BLÄTTER FÜR KLASSISCHE HOMÖOPATHIE

Bericht über den 5. Therapeuten-gesprächskreis der DGKH vom 25. bis 27. Juni 1999

von Renate Schweyen-Ott


Zur diesjährigen Veranstaltung in Moos am Bodensee hatte man den Morbus Perthes zum Schwerpunktthema gewählt.

Gabriele Kitzing (Jüchen) leistete dazu den 1.Beitrag mit dem Titel Die andere Möglichkeit der Behandlung von Morbus Perthes - einer aseptischen Knochennekrose des Hüftgelenks. Die Referentin leitete die Besprechung ihrer Behandlung eines an diesem Leiden erkrankten Kindes mit einem historischen Überblick über diesen Krankheitsprozess ein. Man spricht hier auch von der Perthes-Calvé-Legg-Krankheit, benannt nach dem Tübinger Chirurgen Georg Perthes (1869-1927), dem französischen Orthopäden Jacques Calvé (1875-1954) und dem amerikanischen Chirurgen Arthur Legg (1874-1939), oder - im Fachjargon - von der osteochondropathia deformans coxae iuvenilis, einer beid- oder einseitig im Bereich der Femurkopfepiphyse auftretenden Form der aseptischen Knochennekrosen.

Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde dieses Leiden noch als Skelett-Tuberkulose behandelt.

Der Morbus Perthes befällt vor allem Jungen im Alter von etwa 5 bis 12 Jahren. Zwar wird eine erbliche Disposition diskutiert, doch seine Ätiologie ist nach wie vor ungeklärt, so dass es praktisch nur eine deskriptive Darstellung der Zerfallsprozesse im Femurkopfepiphysenkern und seiner Umgebungsstrukturen gibt. Es existiert dafür etwa auch die Hypothese einer Minderversorgung des Hüftgelenks mit Blut. Grundlegende Erkenntnisse gewannen dann um das Jahr 1909 die bereits erwähnten Ärzte Calvé, Legg, Perthes und der Schwede Waldenström z.T. unabhängig voneinander. Diese juvenile Hüftgelenksnekrose (oder ideopathische kindliche Hüftgelenksnekrose, um die Reihe der Synonyma für ein und dasselbe Leiden zu vervollständigen) stellt sich als gesetzmäßig verlaufender epiphysärer Prozess dar, der sich über Jahre hinzieht, und dessen schulmedizinisches Ergebnis sozusagen "schicksalsergeben" hingenommen werden muss.

Anhand einer Schemazeichnung wurden die anatomische Morphologie und die Wachstumszonen des Hüftgelenks (Pfanne, Kopf, Epiphysenfuge) dargestellt. Die pathologische Morphologie lässt sich zusammenfassend kennzeichnen durch folgende wesentliche Parameter: Entrundung des Femurkopfes bei ihr in etwa angepasster Gelenkpfanne, vorzeitiger Epiphysenfugenschluss und dabei verkürztes Bein, Dezentrierung des Hüftkopfes, der dann nicht mehr in die Pfanne passt, Deformierung mit arthrotischer Veränderung, Verbreiterung des Schenkelhalses. Röntgenologisch lassen sich 4 Stadien festmachen:

1. Initialstadium: Gelenkspalt und mitunter Epiphysenlinie verbreitert;
2. Stadium der strukturellen Unruhe: Kondensation und Fragmentation; hier kommt es zu einem massiven Abbau des Knochens, der sich über etwa 1 1/2 bis 2 Jahre hinzieht;
3. Stadium der strukturellen Beruhigung, wobei es zu Wiederaufbau und vor allem Umbau kommt, also insgesamt zu einer Strukturveränderung,
4. Endstadium, in dem entweder eine spontane komplette Ausheilung erfolgen kann, oder eine neue, aber pathologische Kongruenz von Pfanne und Kopf oder eine Inkongruenz beider Strukturen.
(Vgl. die nebenstehenden Röntgenbilder)

An diesem Punkt entscheidet sich das Ausmaß der Auswirkung auf die Lebensqualität der kleinen Patienten.

Die Entwicklung des Mb. Perthes wird nach der sog. Catterall-Klassifikation dargestellt.

Catterall unterscheidet 4 pathologische Subtypen des Ausmaßes des epiphysär-nekrotischen Befalls, die Auskunft über den weiteren Verlauf der Krankheit geben:

I. Ist der obere oder laterale Bereich der Epiphyse betroffen, ist die Prognose gut und der Prozess heilt wahrscheinlich folgenlos aus.

