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"Wo alles verboten ist ..."

Freie Naturheilkunde in Schweden

von Rolf Julian E.- Fazekas

"Wo alles verboten ist, muss man eine andere Straße suchen", sagt Andreas Johansson und zwinkert mit den Augen. Den schwedischen Naturarzt kennen inzwischen viele Kollegen von Irisdiagnose-Fortbildungen in Uslar und Ettlingen. Seine Praxis liegt mitten in Helsingborg. Die zahlreichen Patienten kommen aus Hunderten von Kilometern im Umkreis. Jeden Samstag macht Kollege Johansson seine Große Ölkur - zusammen mit seiner Freundin. Ein Idyll? Heilpraktiker fristen ein hartes Dasein im Sozialstaat Schweden. Gängele, Dirigismus und Verbote haben die freie Naturheilkunde beinahe schon vernichtet.

Das eigene Leiden

Das unverbrüchliche Vertrauen in die Naturheilkunde geht bei Andreas Johansson auf eigene leidvolle Erfahrung zurück: In der Kindheit folgte eine Tonsillitis auf die andere. Schließlich stellten sich quälende Knochenschmerzen ein: Infektrheumatismus. Als jede Bewegung schmerzte und die akademische Therapie erfolglos blieb, machte sich Johansson auf nach Uppsala zu einem alten Naturarzt.

Carl von Linné (Linnaeus)

1707 - 1778
Dem Professor für Medizin, Anatomie und Botanik verdankt besonders die Heilpflanzenkunde wichtige Impulse.
Seine ausgedehnten Forschungsreisen führen L. u.a. nach Lappland, das, obgleich zu Schweden gehörend, für die meisten seiner Zeitgenossen einem unbekannten Kontinent glich. Hier lernte er viele Heilpflanzen der Saamen (Lappen) kennen, die er als erster in seinem Buch "Lappländische Reise" beschrieb.
1735 erschien sein Werk "Systema naturae" (System der Natur): Hier legt L. die Grundlage zur modernen biologischen Systematik (Einteilung der Arten) und Terminologie.
Bezeichnend für L. ist, dass er sich mit seiner eigenen "künstlichen" Systematik (die sich nach Staub- und Fruchtblättern der Pflanzen orientierte) nicht zufrieden gab, sondern bald eine "natürliche" Systematik schuf, eine Einteilung nach Ähnlichkeiten.
In diese "natürliche" Systematik bezog er auch Tiere und Mineralien ein, d.h. die Gesamtheit der biologischen Organismen, mit denen wir in Phytotherapie und Homöopathie heilen.
Die Therapie beruhte auf überlieferten Methoden der Konstitutionsbehandlung und Reinigung; sie war mit gewaltiger Arbeit verbunden, führte aber schließlich zum Erfolg. Noch heute führt Johansson, obwohl seit Jahren beschwerdefrei, konsequent die Große Ölkur durch - wie auch viele seiner Patienten. "Je reiner mein Gewebe", sagt er, "desto klarer bin ich im Kopf". Die Ölkur (s.u.) entstammt der humoralmedizinischen Konstitutionstherapie und dient der Umstimmung und Bearbeitung des "Terrains" bei therapierefraktären chronischen Erkrankungen. Sie kann individuell angepaßt werden und eignet sich besonders für Patienten, die sich nicht scheuen, für ihre Heilung Arbeit zu verrichten. Baukastenprinzip: Schulen und Punkte Um Naturarzt zu werden, muss man in Schweden nicht bis zum 26. Lebensjahr warten: wie jeden Beruf, so kann man auch diesen schon mit 18 ausüben: jedenfalls theoretisch, denn: zunächst muss man erst einmal eine Hochschule besuchen!

Vorgeschrieben ist ein medizinisches Basisstudium im Umfang von 80 Leistungspunkten (Points), welches das theoretische Rüstzeug liefert, das in Schweden ein normaler Hausarzt braucht. (Nicht inbegriffen sind natürlich die für die Ärzte notwendigen Präparationskurse, Laborpraktika u.ä.) Das Erbringen der 80 Points erfolgt auf der Basis von Leistungsnachweisen, entspricht also rechtlich der in Deutschland vorgeschriebenen amtsärztlichen Überprüfung.

Das schwedische System zeigt sich recht flexibel: Ein Abitur ist nicht Voraussetzung für die Ausbildung zum Naturarzt. Ein großer Teil Theorie wird im Fernunterricht aus Büchern gelernt, so dass es von der individuellen Lerngeschwindigkeit abhängt, wieviel Zeit man für dieses Grundstudium benötigt (im Schnitt 2 Jahre).

Die Ausbildung in Naturheilweisen erfolgt - wie in Deutschland - in privaten Schulen. Ein Homöopathie-Studium z.B. dauert zwei Jahre. Auch hier kann vieles im Fernunterricht erarbeitet werden. Jeder Lernabschnitt wird geprüft. Nach zwei Jahren schließt der Kurs mit dem Großen Examen. Als Prüfer fungieren die Lehrer der Schule.

