TINNITUS

Die Hyperakusis bei gleichzeitigem Tinnitus

von Jan. W. Moestel

Einführung

Unter Hyperakusis oder Hypakusis fallen alle Arten erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen. Sie ist sogar häufig auch bei einem normalen Gehör anzutreffen. Der Pegel für die Unbehaglichkeitsgrenze kann bei einigen Frequenzen (oftmals bei hohen Frequenzen) schon bei 30 dB HL liegen. Das liegt gerade oberhalb der Schwelle des normalen Hörens. Der Mechanismus der Hyperakusis ist in den meisten Fällen eine Folge von Veränderungen in der zentralen Geräuschverarbeitung; dabei ist die Cochlea gewöhnlich völlig normal, obgleich Patienten häufig fälschlich glauben, sie sei unabänderlich zerstört. Die traditionelle Lehre verstand Recruitment lediglich als Folge eines Innenohrschadens. Seitdem aber fast allen Menschen mit Hyperakusis durch Verhaltens- und Geräuschtherapie geholfen werden kann, ist den Forschern in Großbritannien klar geworden, daß die Symptome nicht das Ergebnis eines Ohrschadens sein können.

Beständige und laute Geräusche sind für die meisten Menschen eine Quelle des Ärgernisses. Manche Menschen sind jedoch besonders hörempfindlich und können selbst normal laute Geräusche nicht ertragen. Das betrifft sowohl Personen mit normalem Gehör als auch solche mit einer Hörminderung.

Ein normales Ohr kann nicht nur besonders leise Geräusche zwischen 0 und 20 dB HL (Hörschwelle) hören, es kann auch sehr laute Geräusche bis zu einem Wert von 115 dB HL ohne Unbehagen ertragen. Bei einer Hörminderung kann infolge Recruitment (abnormer Lautheitszuwachs oberhalb der verschlechterten Hörschwelle) die Unfähigkeit, leise Geräusche zu hören, paradoxerweise mit einer Unerträglichkeit von lauten Geräuschen verbunden sein. Ein Ohr mit Recruitment kann durchaus unfähig sein, Geräusche unter 50 dB, besonders im hohen Frequenzbereich, zu hören, empfindet aber alle Geräusche über 80 dB nicht nur als unbehaglich, sondern auch zu Verzerrungen neigend.

Recruitment stellt sich infolge einer Reduzierung neuraler Elemente im Innenohr ein, wodurch eine kleine Intensitätsänderung des Stimulus eine sehr große Änderung der Reaktion des Ohres hervorruft; es werden mehr Nervenfasern für einen entsprechenden Geräuschstimulus rekrutiert, oder zugeschaltet. Eine andere Möglichkeit, dieses Problem zu betrachten, ist, sich das Ohr als ein Musikinstrument vorzustellen. Die meisten Instrumente haben etwas, was die Musiker einen dynamischen Bereich nennen. Sie sind in der Lage, sehr leise (pianissimo) oder sehr laut (fortissimo) zu spielen. Ein normales Ohr ist nicht nur durch gutes Gehör gekennzeichnet, sondern auch durch einen vollen dynamischen Bereich für die unterschiedlichen Intensitäten. Ein Ort mit Recruitment hingegen hat einen eingeschränkten dynamischen Bereich. Wenn Geräusche überhaupt gehört werden, dann, musikalisch ausgedrückt, "fortissimo".

Einige Menschen mit Hyperakusis haben Phonophobie. Das bedeutet, daß sie sich buchstäblich davor fürchten, einen bestimmten Geräusch ausgesetzt zu sein, weil sie gewöhnlich glauben, es könne ihrem Gehör schaden. Oftmals handelt es sich dabei um ganz normale Umweltgeräusche, wie im Verkehr, in der Küche oder sogar um laute Stimmen, die aber unter keinen Umständen schaden können. Bei Hyperakusis jedoch können solche Geräusche unangenehm sein, bedingt durch eine abnormale Steigerung oder Verstärkung in der zentralen Hörbahn, die zum wahrnehmenden Hirnrindenbereich (Cortex) führt.

Das Gehirn spielt nun eine große Rolle bei der Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen. Wenn Geräusche das Innenohr erreichen, werden sie dort in ihre individuellen Frequenzkomponenten aufgeteilt. Die 10.000 Fasern des Hörnervs transportieren die Informationen dieser individuellen Frequenz jedes komplexen Geräusches, das wir hören, und nur 1/3 Sekunden später erreichen sie den Subcortex des Hörbereichs im Gehirn (im Schläfenlappen), wo erst bewußte Wahrnehmung von Geräuschen stattfindet. Bis die Botschaft das Bewußtsein erreicht, ist kein Ton zu hören. Während des Durchlaufs dieses codierten Signals wird es einer vielfältigen Bearbeitung unterzogen, ähnlich wie in einem Computer, doch viel komplexer. Das zentrale Hörsystem ist vor allem dafür zuständig, wichtige Nachrichten von unwichtigen Hintergrundgeräuschen zutrennen. Mitunter ist das Signal von relativ schwacher Intensität aber von großer Bedeutung. Beispielhaft dafür ist, wie ein Tier in einer gefahrvollen Umwelt ein winziges Geräusch eines Angreifers wahrnimmt. Ein anderes Beispiel ist die Fähigkeit, den Klang des eigenen Namens in einem überfüllten Raum wahrzunehmen, während andere Namen, selbst wenn laut ausgesprochen, unbemerkt bleiben.

In dem unterbewußten Teil des Gehirns wird ein wichtiges Signal aufgrund vorher erlernter Erfahrungen erkannt. Es kann dann verstärkt und der Durchlauf durch die Nervenbahnen (neuronalen Netze) erleichtert werden, indem die elektrische Leitfähigkeit zwischen den Nervenzellen in der Bahn sich ändert. Ein Vorgang ähnlich den Schaltvorgängen in der Telefonvermittlung zum Herstellen der Verbindung von einer Person zur anderen. Wenn das verstärkte Signal den Subcortex erreicht, wo die bewußte Wahrnehmung stattfindet, muß das elektrische Muster mit einem anderen, das in unserem Hörspeicher vorhanden ist, verglichen werden. Diese Übereinstimmung von Muster könnte sehr schwach ausfallen und eine schwache Wahrnehmung des Geräusches auslösen. Jedoch eine starke Übereinstimmung verursacht eine laute und eindringliche Geräuschwahrnehmung. Die Stärke der Musterübereinstimmungen und die daraus folgenden Geräuschwahrnehmungen werden vom Limbischen System (dem Zentrum der Emotionen) und dem präfrontalen Cortex (dem Teil des Gehirns für das Verhalten) geregelt. Der ursprüngliche Zweck dieser Fähigkeit, geringe Signale zu verstärken und andere zu unterdrücken, diente dem leichteren Erkennen potentieller Gefahren aus der Umwelt.

Die Bedeutung der Lautheit

Das Limbische System und die emotionalen Reaktionen

Die Behandlung von Hyperakusis und Lautheitsunbehagen

Vermeidung der Stille

Anschrift des Verfassers:
Jan W. Moestel
Heilpraktiker
Postfach 20 07, 90710 Fürth,
Fax 09 11 - 7 90 88 98
Internet: www.ohrton.de
FaxAbruf (Polling) Nr. 0190 160 971 000

Diesen Beitrag in vollem Umfang finden Sie in 'Naturheilpraxis' Nr.11/99.

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