Zur Komplexhomöopathie

Ein Kommentar von Karl F. Liebau

Die Frage, ob man in der Homöopathie jeweils nur ein Mittel verordnen darf – oder besser sollte – ist so alt wie die Homöopathie selbst. Und seit dem wird über diese Frage heftig gestritten. Die einen berufen sich auf die reine Lehre – und haben damit recht und die anderen berufen sich auf den Erfolg in der Praxis – und haben damit ebenso recht, denn tatsächlich trifft zu, dass nichts so erfolgreich ist, wie der Erfolg.

Wie gesagt die Diskussion geht lange zurück.

1865 veröffentlichte Lutze den von Hahnemann bereits 1833 aufgestellten §274b, in dem dieser das Verabreichen von Doppelmitteln in zusammengesetzten komplizierten Krankheitsfällen als sinnvoll bezeichnete, wobei jedes der beiden passenden Mittel dem Krankheitsfall angemessen sein müsse „jedoch jedes von einer anderen Seite“, eine gedankenlose Mischung allerdings der „allöopathischen Vielmischerei gleichkommen würde.“

Wahrend diese Diskussion um die Doppelmittel sehr ideologisch geführt wurde, standen viele Homöopathen in ihrer praktischen Arbeit auch noch unter dem Einfluß des humoralpathologischen Denkens und verschrieben ihre homöopathischen Mittel sozusagen empirisch und aus der individuellen Beurteilung ihrer täglichen Praxis heraus.

So entdeckte der Heiler Soleri ganz durch Zufall die Wirkung homöopathischer Gemische. Er hatte nämlich einem Kranken mehrere Verreibungen mitgegeben, die dieser nacheinander nehmen sollte, was er aber nicht tat sondern alles zusammen „einwarf“. Schon nach wenigen Tagen meldete sich der Patient als geheilt zurück und stattete seinen Dank ab. Soleri arbeitete ab sofort nur noch mit Mischungen, erst individuell für jeden Patienten gemischt, aber daraus entstand dann ein System mit 26 unterschiedlichen Mischungen.

Von Belotti wurde dieses System übernommen und weiterentwickelt. Belottis Komplexmittel-System breitete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus. Auch der Schweizer Homöopath Clerc unterstützte dieses System und meinte, durch die gleichzeitige Gabe von verschiedenen Mitteln könnte viel Zeit und unnötiges Herumtappen gespart werden. Bei der Herstellung homöopathischer Komplexe hat auch die Kombinationsregel des Berner Pharmakologen Bürgi eine wichtige – wenn auch eher theoretisch-erklärende Rolle – gespielt, wonach zwei oder mehrere Arzneimittel mit gleicher Funktionsänderung aber verschiedenen Angriffspunkten sich in ihrer Wirkung potenzieren.

Ein großer Teil der Homöopathischen Komplexmittel, die sich heute auf dem Markt befinden und erfolgreich Anwendung finden, ist in irgendeiner Weise von Pastor Emanuel Felke beeinflusst worden.

Allerdings waren und sind auch Mischungen aus Einzelmitteln z.B. in der Spagyrik bekannt, deren Ideen aus der Zeit vor Felke entstammen oder sozusagen an dem Einflussbereich Felkes vorbei nach anderen Kriterien entwickelt wurden.

Da sind die Komplexmittel, die auf hervorragende Vorgänger wie Graf Cesare Mattei (Elektrohomöopathie) und Carl-Friedrich Zimpel zurückgingen. Der Name Zimpel steht noch heute im „Deutschen Homöopathischen Arzneibuch“ und die nach Zimpel hergestellten Mittel, die dieser durch die Central-Apotheke in Göppingen von Friedrich Mauch herstellen ließ, gibt es ebenfalls noch, nämlich von der aus der Centralapotheke Mauch hervorgegangenen Staufen Pharma.

Auch die ISO-Komplexheilweise fußt auf den Forschungen von Paracelsus, Hahnemann und dem Heilsystem der Elelktrohomöopathie Matteis.

Die Pentarkan-Reihe der DHU, die erst um 1950 entwickelt wurde, geht ebenfalls nicht auf Felke zurück. (Vgl. hierzu den Artikel „Die therapeutische Anwendung der organotropen Komplexmittel-Homöopathie“ von Claudia Röll-Bolz in dieser Ausgabe).