Um als Naturarzt ein bestimmtes Heilverfahren anwenden zu dürfen, muss man dies erlernt und mit einer Prüfung abgeschlossen haben. Dies bedeutet, dass schwedische Kollegen für jedes Naturheilverfahren gesondert ausgebildet werden.

Lehrjahre

Andreas Johansson begann seine Ausbildung mit 17. Die eigene Leidensgeschichte führte ihn zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Bewegungsapparat: Johansson lernte Masseur. Es folgte die Schulung in Fußreflexzonenmassagen und Akupressur. Das Spektrum der manuellen Therapien wurde von der Chiropraktik abgerundet. Neben seiner Praxis absolvierte Kollege Johansson die zweijährige Ausbildung in Homöopathie und die zertifizierte Schulung in Kinesiologie.

Nicht im Telefonbuch

Die Praxis befindet sich in einem großen Haus mitten in Helsingborg. Durch die Fenster blickt man über den Hafen bis hinüber nach Helsingor auf die dänische Seite. Andreas Johansson teilt sich die Miete mit seinem Partner, der ein eigenes Behandlungszimmer hat. Im übrigen besteht die Praxis aus einem Wartezimmer und einem großen "Wohnzimmer".

Johansson hat keine Therapieschwerpunkte. Der Patientenstamm hat sich im Laufe der Zeit seinem Ausbildungsverlauf angepasst: von Massage bis Kinesiologie. Die Menschen kommen zu ihm mit allem nur Erdenklichen; hauptsächlich natürlich chronischen Leiden, aber auch schon mal mit einem akuten Lumbago. Es kommen alle Altersklassen, und sie kommen aus allen Teilen des Landes. Und dies, obwohl die Praxis nie annonciert hat und nicht im Telefonbuch steht.

Aggressiver Dirigismus

Deutsche Chiropraktiker blicken gerne neidvoll auf das Beispiel des Kollegen Ackermann, dem der schwedische Staat aufgrund seiner Verdienste um die Chiropraktik den Doktor der Medizin zuerkannte. Kaum ein Kollege weiß, wie schlimm es in Schweden um Chiropraktiker und Naturtherapeuten wirklich bestellt ist: Schon seit jeher rigoros vom Staat gegängelt, sahen sich die schwedischen Kollegen 1986 einem neuen Sozialminister gegenüber, der sich das Verbot von Homöopathie und Homöopathen auf die Fahnen geschrieben hatte. Durchgesetzt wurde glücklicherweise "nur" Arzneimittel in den Apotheken. Dann verschwanden die Heilkräuter aus der Officin. Die Entwicklung erreichte ihren bisherigen (?) traurigen Höhepunkt vor einem Jahr im Verbot der Vitaminpräparate in Reformhäusern.

Der Heilpraktiker muss deshalb alle von ihm eingesetzten Heilkräuter vorrätig haben. Er kann sie von einer privaten Versandapotheke in Stockholm besorgen. Die Mischung einer Species führt er dann für seine Patienten selbst durch. Über die Versandapotheke kann er auch Homöopathika ordern, z.B. Komplex und Einzelmittel der Firma Metoplex (skandinavischer Ableger von Madaus); und zwar ab der D6, denn alle niedrigeren Potenzen sind - verboten!

Pastor Nils Liljequist

1851 - 1936
Der in Helsingborg (!) tätige Pfarrer gilt als Begründer der Augendiagnose in Schweden L. entdeckte die Irisdiagnose etwa zeitgleich mit dem Ungarn Ignác Péczely. Zwischen den beiden bestand ein Briefkontakt, der später abgebrochen wurde.
1893 (13 Jahre nach P.) veröffentlichte L. sein umfassendes Werk "Om Oegondiagnosen" (Über die Augendiagnose) mit einem ausgedehnten Bildteil.
L. bringt hier erste Korrekturen in der Topographie. Besonders widmete er sich den Farbveränderungen in der Iris (Pigmenten, Heterochromien), die er auf Medikamentenvergiftungen zurückführte.
L. war und dies hat er mit den deutschen Irisdiagnostikern gemein - ein streitbarer Geist, der dogmatisch auf seiner Meinung beharrte. Dies führte zum Bruch mit den deutschen Kollegen und zum Alleingang der schwedischen Irisdiagnostik, der letztlich in die Auflösung dieser Tradition mündete.

Fortbildung auf vielen Wegen

Andreas Johansson hält viel von den alten Naturheilern Schwedens. Und die alten Naturheiler hielten viel von Augendiagnose und Heilkräuterkunden. So ergab es sich, dass Johansson nach einer Einführung in die Iridologie im Heimatland anfing, regelmäßig die Kurse des Uslarer Kreises und des Felke-Institutes in Deutschland zu besuchen. Den Rat hatte ihm der inzwischen verstorbene Naturarzt Sigfrid Levin gegeben: "Augendiagnose sollst Du in Deutschland lernen, Heilpflanzenkunde in Österreich ..." Sigfrid Levin selbst hatte sich in Augendiagnose noch vor dem Krieg im Lehrinstitut Flink-Madaus ausbilden lassen.

