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Zum 200. Geburtstag von Vinzenz Priessnitz

von Jürgen Lange

Er war der jüngste von sechs Kindern und sollte einmal den väterlichen Hof übernehmen. Schon als Knabe fiel er durch sein vortreffliches Gedächtnis, seinen Scharfsinn und durch eine lebendige Beobachtungsgabe auf. Als Bauer wäre er nie in Erscheinung getreten, dafür aber ist er in die Geschichte der Medizin eingegangen.

Vinzenz Priessnitz wurde am 4. Oktober 1799 in Gräfenberg bei Freiwaldau (Böhmen) geboren. Er besuchte die Volksschule in Freiwaldau und zeigte im Lesen und Rechnen eine gute Veranlagung. Lediglich das Schreiben bereitete ihm Schwierigkeiten, so dass er kaum etwas Schriftliches hinterlassen hat. In jener Zeit behandelten die Bauern Verletzungen ihrer Tiere mit Wasserumschlägen, in dem sie sie in feuchten, trocknen überdeckten Einpackungen schwitzen ließen. Als 17jähriger stürzte Vinzenz von einem durchgehenden Pferd und brach sich zwei Rippen. Da der herbeigerufene Wundarzt kaum einen Heilungserfolg sah, behandelte sich Vinzenz selbst.

Durch tiefes Einatmen dehnte er seinen Brustkorb soweit aus, dass die Rippenfragmente in ihre normale Stellung eingerenkt wurden. Zusätzlich legte er einen feuchten Gürtel um seinen Brustkasten, den er mit einem trockenen Tuch abdeckte. Nach wiederholter Anwendung gelang tatsächlich die Heilung der Brüche.

Sein einschlägiges therapeutisches Wissen erwarb er durch eigene Beobachtungen im Tierreich, durch Selbstversuche und Gedankenaustausch mit anderen Laienheilern. Bereits ab 1818 behandelte er die ersten Patienten, die aus der Nachbarschaft zu ihm kamen. Seine Wasserkur, die er im Laufe der Jahre verfeinerte und zu einem ausgeklügelten und abgestuften therapeutischen System ausbaute, umfasste mehr als 50 verschiedene Anwendungen des kalten Wassers, die von den Ganz- und Teilwaschungen mit Schwamm und Lappen bis zum Wassertrinken und Frottieren mit nassem Handtuch reichten.

Bald breitete sich sein Ruf über alle Lande aus und der Zustrom der Patienten wuchs mehr und mehr. Bei der Behandlung der Patienten verließ er sich stets auf seinen treffsicheren Blick und auf den gesamten Zustand, den seine Kranken boten. Anfangs arbeitete er ohne Entgelt, später arbeiteten die Patienten auf dem Gräfenberg mit und mussten ein geringes Entgelt für die Unterkunft bezahlen.

Priessnitz war einer der erfolgreichsten Laien, die im frühen 19. Jahrhundert die "Wasserheilkunde" publik machten, in dem sie im Gegensatz zur gelehrten Medizin wirkungsvollere "naturgemäße" Heilmethoden einsetzten. Dabei blieben Neid und Missgunst seitens der Ärzteschaft nicht aus und Vorwürfe und Klagen wegen Scharlatanerie wusste Priessnitz immer geschickt abzuwehren. Nach einer erfolglosen Anklage wegen Kurpfuscherei erhielt er erst 1831 die Erlaubnis zur Errichtung einer Badeanstalt zu "körperlichen Reinigungszwecken". Jedoch durfte er weder Medikamente verordnen noch chirurgisch tätig werden. Erst 1837 folgte dann die endgültige Genehmigung zum Betreiben einer Wasserheilanstalt seitens eines ärztlichen Gremiums. Damit war sein internationaler ruf als "Wasserdoktor" gefestigt.

Ein Zeitgenosse schrieb damals:
"Priessnitz hat das Glück gehabt, dass er zur rechten Zeit geboren ist, in einer Zeit, wo der Natursinn endlich nach langem Schlaf die Augen aufschlägt und die Fühlhörner ausstreckt, mit ihm der Zweifelsinn an den verschimmelten Lehrsätzen der alten Wissenschaften".

Priessnitz kam das ungeschmälerte Verdienst zu, die moderne Hydrotherapie, deren wesentliche Züge schon lange bekannt waren, als Laie begründet und die Wirkung des einfachen Heilmittels Wasser der ärztlichen Welt näher gebracht zu haben. Seine Methode fußte auf der Überzeugung der klassischen Humoralpathologie: Die kranken Säfte müssten aus dem Körper entfernt werden. Richtige Diät, Schwitzen, körperliche Bewegung wie Wandern, Sägen und Holzhacken sowie die Anwendung des kalten Wassers zur Stärkung der Abwehrkraft gegenüber den schädlichen Stoffen könnten dem Kranken nur die ersehnte Heilung bringen.

Anschrift des Verfassers:


Jürgen Lange
Düppelstr. 33
50679 Köln

Diesen Beitrag in vollem Umfang finden Sie in 'Naturheilpraxis' Nr.10/99.

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