Fachforum

Moderne Ballaststoffe (Prebiotika)

von Michaela Döll und Michael Martin

Die regelmäßige (am besten tägliche) Darmentleerung ist für die Gesunderhaltung des Körpers von größter Bedeutung. Demgegenüber steht die faserstoffarme Ernährung westlicher Industrienationen, die verschiedene Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes wie chronische Obstipation, Divertikulose, Colon irritabile und Colonkarzinome begünstigt. Während hierzulande im Durchschnitt weniger als 30 Gramm Ballaststoffe/Person/Tag konsumiert werden, sind dies in den Entwicklungsländern, wo diese Erkrankungen unbekannt sind, zwischen 50 und 150 Gramm/Person/Tag. Darmkrebs gehört zur zweithäufigsten Krebsart in Deutschland.

Eigentlich assoziiert der Begriff Ballaststoff etwas "Überflüssiges" und in aller Regel auch etwas recht "Grobes". Doch weit gefehlt - wir wissen heute natürlich über die ernährungsphysiologische Bedeutung der unverdaulichen Nahrungsbestandteile. Allerdings sollte tatsächlich darauf geachtet werden, dass die Beschaffenheit der Ballaststoffe "darmfreundlich" ist. Zu grobes Material (z.B. ganze, ungemahlene Körner und Schalen) sind für viele Patienten unverträglich. Bezüglich des Verzehrs von ganzen Getreidekörnern (z.B. in Müsli, Brot, Frischkornbrei) ist daran zu denken, dass Inhaltsstoffe wie Vitamine, Mineralien und Spurenelemente dem Organismus gar nicht zur Verfügung stehen können, da diese Mikronährstoffe "unerreichbar verpackt" sind.

Was sind Ballaststoffe? Es handelt sich um unverdauliche Bestandteile pflanzlicher Nahrungsmittel, welche eine wichtige, gesunderhaltende, da darmpflegende Wirkung aufweisen (siehe Tabelle 1). Beachtenswert dabei ist, dass es auch wasserlösliche Substanzen gibt (z. B. Inulin, Pektin, b-Glucan), die der menschliche Darm ebenfalls nicht resorbieren bzw. verstoffwechseln kann. Davon unterscheiden sich die gut bekannten wasserunlöslichen (z. B. Zellulose) Rohfaserstoffe. Je nach Beschaffenheit der Ballaststoffe, lassen sich unterschiedliche Einflüsse auf das Verdauungsgeschehen und die intestinale Bakterienflora beobachten. Von besonderem Interesse ist die wasserlösliche Substanz Inulin, ein aus Fructoseeinheiten aufgebautes Polysaccharid. Es kommt natürlicherweise in Artischocken oder Chicorée vor.

Was machen Ballaststoffe? Rohfaserstoffe sind in der Lage, aufgrund ihres hohen Wasserbindungsvermögens, sowohl das Stuhlgewicht als auch das Stuhlvolumen zu vergrößern. Dabei ist diese Bindungskapazität entscheidend von der Löslichkeit des Ballaststoffs in Wasser abhängig. Ballaststoffe reduzieren die intestinale Transitzeit von (bei der üblichen Ernährung) durchschnittlich 1 bis 3 Tagen auf 20 bis 28 Stunden. Dabei besteht eine direkte Beziehung zwischen der ballaststoffbedingten Erhöhung des Stuhlgewichtes und -volumens und der Verweilzeit des Speisebreis im Verdauungstrakt: je höher das Stuhlgewicht ist, um so geringer ist die Transitzeit. Und je kürzer die Transitzeit ist, um so schneller werden toxische Substanzen ihrem Einfluss auf die Kolonmukosa entzogen.