Der Eigenbrötler war einer der ganz großen Naturheiler Schwedens. Seine Praxis im Wald bei Jönköping besuchten jeden Tag an die hundert Patienten. Bei Levin ging es entsprechend zügig zu: ein kurzer Blick durchs Iridoskop und das Rezept war fertig.

Andreas Johansson scheut keinen Weg auf der Suche nach weiterem Heilwissen. Wichtig sind nicht nur die Reisen ins Ausland, sondern auch der Gang zum Antiquariat, wo ihm immer wieder wertvolle Schriften in die Hände fallen. Beispielsweise eine Originalausgabe von Liljeqists "Om Oegondiagnosen" mit einer handschriftlichen Widmung des Autors an seine Frau.

Andreas Johansson hat kein Verständnis für diejenigen Kollegen, die es nicht für wert erachten, in den alten Büchern zu lesen. "Die alten Bücher sind die wichtigsten", sagt er. "Wenn ich vor einem Antiquariat stehe, habe ich manchmal so ein Feeling, dass ich hineingehen soll."

Entwicklung in die Zukunft?

Bei den "Hexen" - heilkundigen Frauen - beginnt die Tradition der Naturheiler in Schweden. Die Methoden der Hexen werden oft verlacht, Kollege Johansson hat jedoch gelernt, die Heilkunst der Hexen zu respektieren:
Er weiß von einer Frau, die blind zur Welt kam. Mit ihrer Krankheit wandte sie sich an eine Hexe, der sie erzählte, ihre Mutter habe in der Schwangerschaft mit ansehen müssen, wie ein Schwein geschlachtet wurde, und davon einen Schock bekommen. Die Hexe gebot der Frau, wiederholt Asche von Schweineaugen einzunehmen. Die Patientin wurde geheilt. Die Tradition Linnés in der Heilkräuterkunde oder Liljequists in der Iridologie ist in Schweden längst ausgestorben. Will man sich in diesen Bereichen fortbilden, ist man auf ausländische - deutschsprachige Fachliteratur angewiesen. Deshalb hängt Andreas Johansson so an den alten Büchern, die zum Teil von Heilkundigen verfasst wurden, die selbst noch vor dem Krieg in Deutschland ausgebildet wurden.

In der letzten Zeit erstarkt in Schweden wieder etwas die Homöopathie; trotz oder vielleicht gerade weil der Staat versucht, sie mit allen Mitteln zu bekämpfen. Die Gesundheitspolitik, so Johansson, wird immer noch weitergehend durch die Interessen der fast schon mafiösen Pharmalobby und ihren Schmiergeldern bestimmt, während die schwedische Bevölkerung um die Hintergründe nichts weiß.

Trotz alledem kann Andreas Johansson sagen: "Ich bin sehr zufrieden." Vielleicht strömen die Patienten ihm ja gerade deshalb zu, weil in Schweden jeder Naturarzt ein Rufer in der (gesundheitspolitisch) Wüste ist, umhaucht vom Charisma des einsamen Schamanen. "Ich fühle mich sehr privilegiert; denn alles, was gut ist, kommt auf mich zu. Ich mache meine Arbeit von Herzen."

Große Schwedische Ölkur (n. Blomqvist/Johansson)

Rhizinus-Kur (jedes Wochenende)

1. Frühes Aufstehen

2. Darmeinlauf mit Irrigator

3. zwei große Esslöffel Rhizinusöl oral

4. Im Anschluss an die Einnahme 1/2 h auf dem Rücken liegen

5. Anschließend 3x Darmeinlauf in Abständen von je einer Stunde

6. Ein Esslöffel Rhizinusöl oral

7. Anschließend 5x Darmeinlauf in stündlichem Abstand

Oliven-Kur (ein- bis zweimal monatlich)

1. Frühes Aufstehen

2. Darmeinlauf mit Irrigator

3. Olivenöl oral (2 dl - 1 l!)

4. Rollkur: 15 min rechte Seite: rechtes Bein angewinkelt, Knie gegen Schulter
- 10 min auf dem Rücken liegend
- 10 min auf der linken Seite
- 10 min wieder rechts

5. Darmeinlauf mit Irrigator, dann in stündlichen Abständen fortsetzen bis zum Abend

1) Die übliche Menge sind 2 dl (= 200 ccm); sie kann im Laufe der Zeit gesteigert und individuell angepasst werden. Andreas Johansson selbst trinkt 0,5 Liter!

Anschrift des Verfassers:
Rolf Julian Eichmüller - Fazekas M.A.
Boden 9
95473 Creußen

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Naturheilpraxis 0999