II. Ist der nekrotische Bereich weiter ausgedehnt und manifestieren sich zystische Veränderungen im Schenkelhals- Metaphysenbereich, jedoch bei erhaltener Kopfform, ist die Prognose noch relativ gut.

III. Erweist sich das betroffene Areal von Epi- und Metaphyse als noch größer, aber bei noch gesunden lateralen Gewebszonen, ist die Prognose nicht mehr ganz so gut.

IV. Hat die Epiphyse durch den nekrotischen Prozess ihre Form verloren, d.h. ist sie abgeflacht, so ist die Prognose sehr schlecht, und es ist mit Defekten zu rechnen.

Die Perthes-Krankheit lässt auch ein spezifisches Geschlechts- und Altersprofil erkennen. Jungen erkranken etwa 3-5x häufiger als Mädchen, der Altersgipfel liegt zwischen dem 5. und 6. Lebensjahr; beide Hüftgelenke sind gleich häufig betroffen, wobei es in 5-18% der Fälle zu einem doppelseitigen Befall kommt. Dieses Leiden befällt vor allem die weiße Rasse; aber auch Hunde können die Krankheit haben.

Von Interesse sind auch die bei Perthes gegebenenfalls auftretenden Missbildungen und Dysplasien, wie etwa Lippenspalte, Kryptorchismus (weder sicht- noch tastbarer Hoden), Hypospadie (untere Harnröhrenspalte), Nierenerkrankungen, Pylorusstenose, angeborene Herzerkrankung sowie Taubheit, Verkürzung und Verdoppelung einzelner Phalangen, Strabismus, stenosierender ductus nasolacrimalis, Hämophilie u.a.m. - also wertvolle Hinweise für den Homöopathen auf ein syphilitisches Miasma.

Der Mb. Perthes beginnt unbemerkt und schleichend. Die Kinder klagen meist über Schmerzen im Knie, es kommt dadurch zu Schonhinken, das sich nach körperlicher Belastung verstärkt.

Das Ziel der schulmedizinischen Therapie ist es, die anatomische Form möglichst zu erhalten. Man unterscheidet eine konservative und eine moderne operative Therapie. Die konservative Therapie zielt auf Entlastung: die kleinen Patienten sind meist über 2-3 Jahre lang an Schienen (sog. Thomasschiene), Teleskopgipsverband und Apparate gebunden, was schrecklich für diese Kinder ist; der Erfolg wird mit 24-91% angegeben, eine Bandbreite also, die mehr nach Zufallsprinzip aussieht als nach einigermaßen verläßlichen Daten. So meint etwa ein namhafter Orthopäde, dass es nicht erwiesen sei, dass die Krankheit mit der heute vielfach angewandten Thomasschiene (ein Schienen-Schellenapparat mit Tuberaufsitz zur Entlastung der Hüftkopfepiphyse) besser ausheilt. Die Entlastung könne die Deformierung des Hüftgelenks nicht verhindern! Die moderne Therapie besteht im sog. containment; hier handelt es sich um die Zentrierung des Hüftkopfes unter die Pfanne, wobei die Hüfte abgespreizt, gebeugt und innengedreht wird. Containment kann auch operativ erfolgen im Rahmen der sog. Extensions-Derotations-Varisierungs- (EDV) Operation. Auch hierbei ist kein gesicherter Erfolg zu verzeichnen. Die zurückbleibende Beinlängendifferenz ist dann irreparabel. Bei einer weiteren Operation, der Beckenosteotomie, wird ein Stück vom Beckenknochen in die Gelenkpfanne eingesetzt.

