Blätter für klassische Homöopathie

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie

Mezereum und seine Anwendung in der heutigen homöopathischen Praxis

Von Gerd Aronowski

“Entschleierung der Wahrheit ist ohne Divergenz der Meinungen nicht denkbar, weil die Wahrheit nicht in ihrem ganzen Umfange und von Allen zugleich erkannt wird.”
Alexander von Humboldt

Alexander von Humboldt (1769-1859), Forschungsreisender und Naturwissenschaftler, war ein Zeitgenosse Hahnemanns. Obiger Ausspruch ist in vielerlei Hinsicht auch auf die Homöopathie übertragbar. In den 210 Jahren, in der die Idee des Ähnlichkeitsgesetzes in einer sehr umfassenden und systematischen Therapieform – der Homöopathie, Gestalt gefunden hat, haben sich nach und nach viele “Wahrheiten entschleiert”, und den größten Teil davon haben wir zweifelsfrei immer noch ihrem Begründer Samuel Hahnemann zu verdanken.

Auch an Divergenz der Meinungen hat es zu keiner Zeit in der Homöopathie gefehlt. Divergenzen, die daraus entstehen, dass das bisher als richtig Erkannte verschiedene Schlüsse zulässt, sind für jede Wissenschaft gewinnbringend, weil sie helfen, weiter zu denken. Mit den Divergenzen, die aufgrund von Unkenntnis bereits bekannter Tatsachen entstehen, verhält es sich jedoch etwas anders. Im günstigeren Falle machen sie uns auf Widersprüche aufmerksam und schaffen somit ein tieferes Verständnis auch der Grundlagen. Im ungünstigeren und leider nicht seltenen Fall entwickeln sich jedoch oft Strömungen, die mit der genuinen Homöopathie nicht mehr vereinbar sind.

Auch im Umgang mit der Materia medica stellt sich die Frage: Wo stehen wir eigentlich im Prozess der “Entschleierung” der Arzneiwirkungen sowohl am Gesunden als auch am Kranken? Zugegeben, eine rein hypothetische Frage, die der Neugier in uns erlaubt sein mag, wenn sie auch erst nach und nach in der Zukunft beantwortet werden wird.

Einige unserer “großen” Arzneien können wir als sehr gut geprüft ansehen und wir verfügen über eine enorme Erfahrung mit ihnen. Bei anderen Arzneien liegen uns nur sehr dürftige Prüfungen am Gesunden vor und auch die klinische Erfahrung lässt zu wünschen übrig. Wir können also durchaus erwarten, dass gerade bei den so genannten “kleinen” Arzneimitteln – eben denjenigen, die klein blieben, weil sie bisher weniger erforscht und angewandt wurden – nach und nach noch Mittelaspekte und somit Anwendungsbereiche zu Tage befördert werden, die sich uns bisher nicht erschlossen haben. Lac caninum ist neben anderen ein gutes Beispiel für das, was ich meine: In den ersten 150 Jahren der Homöopathie wurde diese Arznei überwiegend bei der Diphtherie und bei rheumatischen Krankheitsbildern eingesetzt, besonders dann, wenn der für das Mittel so berühmte Seitenwechsel zu Tage trat. Erst später wurden die wichtigen Gemütsaspekte der Arznei klarer, so dass sich daraus allmählich neue Anwendungsbereiche erschlossen. Mir ist diese Arznei in der Zwischenzeit bei bestimmten Formen der Depression und der psychischen Traumatisierung zu einem unverzichtbaren Werkzeug geworden.

Die Erforschung der Arzneikräfte sollte immer auf Beobachtung und Erfahrung gründen und nicht auf vagen Vermutungen, von denen wir uns allzu schnell verleiten lassen, weil sie uns doch so gut in unser psychologisches oder weltanschauliches Konzept passen. Letztere Gründe entspringen zu sehr unserem Bedürfnis, uns die Welt so zurecht zu machen, dass sie unserem Bild von ihr entspricht. Der “Wahrheit” nähern wir uns damit aber nicht, und so kommt es leider auch zu so mancher Verzerrung in unserer Materia medica.

Auch aus vorhomöopathischen Quellen und aus dem Wissen anderer Kulturkreise können wir in Bezug auf die Arzneikräfte einige interessante Hinweise für die von uns gebrauchten Arzneien erhalten. In der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung von 1842 (1) fand ich hierzu einen sich über mehrere Ausgaben erstreckenden Beitrag, aus dem Arabischen übersetzt, mit der Überschrift “Große Zusammenstellung über die Kräfte der bekannten einfachen Heil- und Nahrungsmittel, von Abu Mohamed Abdallah Ben Ahmed aus Malaga, bekannt unter dem Namen Ebn Baithar”.

1. Fall: Pruritus bei einer Patientin nach Gallencarcinom

2. Fall: Schmerzsyndrom eines hemiparetischen Patienten

3. Fall: Schwere Neurodermitis

4. Fall: Rezidivierende Ischialgien als Ausdruck einer rheumatischen Erkrankung

...

Literaturangaben:
Ben Ahmed, Abu Mohamed Abdallah: Große Zusammenstellung über die Kräfte der bekannten einfachen Heil- und Nahrungsmittel, in: AHZ, Bd. 21, Jahrgang 1942, Heft 10ff.
Dunham, Caroll: Taubheit durch Mezereum geheilt, in: AHZ, Bd. 69, Jahrgang 1864, Heft 9, S. 71.
Hahnemann, Samuel: Die Chronischen Krankheiten, Bd. 4, Heidelberg, Haug-Verlag, 1979.
Complete Repertory und Kentsches Repertorium, in: ComRep-Computersoftware (Franz Simbürger, Eching).

Hinweis der Redaktion:
In den Blättern für klassische Homöopathie (NHP 04/2003, S. 534 – 542) ist von dem selben Autor ein Artikel über Mezereum erschienen.
(1) Große Zusammenstellung über die Kräfte der bekannten einfachen Heil- und Nahrungsmittel, von Abu Mohamed Abdallah Ben Ahmed aus Malaga (AHZ Bd. 21, Jahrgang 1942, Heft 10ff.).
2) In: AHZ (1864), Bd. 69, Heft 9, S. 71.

Anschrift des Verfassers:
Gerd Aronowski
Uhlandstr. 8
78464 Konstanz



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