Der menschliche Organismus ist nicht in der Lage, Ballaststoffe abzubauen, da ihm hierzu die notwendigen Enzyme fehlen. Somit erreicht das Substrat unverändert den Dickdarm. Neben Volumenzunahme, Wasserbindung, Toxinbindung und mechanischer "Säuberung" bekommt die Bakterienflora des Colons Zugriff auf die unverdauten Substanzen. Ein Teil der physiologischen Dickdarmflora (insbesondere die Bifidobakterien) sind gegenüber dem menschlichen Verdauungssystem sehr wohl in der Lage die Ballaststoffe enzymatisch "zu knacken". Somit stehen die unverdauten Nahrungsbestandteile dieser spezifischen Bakterienflora zur Verfügung. Die Folge: ein stabileres mikroökologisches Milieu. Die verbesserten Überlebensbedingungen der Colonflora drückt sich natürlich auch in einem aktiveren Metabolismus der Keime aus: als "Nebenprodukt" entstehen u. a. vermehrt kurzkettige Fettsäuren, die nun ebenfalls wieder wichtigen Keimgruppen im Colon zur Verfügung stehen.

Interessant ist auch der Einfluss der Ballaststoffe auf den Cholesterin- und Gallensäurestoffwechsel. Im Gegensatz zu den wasserunlöslichen Faserstoffen, können die wasserlöslichen Ballaststoffe wie beispielsweise Inulin eine Senkung des Cholesterinspiegels begünstigen: infolge ihres hohen Adsorptionsvermögens binden diese Stoffe Gallensäuren, führen sie der Ausscheidung zu und fördern damit den körpereigenen Cholesterinabbau.

Tabelle 1: Wirkungen von Ballaststoffen auf den menschlichen Verdauungstrakt
Magen/Darm:
- Volumenvergrößerung der Nahrung
- Besseres Sättigungsgefühl
- Verzögerte Magenentleerung
- Beschleunigung der Dünndarmpassage

Dickdarm:
- Verbesserte Motilität
- Zunahme des Stuhlvolumens und der Stuhlgröße
- Weicher, voluminöser Stuhl
- Verkürzung der Transitzeit
- Energielieferant für die Darmflora
- Vermehrung der Bakterienmasse
- Adsorption von Gallensäuren und Giftstoffen

Das Problem der Ernährungsempfehlungen

Eine Ernährungsumstellung mit einer erhöhten Ballaststoffzufuhr und eine Steigerung des Obst- und Gemüsekonsums wären, im Sinne einer Prävention, wünschenswerte Maßnahmen. Die Deutsche Gesellschaft empfiehlt in ihren "zehn Regeln" für vollwertiges Essen einen täglichen Verzehr von insgesamt mindestens 400 Gramm Gemüse, Salat und/oder Obst. Darüber hinaus sollten die Nahrungsmittel möglichst erzeugernah eingekauft werden und optimalerweise aus kontrolliert-biologischen Anbau stammen. Doch bei allen Diskussionen über die Vorzüge einer solchen Ernährung: ein maximaler Prozentsatz der Bevölkerung ernährt sich nicht nach diesen Regeln (essen Sie eigentlich täglich 400 Gramm Gemüse oder Obst?). Insbesondere die biologische Vollwertkost ist eine für eine große Bevölkerungsgruppe nicht bezahlbare Vorzugsernährung, die ohnehin aufgrund unzureichender Produktionsmöglichkeit derzeit gerade einmal ca. 1-2 % der Bevölkerung zur Verfügung stehen könnte. Neben der Versorgung mit einer ausreichend hohen Menge an Ballaststoffen soll mittels der o.g. Ernährung auch eine optimale Versorgung mit Mikronährstoffen gewährleistet werden. Wie bedeutsam insbesondere antioxidative Nährstoffe für die Gesunderhaltung sind, zeigte schon vor vielen Jahren das Ergebnis der "Baseler Studie" (siehe Tabelle 2). Hier konnte nicht nur gezeigt werden, dass bei einem erheblichen Anteil innerhalb der Bevölkerung keine optimale Versorgung mit Schutznährstoffen zu konstatieren war, sondern darüber hinaus konnte belegt werden, dass das Auftreten cardiovaskulärer Veränderungen bzw. Tumorerkrankungen eng mit einem niedrigen Spiegel antioxidativer Vitamine korreliert.(Tab. 2)

