewundern unterzieht man diese Münze einer eingehenderen Betrachtung, kann man dort, neben der Eule, auch ein pflanzliches Gebilde finden: Den stilisierten Zweig eines Ölbaumes, als Symbol für den Reichtum Athens.

Wie der Ölbaum Eulen nach Athen brachte

1 Wörtlich: helläugig, blauäugig.
2 Solon, Sokrates, Platon und Aristoteles wirkten hier
3 Thalatta oder Thalassa = das Meer.
4 Unser Wort Öl stammt aus dem lateinischen oleum bzw. Vulgärlatein olium, das sich aus dem altgriechischen élaion ableitet. Ein Wort das wiederum auf eine vorindogermanische, mediterrane Sprache, die weitgehend verschollen ist, zurückgeht. Ist also, demnach, da der Ölanbau wohl eine vorindogermanische Errungenschaft darstellt, die ganze hier erzählte Geschichte nichts weiter als ein Märchen? Bereits Athenes Name verrät Sprachwissenschaftlern ihren Ursprung als Ägäische, vorindogermanische Göttin, Herrin der Bäume und Vögel. Dies findet sich auch in der figürlichen Darstellung als Athene polias, in Form eines waffenlosen Sitzbildes. Auch aufgrund zahlreicher Sagen, auf die wir hier nicht eingehen können, lässt sich der Schluss ziehen, dass sie von den indogermanischen Einwanderern adaptiert und als Athene promachos, Vorkämpferin so bewaffnet wurde, wie sie uns heute geläufig ist! Ihr riesiges, 12 m hohes, Gold-Elfenbeinstandbild aus Pheidias’ Werkstatt ist leider vollständig zerstört worden.
5 Athena polias
6 Etwa das Gebiet der heutigen Provence
7 Heute werden jährlich weltweit 2 Millionen Tonnen Olivenöl hergestellt, Italien ist Spitzenreiter, gefolgt von Spanien.

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Anschrift des Verfassers:
Bernd Hertling
Nettelkofener Str. 1
85567 Grafing

Vom Verfasser ist gerade ein sehr schönes Buch mit den Heilpflanzen im griechischen Mythos erschienen. Mehr Info



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