Die Referentin wies darauf hin, dass die Patienten, bzw. die Eltern, möglichst mehrere Experten konsultieren sollten, die oft unterschiedliche Ansichten hätten. Homöopathisch betrachtet ist der Mb. Perthes - so Kitzing - Ausdruck einer hereditären Syphilis, "das ganze Kind ist krank bis auf die Knochen". Es liegt - familienanamnestisch betrachtet - eine mehrmiasmatische, d.h. chronische, Belastung vor, die eine mehrere Jahre umfassende homöopathische Behandlung mit mehreren antimiasmatischen Mitteln notwendig macht. Die Krankheit durchlaufe alle Stadien, ihr Verlauf könne aber abgekürzt und gemildert werden. Die Lebensqualität normalisiere sich sehr schnell, indem die subjektiven Symptome rasch zurückgingen. Die Referentin schilderte sehr engagiert und nachvollziehbar ein Perthes-Geschehen der Catterall-Klassifikation III-IV aus eigener Praxis, das an dieser Stelle wegen Differenzen mit den Eltern des Kindes leider nicht näher in seinem homöopathisch interessanten Werdegang dargestellt werden darf. So viel sei gesagt: Die ärztlicherseits empfohlene Varisationsoperation einschließlich Adduktorentendo- und Flexionsosteotomie konnte verhindert werden. Das in diesem Fall zunächst notwendig gewordene Polychrest war Sulfur, das 1 Jahr lang, 1x pro Woche in der 18.LM, (1gtt./1Glas Wasser) gegeben wurde, woraufhin es zu einer raschen Schmerzbefreiung kam, so dass Entlastungsmethoden (wie etwa Rollstuhl oder die Treppen hochgetragen werden) bald eingestellt werden konnten und z.B. Fußballspielen von seiten der Klinik wieder erlaubt wurde. Sogar die Füße begannen wieder zu wachsen. Ein zwischenzeitlicher Infekt der Atemwege des Kindes erforderte Phosphorus 6.LM (tägl. Einnahme), der auch zur Ausheilung der akuten Episode führte. Eine spätere grundlegende Veränderung im Gemütsbereich und neue psorische Symptome, einhergehend mit einer Verschlimmerung im lokalen Bereich, führte zu Tuberculinum (18.LM, 1 Jahr lang), das dramatische Reaktionen auslöste: das Bein verkürzte sich, die Außenrotation war behindert (von Seiten der Klinik wurde eine Sehnendurchtrennung erwogen); bei nun ausgeglichener Gemütslage traten alte frühkindliche physische Symptome wieder auf. Tub. wurde beibehalten, die Einnahmeintervalle lediglich auseinandergezogen.

Nach einer Behandlungszeit von ca.1 1/2 Jahren hatte die Aufbauphase des Knochens eingesetzt: dem Kind wurde der Schulsport erlaubt. Außerdem fand ein Körperlängenwachstum um 7 cm statt. Ein zusätzliche orthobionomische Therapie sorgte für gleiches Längenwachstum der Beine.

Aufgrund einer von dem Kind wohl nur schwer zu verkraftenden Veränderung innerhalb der Familie wurde als 3. chronisches Mittel Nat.-mur. gegeben, was erneut zu einem Wachstumsschub führte; eine interkurrente eitrige Angina wurde mit Bell. beherrscht. Nach knapp 3 Jahren wurde die Behandlung von seiten der Klinik als abgeschlossen betrachtet. Man beachte in der Retrospektive die stimmige Polychrest-Abfolge bei diesem Perthes-Leiden: Der Schwefel, das hochkarätige Antimiasmatikum, der nur mit Psorinum zusammen in der langen Reihe der Antipsorika 3-wertig ist. Auf Sulfur folgt gut Phosphorus (womit der interkurrente Infekt beherrscht wurde), welches nach Hahnemann ein antipsorisches Mittel ist. Zu Phos. verhält sich bekanntlich die Nosode Tuberculinum komplementär. Das 3. Polychrest - Nat.-mur.- findet sich ebenfalls unter den Antipsorika und wird nicht selten als besonders gut auf Tub. folgend erfahren. Unter dem Titel Homöopathische Behandlung des Heuschnupfens bestritt Gerd Aronowski (Konstanz) den 2. Beitrag des 1. Konferenztages. Dieses höchst lästige Leiden, das evtl. von Anfang März bis in den Oktober hinein sein Unwesen treibt, dem gegenüber die Schulmedizin so gut wie machtlos ist, erweist sich auch für den Homöopathen nicht selten als `harte Nuss`, die es zu knacken gilt. So gibt der Referent lobenswert freimütig zu verstehen, dass er oft enttäuscht gewesen sei von der homöopathischen Wirkung: bekannte Mittel wirkten nicht! Mehrere Zeitabschnitte des Pollenflugs bedingten bis zur Beschwerdefreiheit (die nicht immer ganz erreichbar sei) eine lange - chronische - Therapie.

