FACHFORUM

Neues aus dem Gebiet der Phytotherapie

Von Josef Karl

I.

Weil - was viele schon lange befürchteten - die Qualität der importierten chinesischen Arzneipflanzen nicht selten fragwürdig ist, entsteht nun in Bayern ein neues Projekt: es wird mit dem Feldanbau von chinesischen Heilpflanzen begonnen und zwar an der Bayerischen Landesanstalt für Bodenkultur und Pflanzenbau (LBP) in Freising-Weihenstephan bei München.

Der Anfang wurde schon gemacht mit Astragalus membranaceus, Prunella vulgaris oder Scurellaria baicalensis. Nachdem man in Weihenstephan schon langjährige Erfahrungen mit dem Anbau von Heil- und Gewürzpflanzen hat, fährt man fort mit vierzehn Arten chinesischer Arzneipflanzen. Mit beispielsweise Salvia miltiorrhiza, Angelica sinensis oder Bupleurum falcatum will man auch unter hiesigen Klimabedingungen zurechtkommen. Beim hohen Stand der pharmakologischen Forschung in der Bundesrepublik wird man bald wissen, ob auch in Bayern die Drogen jene Stoffe ausbilden, deretwegen sie in China geschätzt sind.

II.

Die Johanniskrautforschung schreitet fort: Die firmen Lichtwer in Berlin, Dr. Schwabe in Karlsruhe und Dr. Loges in Winsen unterstützen an verschiedenen pharmakologischen Instituten Untersuchungen, nachdem die wirksamen Inhaltsstoffe immer noch nicht voll erkannt sind. Hypericin, Pseudohypericin, Hyperforin und Kämpferol werden weiter untersucht. Zitat aus einer Arbeit aus dem Biozentrum Niederursel der Uni Frankfurt/M. und der Abt. Psychopharmakologie des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim: "Unsere Untersuchungen zeigen, dass der standardisierte Extrakt Li 160 nicht nur ein potenter Hemmstoff der Neurotransmitteraufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin, sondern auch ein Inhibitor der Aufnahme der Aminosäuretransmitter GABA und Glutamat ist. Für diese Effekte scheint Hyperforin die hauptverantwortliche Komponente zu sein. Hyperforin nimmt somit unter den antidepressiv wirksamen Substanzen eine Sonderstellung ein. Wie wir aus der Literatur wissen, ist heue keine antidepressiv wirksame Substanz mit einem ähnlichen, derart unselektiven Wirkungsspektrum auf den Transmitter-Reuptake bekannt."

Zahlreiche Untersuchungen vergleichen in der letzten Zeit Johanniskraut-Extrakt auch mit chemischen Antidepressiva. Dabei wird vermutet, dass Hyperforin der Ansatzpunkt für eine Suche nach psychoaktiven Stoffen mit einem völlig neuen Wirkungsmechanismen sein könnte. Man geht davon aus, dass erst weitere Untersuchungen nötig sind, um dieses einzig- und neuartige neurobiologische Prinzip der antidepressiven Wirksamkeit von Johanniskrautextrakten zu identifizieren. In einer randomisierten Doppelblindstudie wurde konstatiert, dass ein Johanniskrautextrakt (800 mg LoHyp 57 von Dr. Loges) bei 57 älteren Patienten mit leichter bzw. mittelgradiger depressiver Episode gegenüber einer Tagesdosis von 20 mg Fluoxetin äquivalent war (Prof. Dr. U. Schmidt, Köln).

III.

Auch über die Artischocke gibt es weitere Forschungsberichte. Prof. Dr. V. Fintelmann, Hamburg stellt eine neue Studie vor: sie belegt abermals den dyspeptischen Symptomenkomplex als traditionelles Indikationsgebiet und lässt auf spasmolytische, antiemetische, karminative und lipidsenkende Eigenschaften des untersuchten Artischockenblätterextrakts schließen. Hinweise auf eine eventuelle Wirkungsabschwächung nach Langzeitgabe fanden sich nicht.

Andere Autoren berichten über die Cholesterin-Biosynthese, die antioxydative und hepatoprotektive Wirkung der Artischockenblätter. Besonders "Luteolin, ein Flavonderivat, das aus Artischockenblätterextrakten freigesetzt werden kann, besitzt im Vergleich mit anderen Flavonen und Flavononen ein sehr hohes antioxidatives und hepatoprotektives Potential". Wie differenziert die Phytoforschung heute ist, soll an einem Zitat aus Arbeiten vom Institut für Biochemie Leipzig in Zusammenarbeit mit dem Physiologisch-chemischen Institut der Uni Tübingen dargestellt sein:

"Flavonoide aus Blattextrakten der Artischocke und strukturverwandte Verbindungen wurden hinsichtlich ihrer antioxidativen und protektiven Wirkungen an kultivierten Hepatozyten verglichen. Die antioxidative Wirkung nahm in der Reihenfolge Naringenin < Apigenin < / = Hesperitin < Quercetin < Fisetin = Luteolin zu. Die Wirkung der glykosylierten Flavonoide war uneinheitlich; von praktisch wirkungslos (Hesperidin und Rutin) bis ähnlich aktiv wie das Aglykon (Luteolin-7-O-Glukosid). Die Cumarinderivate Esculetin und Scopoletin zeigten lediglich die Wirksamkeit von Apigenin. Luteolin führte auch in der Rangfolge der protektiven Wirkung. Damit dürfte den Artischockenblätterextrakten eine besondere Rolle bei der Behandlung von Erkrankungen zukommen, an denen oxidativer Stress ursächlich beteiligt ist."
(Die vorgestellten Referate sind aus der "Zeitschrift für Phytotherapie" 2/99)

IV.

