HINTERGRUND

Entwicklung der Bewegungssteuerung

von Hans Hanisch

Der Bewegungsapparat

Nicht nur der Säure-Basen-Haushalt oder die Homöostase haben einen Regelmechanismus. Auch der Bewegungsapparat wird weitgehend automatisch gesteuert. Wie diese Regelung vor sich geht und welche Auswirkungen physiologischer und pathologischer Art sich daraus ergeben, soll in einer Artikelserie erörtert werden.

Dabei finden neueste wissenschaftliche Arbeiten ebenso Beachtung wie traditionelle und neue naturheilkundliche Erfahrungen. Dabei soll vor allem der Hintergrund von physiologischen und pathologischen Vorgängen erörtert werden. Wirkungsvolle Therapieformen gibt es auf diesem Gebiet genügend. Daher liegt es nicht im Sinn des Autors, dieser Vielfalt eine neue Variante hinzuzufügen. Eher soll durch die Hintergrundüberlegungen eine Orientierung in dieser Vielfalt ermöglicht werden.

Besonders die ganzheitliche Betrachtung der Probleme steht im Vordergrund. Die unselige Trennung der Wissenschaften in Orthopädie und Neurologie wird dabei ebenso erkennbar, wie die Notwendigkeit, die Probleme in einer holistischen Betrachtung anzugehen.

Bewegungen laufen automatisch ab. Kein Mensch denkt darüber nach, ob er jetzt den M. quadriceps femoris anspannen soll, um die Stufe der Treppe hinaufzukommen. Er macht es einfach, nachdem er bewusst entschlossen hat, die Treppe hinaufzusteigen. Wie kommt der Mensch zu dieser Fähigkeit? Angeboren oder erlernt ist hier die Frage.

Offensichtlich kann sich das Kind schon im Mutterleib bewegen. Es strampelt fühlbar, wie auch nach der Geburt. Diese Bewegungen sind nicht zielgerichtet. Es handelt sich um einfache Beuge- und Streckbewegungen ohne Bezug zur Umwelt. Das Bewegungsziel ist nicht, sich in dieser Umwelt fortzubewegen oder die Umwelt zu verändern. Die erste zielstrebige Bewegung ist das Greifen. Hierbei nimmt der Säugling erstmals über Bewegungen Kontakt mit der Umwelt auf. Sinnesorgane empfangen Eindrücke aus der Umwelt. Das Greifen steigert sich zur Bewegung von Gegenständen – der Säugling verändert seine Umgebung. Die nächste Stufe ist das Krabbeln. Das Kind bewegt sich in seiner Umwelt.

Diese Stufen der Bewegungsentwicklung verlaufen parallel mit der Entwicklung der Sinneswahrnehmung. Zum ziellosen Strampeln sind keine nach außen gerichteten Sinne nötig. Erforderlich sind die Eigenreflexbögen mit der Propriozeption über Spannung und Länge der Muskeln. Mit dem Greifen werden weitere Sinne in die Bewegung integriert. Zunächst ist es der Tastsinn – Der Säugling umgreift etwas, was er in der Hand fühlt. Dann kommen mit dem gezielten Greifen nach Gegenständen das Sehen und der Lagesinn der Gelenke dazu. Die Orientierung im Raum muss entwickelt werden. Mit dem Krabbeln sind erstmals Bewegungen des ganzen Körpers miteinander zu koordinieren.

Die Sinne sind im Einzelnen schon sehr früh entwickelt. Man kann verschiedene Fremdreflexe beim Säugling auslösen, die auf funktionierenden Tastsinn (Saugreflex, Rückgradreflex, Greifreflex, Schreitreflex) und Gleichgewichtssinn (Umklammerungsreflex, Kopfhaltung) hindeuten. Die Reflexantwort ist immer komplex. Sie betrifft mehrere Muskelgruppen und beinhaltet teilweise eine relativ komplizierte Bewegung. Der Saugreflex z.B. führt zur Drehung des Kopfes und dem Saugen am auslösenden Objekt.

Die genannten Reflexe laufen auf der spinalen Ebene ab. Das Großhirn und die Pyramidenbahnen sind noch nicht entwickelt und können daher keinen Einfluss ausüben. Sie entsprechen den Fremdreflexen des Erwachsenen, der allerdings die frühkindlichen Reflexe mit der Reifung des ZNS verloren hat.

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Literatur:
(1) Walter Rapp: Einfluss von visuellem Feedback und interne Bewegungsprogrammierung bei Kontraktionen im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus, Dissertation, 2001, Universität Stuttgart
(2) Dirk Messerschmidt: Einfluss der Stimulation von Extensor-Gruppe-I-Afferenzen auf Stand- und Schwungphase des Gehens beim Menschen, Dissertation, 1999, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Breisgau
(3) Niethard/Pfeil: Orthopädie, 4. Ausgabe 2003, Thieme Verlag Stuttgart
(4) Kisner/Colby: Vom Griff zur Behandlung, 2. Auflage 2000, Thieme Verlag Stuttgart

Anschrift des Verfassers:
Hans Hanisch
Heilpraktiker
Wagenschwender Str. 15
74838 Limbach-Balsbach
E-Mail: HP.Hanisch@t-online.de



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