Wie wir alle wissen, stellt sich die Erkrankung bei den betroffenen Patienten Jahr für Jahr mehr oder weniger pünktlich erneut ein und zeigt keinerlei Tendenz, irgendwann von selbst zu verschwinden, d.h. die von Hahnemann definierten Kriterien einer "chronischen Krankheit" sind erfüllt. Daher ist es notwendig, einen möglichst exakt sitzenden `homöopathischen Maßanzug` zu schneidern, je nach individueller miasmatischer Symptomatik - ein Vorhaben, das dem Homöopathen u.U. einige Sisyphusarbeit abverlangen kann. Unter dem geläufigen Begriff Heuschnupfen werden auch Termini wie Pollinosis, Heufieber, Heuasthma (in 30% der Fälle!) subsumiert; definitionsgemäß handelt es sich um eine Allergie vom Soforttyp. Die Symptome, die da sind Niesattacken, wässrige Hypersekretion, Verstopfung durch Muschelödem - was die Nase betrifft -, Tränenfluss, Jucken und Brennen der Augen, gegebenenfalls ein Befall der tieferen Atemwege in Form von Halstrockenheit, Husten, Auswurf, Atemnot, asthmatischer Atmung, im Mundbereich etwa Gaumenjucken, Schleimhautschwellung, Geschmacksveränderungen, alles evtl. in Begleitung von Fieber bis zu 39 Grad Celsius, oder einer Urtikaria, sind uns allesamt geläufig. Das ganze Syndrom "Heuschnupfen" muss auf seine Modalitäten hinterfragt werden: wie - wo - wann - wohin - begleitet von - besser durch - schlimmer durch -? Die Frage nach Umständen und anderen Allergien (wie etwa Empfindlichkeit gegen Hausstaub, Tierhaare etc.), auch den innerfamiliär auftretenden, ist nicht zu vergessen.

Welche Mittel hochwertig figurieren bei Heuschnupfen, darüber gibt der KENT Auskunft unter den Rubriken Nase - Schnupfen - Heuschnupfen: als 3-wertig stechen hier etwa hervor Nat.-mur., Psor., Sabad., Psor. erscheint bei allen namhaften Autoren, wie etwa Boger, Bönninghausen, Phatak, als 3-wertig. Bei letzterem rangieren auch Kal.-j., Sil. und Sulf. als 3-wertige Mittel. Im KENT finden wir so wertvolle Rubriken, wie etwa Schnupfen, durch den Geruch von Blumen, von Rosen, Pfirsichen, ein Phänomen, das Kent als Grundlage für psorische Belastung ansah. So sind wichtige Heuschnupfenmittel, z.B. Calc.-carb., Graph., Hep.-s., Kal.-jodatum. Lach. mag bei Tierhaarallergien von Bedeutung sein, Lyc. dagegen im Zusammenhang mit Neurodermitis. Das Complete Repertory, herausgegeben von Zandvoort, führt über 100 Mittel für Heuschnupfen auf; Kent etwa 35. Weitere nicht zu vergessende Mittel sind Nat.-c., Nat.-s., Phos., Rhus-tox. (besser: Rhus-rad.), Sulf., Thuja (Dingler), auch wenn sie nicht in der 3-Wertigkeit erscheinen.

Folgender Fall aus der Praxis des Referenten veranschaulicht das tief verankerte psorische Miasma bei einer unter Heuschnupfen leidenden Patientin:

  • 1950 auf Kuba geboren, lebte die Tänzerin seit ihrem 20. Lebensjahr im Westen (USA und Deutschland) - seit 27 Jahren leidet sie an Heuschnupfen
  • ist allergisch gegen Tierhaare, frühblühende Bäume
  • ihre Nase fühlt sich "wie von Baumwolle" verstopft an, der Hals so rauh "als wäre dort Baumwolle" (wie ist dieses "als-ob-Symptom" in die Sprache des Repertoriums zu übersetzen?)
  • sie knirscht mit den Zähnen
  • kann sich schwer konzentrieren
  • schläft schlecht aufgrund der verstopften Nase
  • sie ist sehr anfällig für Erkältungen, die jeweils mit "Drüsenpaketen" einhergehen, rechts schlimmer
  • sie träumt öfter von Verstorbenen (z.B. von ihrer Mutter, aber auch von anderen bereits verstorbenen Personen)
  • sie ist eine lustige, fröhliche Natur
  • sie mag gerne kalte Getränke, Salziges; suchtartiges Verlangen nach Käse (wie ein Junkie nach seinem Stoff)
  • ausgeprägte Aversion gegen Butter, die nicht einmal auf dem Tisch stehen darf, so sehr ekelt es sie davor
  • starke Verschlimmerung durch Vollmond
  • ausgeprägtes sexuelles Verlangen; von den starken Menses gerät sie regelmäßig in eine miese Stimmungslage
  • 2 Schwangerschaften, aus denen 2 (große) Kinder hervorgingen; weitere 7 Schwangerschaften bei 6 Aborten; aus der letzten ging das heute 4-jährige Kind hervor, geboren durch Sectio; oft Abrasio; Uterusmyom
  • die Patientin selbst wurde als "Frühchen" geboren
  • sie litt an Nephritis, rezidivierenden Bronchitiden; auf Kuba an Lungentuberkulose

