Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V.

Der Raum, den sich Patient und Akupunkteur teilen

Die Dynamik ihrer Beziehung und die Begriffe Empathie und Neutralität

von Elisa Rossi

Übersetzung: Claudia Skopalik
(Textrecherchen und Übersetzungen aus dem klassischen Chinesisch ins Italienische stammen von Laura Caretto)

Teil I

Das Setting des Arbeitsbereiches

Wie sollten wir uns verhalten? Wir sollten auf diese und andere mögliche Arten von Dynamiken achten, aber auch bestimmte nützliche Formalia in Betracht ziehen, um einen im weitesten Sinne des Wortes geeigneten Arbeitsbereich zu schaffen. Das Setting definiert den Arbeitsbereich und aufgrund der Tatsache, dass es ihn regelt und eingrenzt, kann sich die Therapie entfalten und unterstützt so den Prozess der Veränderung. Das Setting hat eine mentale Bedeutung und ist mit konkreten Aspekten ausgestattet. Es bildet den räumlichen und zeitlichen Rahmen, in dem der therapeutische Akt stattfinden kann. Rahmen sind Grenzen, die abgrenzen und begrenzen, die, wie jeder Maler sehr gut weiß, dem Gemälde Relief verleihen. Ein Rahmenmacher ist gut, wenn er ein Auge hat dafür, was der richtige Rahmen für ein bestimmtes Bild ist. Es ist ein „geistiger Raum“, der auf Empathie beruht, durchdrungen vom therapeutischen Bündnis, er verlangt Neutralität und hat konkrete Korrelationen in Bezug auf die Definition von Raum und Zeit, die sich in ihm manifestieren.

Therapeutisches Bündnis, Empathie und Neutralität

Um etwas gemeinsam zu tun, muss eine Vertrauensbeziehung zwischen den Personen hergestellt werden, eine gemeinsame Grundlage geschaffen und eine Arbeitsgemeinschaft gebildet werden. In jeder Therapie gibt es zumindest zwei Personen. Diese Personen treten miteinander in Beziehung, mit dem Ziel etwas Gutes zu erreichen, deshalb arbeiten sie zusammen, um eben den Zustand der Dinge, die zumindest einem von ihnen Un-Wohlsein bereiten, zu verändern.

Im Setting der Akupunktur ergibt sich eine extrem heikle Situation: „Ich komme mir vor wie ein Igel“ oder eine feinere Variante „Ich fühle mich wie der Heilige Sebastian“ pflegen Patienten zu sagen, um die Situation zu entschärfen oder sich selbst in dieser anormalen Situation zu schützen. Der innere Akt, sich jemandem auszuliefern, sich zu offenbaren, ist tatsächlich enorm. Er kann explizit werden, sich hinter Aussagen über die „Bosheit“ der Akupunkteure verstecken (der Akt des Nadelns sollte durchaus noch eingehender untersucht werden) oder sich hinter einer generellen Angst vor Nadeln verbergen. Sicher ist, dass es ein Akt ist, der die Kontinuität des Körpers durchbricht, in ihn eindringt und seltsame Empfindungen hervorruft, wobei keine fremde Substanz eingebracht wird, sodass er auf seine eigenen Ressourcen angewiesen ist. Ein derartiges Erlebnis ist, wenn nicht beunruhigend, zumindest mit ungewöhnlichen Nuancen ausgestattet.

In einer Beziehung geht die „empathische Komponente“ einen Schritt über Vertrauen und Gemeinschaft hinaus. Empathie ist „die Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle eines anderen in einer bestimmten Situation zu verstehen, zu fühlen und zu teilen.“ Die empathische Einstellung charakterisiert sich durch Verfügbarkeit, Aufmerksamkeit, Ernsthaftigkeit, Wärme, Akzeptanz, Interesse, Freundlichkeit, Sympathie und Unterstützung und jeder dieser Begriffe hat Gewicht und Bedeutung. Andererseits beinhaltet die Therapie neben Aspekten wie Sorge, Preisgabe und Übernehmen von Verantwortung, auch Aspekte von Loslösung, Trennung, Grenzen und Rückzug. Das Problem, das sich dann auch in nicht-analytischen Kreisen stellt, liegt darin, die Grenzlinie zu erkennen zwischen übermäßiger Nähe (Identifikation, Überschneidung, Verschmelzung, Unmöglichkeit einer Bewegung) und exzessiver Distanz (Unverständnis, Kälte, Gleichgültigkeit, Einsamkeit und wiederum die Unmöglichkeit einer Veränderung).

