Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V.

Der Raum, den sich Patient und Akupunkteur teilen

Die Dynamik ihrer Beziehung und die Begriffe Empathie und Neutralität

von Elisa Rossi – Übersetzung: Claudia Skopalik

Die Textrecherchen und Übersetzungen aus dem klassischen Chinesisch ins Italienische stammen von Laura Caretto

Eine für uns unerwartete Frage des Patienten, ein Gefühl, das uns in Verlegenheit bringt, eine ungewöhnliche Geste, die sich vom normalen Ablauf der Sitzung abhebt, kann uns sehr nachdenklich machen und die Frage aufwerfen, warum unser Feingefühl blockiert wurde. Nun ist es keine Seltenheit, dass man einsehen muss, dass etwas nicht funktioniert hat, ganz unabhängig von der korrekten Diagnose und der Auswahl der Punkte. Hatten wir bereits viele Zweifel, als wir mit diesem Beruf begannen, so kommen mit der Erfahrung noch mehr hinzu. Die Erforschung der Medizinpraxis und ihrer Methoden spiegelt sich sehr stark in meiner Lebensgeschichte. Nach der Graduierung in Philosophie lernte ich Akupunktur an der Su Wen Schule (Van Nghi – Französische Schule), absolvierte 1983 ein dreimonatiges Praktikum in Beijing und schloss danach mein Medizinstudium in Mailand ab.

Bei meiner Arbeit bin ich mit der Tatsache konfrontiert worden – abgesehen von den wirklich „schwierigen“ Patienten – dass ich oft nicht wusste, was geschah, was die Person, die vor mir saß, tatsächlich von mir wollte. Meine persönliche Option war dann, eine klassische psychodynamische Ausbildung nach Jung (mit einigen weniger klassischen Versatzstücken) zu absolvieren. Mittlerweile habe ich mich auf Klinische Psychologie spezialisiert und bin als Psychotherapeutin zugelassen. Dennoch ist die Chinesische Medizin meine große Liebe geblieben und letztes Jahr war ich zum vierten Mal in China.

Je mehr ich mit Patienten, Kollegen und Schülern arbeite, desto größer ist mein Bedürfnis, den Gedanken über das, was sich im Behandlungszimmer ereignet, Raum zu geben. Die Regeln, denen wir in unserer täglichen Praxis folgen, stammen aus der Erfahrung, von unseren Mentoren und unserem eigenen Stil. Diese Normen bleiben zumeist implizit; es sind Gewohnheiten, denen keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde oder die nicht weiterentwickelt worden sind. Unser Ziel ist aufzuzeigen, wie jede Arbeitsmethode eine persönliche Wahl beinhaltet und Konsequenzen nach sich zieht und bewusst zu machen, dass wir uns mit bestimmten Methoden besser fühlen und diese unsere Behandlung wirkungsvoller machen. Dieser Artikel soll weder feste Regeln empfehlen, noch festschreiben, was korrekt ist. Jeder von uns hat seinen persönlichen Stil, dennoch lohnt es sich, über uns nachzudenken und uns infrage zu stellen – es ist eher eine Debatte denn eine feste Struktur, die uns dabei hilft, einige Situationen zu entschlüsseln.

Über diese offensichtliche, aber nicht einfache Suche nach der Wahrheit über uns selbst hinaus (unsere Persönlichkeitsstruktur und die Beweggründe unserer Berufswahl kennend, im Bewusstsein unsere Phantasien von Omnipotenz, unserer Faszination von Macht usw., die spezifischen Bedürfnisse unserer Patienten kennend und unsere schwarzen Löcher bewusst seiend und so fort) ist es wichtig, Methoden einer „guten Praxis“ zu folgen. Dieser Artikel ist der Ausgangspunkt für eine Diskussion über den Raum, in dem eine Akupunkturbehandlung erfolgt, ein Raum, der verschiedene Bereiche umfasst – ein geistiger und körperlicher Raum, eine Beziehung zwischen zwei Personen, ein Territorium definiert durch Zeit und Raum.

Sehr häufig bewegt sich der Patient, der vor uns sitzt, zwischen der psychischen und der somatischen Ebene. Die Fragen, die uns der Patient – abgesehen von den eingangs geäußerten Symptomen – oft stellt, sind Ausdruck seelischen Unbehagens. Das sind jene Fälle, in denen die Vorteile und Risiken, die aus dieser Beziehung erwachsen, besonders mächtig sind, aber jede klinischen Beziehung beinhaltet Dynamik.

Die chinesische Medizin

Die Nadeln und der Körper

Die Beziehung

Die Dynamik einer Beziehung – Übertragung

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