    Verordnung: Calc.-carb. 6.LM/Arcana; 5gtt/200 ml Wasser/1/2 Teelöffel, zu steigern auf 1 Tl

    Reaktion: Nach 14 Tagen hörte der Heuschnupfen auf, obwohl sie das Mittel nur sporadisch eingenommen hatte; im darauffolgenden Jahr ließ er im Mai noch auf sich warten. Sie erhielt prophylaktisch Calc.-carb.C30 (wegen unzuverlässiger Einnahme ein Fall für C-Potenzen), woraufhin es 2 Tage lang zu extremem Heuschnupfen kam, der aber dann wieder völlig verschwand. Gynäkologisch gab es nun einige Probleme: einmal Cervix-Polypen, zum anderen haben sich in der Zwischenzeit 3 Myome entwickelt; post coitum traten 2-3 Tage Schmierblutungen auf (cave blutende Polypen!). Es wurde Calc.-carb .C200 gegeben: die Blutungen nach dem Verkehr kamen sofort zum Stillstand.

    Nun - dieses Jahr kam der Heuschnupfen wieder!! Jedoch - nicht ganz so stark! Erneut Calc.-carb. C200 (nach dem 10. und 20. Tag Placebo). Besonders schlimm sind diesmal die Augen betroffen: Brennen, muss reiben, was bessert, Sandgefühl, beide Canthi jucken; nach dem Reiben brennen die Augen; starkes Gaumenjucken; Nase verstopft; klares Nasensekret. Psyche: sehr gereizt, launenhaft (stellte Scheidung zur Disposition).

    Nux vomica rückte an die vorderste Stelle der Repertorisation - ein Mittel, das sich komplementär zu Calc.-carb. verhält, besonders bei starker Reizbarkeit. Nux vom. C30 wurde gegeben, und am nächsten Tag war die Patientin wieder ohne Heuschnupfen.

    Nach stressigem Urlaub, in dem sie sich alle auf die Nerven gingen, und wo die Patientin wegen nächtlichem Disco-Lärm nur schlecht bis gar nicht schlafen konnte, bekam sie Nux vom. C200.
    Alles weitere bleibt nun abzuwarten....

    Eine weitere Fallschilderung des Referenten betrifft eine 37-jährige Mutter, deren Kinder er relativ rasch von Neurodermitis befreite. Sie befindet sich noch in laufender Therapie. Sie war Ende Januar diesen Jahres erstmals in die Sprechstunde gekommen. Bei einer Körpergröße von 1,62 m wiegt sie 75 kg. Seit 17 Jahren leidet sie unter Heuschnupfen - immer zwischen Anfang Mai und Anfang Juli. Dabei hat sie eine Temperatur von ca. 39 Grad Celsius, hat Hitze- und Kälteempfindungen gleichzeitig und fühlt sich "richtig krank". Am schlimmsten ist das extreme Jucken der Augen, wobei sie sich regelrecht zwingen muss, nicht zu reiben; tut sie es dennoch, schwellen sie so total zu, dass sie nicht mehr raussehen kann; die Canthi jucken besonders stark. Sie ist dann lichtscheu und muss in einem kühlen, abgedunkelten Raum liegen. Sie ist gezwungen, durch die Nase zu atmen, bekommt aber dadurch Halsweh; weiterhin entwickelt sich ein trockener Reizhusten, der früher von Bronchitiden begleitet war (entspricht Heuasthma!). Sie ist sehr gereizt. Abends, ab etwa 8.30 Uhr, erfährt sie eine Besserung, die mit der Einwirkung frischer Luft verbunden ist und körperlicher Anstrengung. Außerdem klagt sie bei der Periode über Kopfschmerzen, die auch während des Heuschnupfens auftreten, und zwar immer über dem linken Auge und dahinter; Bücken und nach unten Sehen verschlimmert.