Allerdings geht ein großer Teil der heute auf dem Markt befindlichen Komplexhomöopathika – wie schon gesagt – direkt oder indirekt auf den Lehmpastor Emanuel Felke zurück.

Im Rahmen seiner gesamten Behandlungen und Kuren spielte die Homöopathie eine hervorragende Rolle. Er vereinigte unterschiedliche homöopathische Mittel zu Komplexen, die auf der humoralpathologischen Denkweise Felkes fußten und auf Entsprechungen verschiedener Krankheitstypen zielten. Seine Komplexmittel ließ Felke zunächst von der Firma Richard Mauch herstellen, die später mit Truw zusammenging. (dazu auch: „Regulationstherapie = Komplexhomöopathie“ von Karl Otto Franke in dieser Ausgabe).

Felke selbst, der unzählige Menschen erfolgreich behandelte, sorgte dadurch für eine rasante Verbreitung auch seiner Komplexhomöopathie. Darüber hinaus löste er durch die Begegnung mit anderen Menschen eine Begeisterung aus, die nicht selten dazu führte ihm nachzueifern in dieser erfolgreichen Heilweise.

Anfang des 20. Jahrhunderts suchte Magdalene Madaus Felke in Repelen auf wegen der Erkrankung ihres Sohnes und ihres eigenen schlechten Zustands. Die erfolgreiche Behandlung Felkes begeisterte sie und löste den Wunsch aus, als Schülerin Felkes dessen Heilsystem, in dessen Zentrum die Augendiagnose und die Komplexhomöopathie standen, näher kennenzulernen. Bald eröffnete sie eine eigene kleine Praxis und fügte der Felke-Therapie ihre eigenene Gedanken hinzu. So entstanden die ersten „Complexmittel Madaus“ und 1911 vefaßte sie ihr erstes Buch: „Arzneimittel-Lehre und praktisches Rezeptierhandbuch“. Jahre später wurden die Mittel in der von den Söhnen neugegründeten Firma Madaus & Co. mit geschütztem Warenzeichen als „Oligoplexe“ in den Handel gebracht. Magdalene Madaus gründete mit ihrer Tochter Eva Flink in den zwanziger Jahren eine Schule für Iridologen, und hielten in ganz Deutschland viele Vorträge. Ernst Hugo Kabisch, ein Schüler von Eva Flink, führte die Vermittlung dieser Lehre in Uslar fort und dort gibt es bis auf den heutigen Tag den Uslarer Kreis.

Apotheker Friedrich H. Pascoe, der Großvater des jetzigen Firmeninhabers Jürgen Pascoe, stellte in der Mellinghoffschen Apotheke in Mülheim/Ruhr Naturheilmittel her – in einer regen Zusammenarbeit mit Emanuel Felke u.a. auch dessen Rezepte für homöopathische Komplexmittel. Dies regte Friedrich Pascoe zu eigenen Forschungen und zur Entwicklung eigener Mittel an. 1919 gründete er das Unternehmen „Apotheke Friedrich Pascoe – Pharmazeutische Präparate“ in Gießen, wo er nach jahrelanger Entwicklungsarbeit ein gesamtes eigenes homöopathisches Komplexsystem herausbrachte, auf dessen Basis nach dem Krieg das „Similiaplex-System“ entstand, das also auf Felke zurückgeht, aber auch Gedanken von Zimpel und Matei und vor allen deren Erfahrungen mit einbezog. In einer eigenen wissenschaftlichen Abteilung wird geforscht und auch in der bekannten „Acta biologica“ publiziert. Mit der Weiterentwicklung des Similiaplexsystems nicht nur im Bereich der klinischen Homöopathie und Regulationsmedizin sondern auch in Verbindung mit der Konstitutionsdiagnose und –therapie sind Namen wie Schimmel und Herget verbunden. Unter dem Markenzeichen „Pascoe Naturmedizin“ wird nicht nur produziert sondern auch eine engagierte Forschung betrieben, um den Stellenwert der Naturmedizin in der Gesamtmedizin angemessen zu verbessern und um zu zeigen, dass sich z.B. Komplexhomöopathie und die Anforderungen einer Evidence Based Medicine nicht grundsätzlich ausschließen. (hierzu auch: „Wissenschaftliches Erkenntnismaterial zur Anwendung von Bryonia Similiaplex® bei Kindern“ von A. Wartenberg-Demand in dieser Ausgabe)

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