Etwas zum "grünen Tee" - dem Modetee des Jahres. Es sollen die Chatechine sein, die das Besondere an ihm sind und dabei wiederum das Epigallocatechingallat (EGCG); es ist ein besonders guter Radikalenfänger. Nun ist ja Thea chinensis beileibe keine neue Droge, jahrtausende-, nicht nur jahrhundertelang trinkt man im alten und neuen China die Blätter dieser Kamelienart. Freilich hat man ihn schon fermentiert - und so kennen wir ihn in Europa als "Schwarzen Tee", was bisher identisch war mit "Chinesischem Tee". Die Engländer vor allem verliebten sich in den Tea und die Kenntnisse des guten Fermentierens wurde zu einem der bestgehütetsten Firmengeheimnisse.

Noch mal zum grünen Tee: für einen Liebhaber des fermentierten Schwarztees alles andere als eine Delikatesse - ohne Sahne und Kandiszucker für viele kein Thema. Nun lässt sich bekanntlich über Geschmack streiten - und Menschen, die sich aus Schwarzem Tee ohne Milch und Zucker nichts machen, finden ihn vom Geschmack durchaus attraktiv. Aber - wie's mit Moden ist: plötzlich machen es alle, finden ihn gar gutschmeckend und trinken ihn unbeirrt zu Zeiten, wo sie bisher völlig sicher waren, dass sie die ganze Nacht nicht geschlafen haben, wenn sie am späteren Nachmittag Schwarzen Tee tranken. Auch viele von jenen lernt man plötzlich jetzt kennen, die energisch über Nervosität und Herzklopfen klagen nach Schwarzteegenuss. Und obwohl - das ist die Irritation, die man nur schwer erklären kann - im grünen Tee nicht viel weniger Thein/Koffein enthalten ist als im fermentierten, vertragen sie's plötzlich. - Das erkläre einer!

V.

Immer wieder stehen verschiedene chinesische Heilkräuter in der fachlichen Kritik. So berichtete vor nicht allzu langer Zeit das Ärzteblatt "Der Kassenarzt", dass fast ein Viertel der chinesischen Kräuterproben, die in einer prospektiven Untersuchung in Taiwan zur Analyse kamen, schulmedizinisch bekannte Wirksubstanzen wie Cortison oder NSAR enthielten. Kommentar dazu: "Manchmal ist es also nicht nur die Phytokraft, die da ihre heilsamen Effekte entfaltet. Die Probleme sind führenden deutschen TCM-Therapeuten und ihren Apotheken bewusst. Die Qualitätskontrolle macht Fortschritte und ist hierzulande teils schon vorbildlich!"

Zahlreiche exotische Arzneipflanzen sind mit Schwermetallen und Insektiziden belastet. In Taiwan hat man sich - wie gesagt - aufgrund dieser Vorkommnisse näher mit diesem Missstand befasst. In acht großen Krankenhäusern wurden 2609 Proben von chinesischen Heilkräutern, die vom Patienten mitgebracht wurden chromatografisch analysiert. Dabei entpuppte sich nicht weniger als ein Viertel der Gesamtzahl als nicht sauber. Koffein, Paracetamol und Indometacin standen neben Hydrochlorothazid (ein Diurektikum), Prednisolon und Betamethason an vorderster Stelle. Es stellt sich nun die Frage, ob diese Situation in der BRD anders bzw. besser ist. Die Vermutung lautet - von verschiedener Seite gesehen -: besser ja, aber keineswegs gut.

Während meiner Mitgliedschaft in der Kommission E (Phytotherapie) war dieses Thema ebenfalls wiederholt Anlass zu Diskussionen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinalprodukte in Berlin (künftig in Bonn) hat keine Handlungsbefugnis, da die Überwachung des Arzneimittelgesetzes der Länderhoheit unterstellt ist. Die Notwendigkeit einer besseren Qualitätskontrolle kennt man auch in der Klinik für TCM im niederbayerischen Kötzting. Da hier Dekokte in großen Konzentrationen zum Einsatz kommen, ist verständlicherweise eine "Verunreinigung" besonders dramatisch. Man arbeitet an Abhilfe.

Ein weiteres Problem ist die vom deutschen Arzneimittelgesetz geforderte "wirksame Dosis". Nicht umsonst hat man ja nun in fast 20jähriger Arbeit (und auch unter hohem finanziellen Aufwand, der letzten Endes ja wiederum am Steuerzahler hängenbleibt) sich bemüht, nurmehr Pflanzen-Arzneien zuzulassen, die dieser wirksamen Dosis nach heutiger Erkenntnis Genüge tragen. Gerade bei Ginseng hat es an diesem Punkt jahrzehntelang empfindlich gehapert. Der Gehalt an den Hauptwirkkomponenten der Ginsengwurzel, den Ginsenosiden, unterscheidet sich in den einzelnen, im Handel befindlichen Produkten bis um einen Faktor von 7000 (!), wie mittels der High-Pressure-Liquid-Chromatographie (HPLC) nachgewiesen wurde: Während das "stärkste" Präparat - bezogen auf 100 Gramm bzw. 100 ml des Produkts - 13.940 mg Ginsenoside enthält, sind es beim "schwächsten" gerade knapp 2 mg. Hier besteht also noch großer Handlungsbedarf.

(Quelle: "Der Freie Arzt", 39. Jahrgang Nr. 12)

Anschrift des Verfassers:
Josef Karl
Heilpraktiker
Siegfriedstr. 10
80803 München

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Naturheilpraxis 12/99