    Interessante Symptome im Gemütsbereich sind: Angst und Schwindel an hochgelegenen Orten; grundlose Eifersucht; sehr perfektionistisch. Sie hat starkes Verlangen nach Süßem, aber auch nach Sauerem; dagegen Abneigung gegen Milch, Käse, Joghurt. Sie leidet an Obstipation, ist durstlos und trinkt höchstens 700 ml täglich - und dies gezwungenermaßen. Sie neigt zu blauen Flecken und kalten Füßen. Der Zyklus ist unauffällig; zwischen 1987 und 1995 gab es 3 Schwangerschaften, in deren Verlauf sie jeweils 20 kg an Gewicht zulegte, das sie zwischenzeitlich wieder runterhungerte. Sie war sonst immer gesund. Die Familienanamnese ist weitgehend unergiebig: die Mutter hat oft Blasenentzündungen, "wenn ihr etwas nicht passt". Es wurden nun nur die sonderlichen Symptome des Heuschnupfens und die chronischen Symptome für die Repertorisation herangezogen. Die ersten 5 in Frage kommenden Mittel waren: Sulf., Puls., Sep., Nux-v., und Ars.-a. Es hatte sich noch herausgestellt, dass körperliche Anstrengung den Heuschnupfen besserte; diese Eigentümlichkeit ließ die Wahl auf Sepia fallen. Verordnung: Sep. Q3 , 1 glob./15 ml Äthanol, in 1 Glas Wasser, hiervon tägl. 1 Tl.

    Es kam zu keiner nachteiligen Reaktion bis zur Sepia Q7. Das Mittel wurde nun (1 x tägl.) in deutlich gesteigerten Gaben eingenommen. Im Mai 99 setzte nun der Heuschnupfen verspätet in milder Form ein; die Augen waren nicht geschwollen, abends kam es zu einem leichten Reizhusten, der sich in Ruhe verschlimmerte; insgesamt waren von den vorherigen Beschwerden nur noch etwa 30 bis 50 % übriggeblieben. Sepia wurde weiter genommen bis zur Q11: Am 12. Mai war der Heuschnupfen viel besser, selbst Wiesenblumen in der Vase richten nichts Böses mehr an. Man fuhr fort mit Sepia Q12, da der Pollenflug noch angehalten hatte. Mitte Mai war das Befinden bestens: die Patientin mähte sogar die Gartenwiese, wobei sie mit Pollen völlig eingestaubt wurde; am nächsten Tag kam es zu etwas Niesen, ansonsten war alles unauffällig.

    Interessant an diesem Sepia-Fall ist, dass sich die auffallenden und sonderlichen Symptome (nach § 153 Organon) aus dem Gemütsbereich und dem lokalen Geschehen bezüglich der Mittel im Repertorium nicht in Übereinstimmung bringen lassen. Angst und Schwindel an hochgelegenen Orten lassen zuerst an Sulf., Calc.-carb., Puls. denken, Sepia ist hier nicht zuständig! Während die Besserung des Heuschnupfens bei körperlicher Anstrengung eine interessante Modalität im Lokalbereich ist, die sofort an Sepia denken läßt. Sucht man nun dieses Mittel unter der Rubrik Heuschnupfen, so findet es sich im Synthesis 1-wertig (nach Phatak), und in der kleinen, nur 3-zeiligen, wichtigen Rubrik - Nase, Schnupfen, mit Fieber - wird man ebenfalls fündig: Sepia ist 1-wertig dabei (ein Nachtrag von Hahnemann!); nicht dagegen finden sich Sulf., Calc.-carb., Puls. Dies sind Repertorisationstücken, die wohl für Anfänger am schwierigsten zu meistern sein dürften.

    Zwischenzeitlich traten nun bei der Patientin Probleme mit der Harnblase auf, die sie auch schon in der Schwangerschaft hatte. Es kam zu Blähungen infolge Verarmung der Milchsäurebakterien: ein Milchsäure-Präparat wurde verordnet. In der Folgezeit ist keine Besserung eingetreten, im Gegenteil, die Blase zeitigte stark stechende Schmerzen. Die Beschwerden standen in keinem Bezug zu Sepia, die erst einmal weiter eingenommen wurde - jedoch ohne Erfolg.