Rahmen und Grenzen

Die Worte des Arztes

Schlussfolgerung

Ein Beruf, der anstrebt, Krankheiten und Schmerz zu heilen, ist ein sehr schwieriger. Das gilt sogar im besonderen Maße für uns Akupunkteure, die wir auf der Energieebene arbeiten und dabei versuchen, uns von der „offiziellen“ Perspektive der Ärzte, deren therapeutischen Traditionen wir in der Tat nicht angehören, und den häufig komplexen Ansprüchen unserer Patienten loszulösen.

Innerhalb einer Behandlung gibt es Bereiche, die nicht durch rein medizinisches Wissen (Diagnose, Punktauswahl, Nadelinsertion) abgedeckt werden. Einen klaren Ausgangspunkt, aber auch einen Zielpunkt zu haben, heißt, nichts als erwiesen zu betrachten, sondern inne zu halten, dem Patienten zuzuhören, sich selbst zu spüren, gemeinsam mit anderen Kollegen nachzudenken. Ich wünschte, dieser Artikel möge ein Ausgangspunkt dafür sein, miteinander zu denken.

Anmerkungen zur Bibliographie

Ein „Klassiker“ wird als Referenztext von sämtlichen nachfolgenden Autoren benutzt, als Objekt von Zitaten, Kommentaren, Neuauflagen und Kompilationen und geht deshalb immer mit der Zeit, da er „Sinn“ schafft. Texte in der Originalsprache zu konsultieren entspringt der Notwendigkeit, tief in die Wurzeln des Denkens vorzustoßen, das als Schriftstück seine (ur)eigenste Ausdrucksform gewinnt.

Für die Übersetzung haben wir Kommentare desselben Textes aus verschiedenen Epochen konsultiert, die sich manchmal widersprachen und wurden mit der Notwendigkeit konfrontiert, permanent eine Auswahl zu treffen. Die Kriterien für die Wahl der Übersetzung sind weniger philologischer Natur gewesen, das hätte außerhalb unserer Sachkenntnis gelegen und wäre nicht das Ziel dieser Arbeit gewesen. Vielmehr waren es Kriterien der „Bedeutung“, d.h., innerhalb der großen Spannbreite möglicher Interpretationsebenen haben wir diejenigen Übersetzungen gewählt, die uns eine „sinnvollere“ Antwort für die Textinterpretation lieferte.

– Huangdi neijing cidian (Wörterbuch des Huangdi neijing), herausgegeben von Guo Aichun, Tianjin kexue jishu chubanshi, Tianjin 1991.
– Huanddi neijing suwen jiaozhu (Kritisch kommentierte Ausgabe des Huangdi neijing suwen), herausgegeben von Guo Aichun, Renmin weisheng chubanshi, Beijing 1992.
– Huangdi neijing lingshu jioazhu yuyi (Kritisch kommentierte Ausgabe des Huangdi neijing lingshu), Tianjin kexue jishu chubanshi, Tianjin 1989.
– Huangdi neijing suwen, Übersetzt und herausgegeben von Husson, Méridiens, Paris 1973.
– The Yello Emperor’s Classic of Medicine, herausgegeben von Ni Naoshing, Shambala Publications, Boston 1995.

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Weitere Texte der Autorin:
E. Rossi, Shen – Aspetti psichici nella medicina cinese: i classici e la clinica contemporanea. C.E.A., Milano, 2002.

Elisa Rossi wird am 2. und 3. Oktober im Rahmen der Fortbildungsveranstaltungen des Arbeitskreises West in der AGTCM ein Seminar zum Thema „Shen – Psychische Aspekte der chinesischen Medizin“ halten (Englisch mit deutscher Übersetzung).

Informationen und Anmeldungen:
AK West
Tel.: 0202 / 2 54 40 70
Fax:: 0202 / 2 54 40 71
E-Mail: info@abz-west.de



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