    In den Italien-Urlaub wurde nun Sulfur Q5 mitgegeben, woraufhin sich die Blase zwar verbesserte, dafür der Heuschnupfen aber wieder auftauchte. Also ein mageres Ergebnis: Die Patientin kam mit einer eitrigen Halsentzündung aus dem Urlaub zurück - sie suchte einen Arzt auf, der sie - wie sollte es anders sein - zu einem Antibiotikum überredete. Dieses kann - laut Beipackzettel - den Heuschnupfen verstärken, was prompt eintrat; ebenfalls verstärkte sich die Blasenentzündung anschließend erneut. Die Verschlimmerung nach dem Antibiotikum und das Symptom Heuschnupfen, verschlimmert morgens führte zu Nux vom.. Sie nahm das in der C30 vorrätige Mittel, was die Blasenschmerzen rasch zum Verschwinden brachte und ebenso den Heuschnupfen wesentlich milderte. Nach dieser Episode war man wieder am status quo ante angelangt: die Restbeschwerden des chronischen Heuschnupfenleidens stagnierten bei 30-50%, wie im Vorjahr! Wie weiter zu verfahren ist, bleibt abzuwarten: es sind weiterhin Sepia-Symptome vorhanden; eine auffallende Verschlimmerung bei Regen verweist z.B. auf Dulc., oder Nat.-s.

    An dieser Stelle sehe ich mich lebhaft an eine viele Jahre zurückliegende Aussage von Georgos Vithoulkas auf einem seiner Symposien in Celle erinnert, der meinte, dass wir viel eindringlicher und statistisch relevant zeigen könnten, was die Homöopathie wirklich vermag, wenn wir die Patienten im entscheidenden Augenblick "einsperren" und so vor lediglich symptomunterdrückender, iatrogener Behandlung bewahren könnten, da derartige Allopathika nach seiner Erfahrung den Fortgang der Heilung des chronischen Leidens erheblich verzögern, ja sogar zunichte machen könnten! Das kennen wir nur zu gut, man lese es nach in dem drastischen Wortlaut in Hahnemanns Organon, z.B. im § 203: "...; diese bisher so allgewöhnliche, äußere, verderbliche Behandlung, ist die allgemeinste Quelle aller der unzähligen, benannten und unbenannten, chronischen Leiden geworden, worüber die Menschheit so allgemein seufzet; sie ist eine der verbrecherischsten Handlungen, deren sich die ärztliche Zunft schuldig machen konnte (hervorgeh.d.d.Verf.), und gleichwohl war sie bisher die allgemein eingeführte und wurde von den Kathedern als die alleinige gelehrt." (Vgl. auch die §§ 200, 74, 75!)

    Zum Ausklang des ersten Tages führte Tagungsleiter Werner Dingler (Konstanz) einen weiteren Mb. Perthes-Fall vor.

    Er betrifft eine in Berlin lebende 9-jährige Nichte, deren in Konstanz lebenden Tante sie im Juli 87 in seine Praxis vermittelte. Dingler, der bemerkt, dass er damals nur wusste, wie man "Perthes" schreibt, sah das Mädchen lediglich einmal zur ersten Konsultation, ansonsten lief alles über das Telefon. Arztberichte und Röntgenbilder dienten als wichtige Unterlagen.

    Vorgeschichte: Bis vor einem Jahr war das Mädchen "pflegeleicht", es gab keine Krankheiten. Es war gegen alles geimpft und hatte keine Infekte durchgemacht. Dann traten plötzlich Schmerzen im Knie auf; der Orthopäde diagnostizierte Mb. Perthes, eine Operation mit Thomas-Schiene war die therapeutische Konsequenz; innerhalb eines Jahres war jedoch kein nennenswerter Erfolg beschieden; nach Weglassen der Schiene stellten sich die Schmerzen sofort wieder ein. Die schulischen Leistungen des Mädchens verschlechterten sich, es schien keine Hoffnung mehr zu geben. Symptomatik:

  • Auffallende Schuppenbildung der Kopfhaut
  • Kopfschweiß, der zu nassen Kissen führt
  • schläft mit erhöhtem Oberkörper
  • Zähneknirschen im Schlaf
  • Verlangen nach Milch, Schnitzel, Spaghetti, ganz besonders nach Eiern
  • im Dunkeln Angst vor Räubern
  • V.a. Astigmatismus

    Familienanamnese:

  • Mutter: Cervixinsuffizienz
  • Onkel väterlicherseits wahrscheinlich Tbc Repertorisation:
  • Hüftgelenksentzündung
  • Gliederschmerzen, Hüfte, nach Anstrengung
  • Knochenkaries, -nekrose
  • Tonsillen vergrößert
  • Zähneknirschen im Schlaf
  • Kopfschweiß nachts; während des Schlafs
  • Verlangen nach Eiern
  • Angst im Dunkeln, besonders vor Räubern
  • zweifelt an der Genesung

    An die erste Stelle tritt unbestritten Calc.-carb. mit 12 Treffern; an zweiter folgt Mercurius, an dritter Silicea, an vierter Phosphorus; Calc.-phos., Sulf., Lyc., Rhus-t.(an 12. Stelle) sind weitere Möglichkeiten. Verordnung: Calc.-carb., 6.LM, 3gtt. tägl.

    2 Monate später kommt die telefonische betrübliche Nachricht, dass sich keine Veränderung ergeben habe, und dies, nachdem der Referent über das "klare" Repertorisationsergebnis schon im vorhinein hocherfreut war. Die Symptomatik sei nach wie vor die gleiche! Bei näherem Nachfragen gibt es doch leichte Veränderungen: a) Das Verlangen nach Eiern besteht nicht mehr und b) die Angst im Dunkeln trat nur noch einmal auf, nach einem "Gruselfilm". Die Furcht vor Räubern dagegen besteht nach wie vor. Werden Symptom (a) und (b) aus der Repertorisation ausgeklammert, ist jetzt Mercurius der Protagonist des Geschehens.

    Das Mädchen bekommt nun Mercurius vivus, 6.LM, 3 gtt. tägl. Dingler hierzu: Wenn Merc.-sol. angezeigt ist, sollte vivus gegeben werden, es ist nach Hahnemann die bessere Wahl (vgl. Reine Arzneimittellehre). Zwei Monate später beschied ein Brief, dass der Wiederaufbau des Knochens deutlich in Gang gekommen sei, dies hätten die Röntgenaufnahmen der Orthopädischen Klinik ergeben. Ein Monat später wurde auch die Schiene entfernt. Das Kind bekam nun Merc.-viv. 18.LM.

    Der Referent hört nun 5 (!) Monate lang nichts mehr; ein weiteres Monat später kommt die Tante in die Praxis. Auf die Nachfrage, was die Nichte mache, kommt die lakonische Antwort:

    Der geht´s gut, keine Schiene mehr! Homöopathen dürfen wohl von aus der Verzweiflung ins ´Leben´ zurückgeführten Patienten nicht allzu viel erwarten?!

    Aus heutiger Sicht - so Dingler - wäre differentialdiagnostsich Knochen-Tbc auszuschließen gewesen. Nach dieser spannenden Kasuistik des ersten Veranstaltungstages gab es für die DGKH-Absolventen eine kleine Feier zu der Dr. Vera Meister (Heislich b. Dresden) und Pavlos Bitzarakis, M.A. (er schrieb das Register zum Stapfarchiv) mit Elan und Können zwei Volkslieder vortrugen, das deutsche Es tagt der Sonne Morgenstrahl und das russische Abendlied Moskauer Nächte in russischer Sprache. Den Absolventen wurde anschließend der Stempel der DGKH überreicht, nachdem zuvor die Bedingungen für seinen Besitz verlesen wurden. Ein Sekt-Prosit für die Zeugnisempfänger gab dem Abend seinen Ausklang.

    Der 2. Tag war der Diskussion von Problemfällen aus dem Patientenkreis der Teilnehmer gewidmet. Die Leitung hatte wieder - wie immer - Werner Dingler. Jürgen Geisser (Wörth) steuerte hierzu zwei Kasuistiken bei, die den Samstagvormittag ganz ausfüllten (wobei der Nachmittag wieder zur freien Verfügung für ´Ausflügler´ stand).

    Der 1. Fall handelt von einer 35-jährigen Frau, die zum Zeitpunkt der ersten Konsultation im August 98 unter Ödemen am ganzen Körper leidet, die seit einer Augenoperation vor 5 Jahren erstmals auftraten.

    Die Fallschilderung und der Bericht werden in der nächsten Ausgabe fortgesetzt.

    Literatur:

  • Hahnemann, Samuel, Organon VI
  • ders.: Die chronischen Krankheiten, Bd. I, Dresden und Leipzig 1835
  • ders.: Reine Arzneimittellehre, Bd. II, Dresden und Leipzig 1833
  • Schroyens, Frederik (Hrsg.), Synthesis, Repertorium homoeopathicum syntheticum, Edition 7, Hahnemann Institut für homöopathische Dokumentation, Okt. 1998
  • Zandvoort, Roger, van, The Complete Repertory, Institute for Research in Homoeopathic Information and Symptomatology, Leidschendam, The Netherlands, 1994

    Anschrift der Verfasserin:
    Dr. phil. Renate Schweyen-Ott
    Heilpraktiker
    Raglovichstr. 14
    80637 München

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    Naturheilpraxis 12/99