"Mikronährstoffdefizite gibt es in unseren Breiten nicht" ist eine fatale Fehleinschätzung. Der ständige Hinweis auf gesunderhaltende Ernährung ist unbestritten wichtig und kann nicht oft genug in den Mittelpunkt der Beratungsgespräche in unseren Praxen gerückt werden. Doch solange die Nahrungsmittel- und Fast-Food-Industrie mittels psychologisch ausgefeilter Werbung derart massiv die Bedürfnisse und Anschauungen der Bevölkerung manipulieren kann, reicht das Wissen um den theoretischen Wert einer gesunden Ernährung einfach nicht aus! In diesem Zusammenhang muss auch der Staat angeklagt werden, der sich einerseits hilflos gegenüber der Kostenexplosion im Gesundheitswesen gegenüber sieht, andererseits sehr genau die astronomischen Zahlen der ernährungsbedingten Erkrankungen kennt - aber großzügig auf durchgreifende Beratungs- und Aufklärungskampagnen verzichtet. Verbraucherschutz ist bezüglich einer ernährungsphysiologischen Wertigkeit von Nahrungsmitteln nicht vorhanden.

Die letzte repräsentative Studie zum Versorgungszustand der Deutschen Bevölkerung mit Nährstoffen (VERA-Studie) ergab, dass bestimmte Risikogruppen eine nicht befriedigende Vitaminversorgungslage aufweisen. Beispielsweise ist die Versorgung mit Vitamin C insbesondere bei Männern im mittleren Lebensalter (35 - 44 Jahre) häufig schlecht. Bei ca. 17,5 % dieses Personenkreises wurden erniedrigte Vitamin C-Spiegel im Blut gefunden. In der Altersgruppe der 35 - 44jährigen Männer wurden bei 20 % auffallend niedrige Plasma--Carotinkonzentrationen beobachtet. Sowohl mit zunehmendem Zigaretten- als auch Alkoholkonsum steigt die Prävalenz niedriger Plasmakonzentrationen signifikant an. Alarmierend sind die Ergebnisse zur Versorgung der Bevölkerung mit Folsäure: 99 % der Frauen und 97 % der Männer weisen einen Folsäuremangel auf !

Lebenswichtige Effekte durch Antioxidanzien

Reaktive Sauerstoffspezies und freie Radikale stehen in Verdacht durch ihre oxidative Schadwirkung an der Karzinogenese entscheidend mitbeteiligt zu sein. Im Bereich des Colons vermutet man, dass die aggressiven Radikalspezies an der Karzinomentstehung mitbeteiligt sein können. Wie bereits aufgeführt, geben diverse Studienergebnisse hier Hinweise auf eine protektive Wirkung antioxidativer Substanzen (wie z.B. b-Carotin, Vitamin C und E).

Antioxidanzien stehen, nach wie vor, bei der Prävention chronisch-entzündlicher Veränderungen und Krebserkrankungen im Mittelpunkt des Interesses. Sie wirken, aufgrund ihrer radikalfangenden Eigenschaften, nicht nur dem oxidativen Stress entgegen, sondern stimulieren auch die Abwehrkräfte und unterstützen damit unser heutzutage durch Umweltgifte und Stress ohnehin überfordertes Immunsystem. Eine Supplementierung, in Kombination mit Ballaststoffen, ist besonders bei entsprechender Fehlernährung bzw. bei Risikopersonen angezeigt.

Wie sieht eine Ballaststoffreiche Ernährung aus?

- Vollgetreide-Produkte wie Schrotbrot, Vollkornnudeln, Vollreis.
- Obst und Gemüse z.B. frische Salate, feine Rohkost, frisches Obst sowie gedünstetes Gemüse.
- Hülsenfrüchte z.B. Linsen, Bohnen, Erbsen in gekochter Form.
- Gekeimtes z.B. Keimlinge von Weizen, Mungobohnen oder Sonnenblumenkernen.
- Nüsse und Samen z.B. Sesam, Leinsaat, Mandeln etc. (gemahlen oder gründlich gekaut).

Der Gehalt an Ballaststoffen schwankt je nach Getreideart. Dinkelvollkornmehl enthält in der Regel weniger Ballaststoffe als Weizen- und Roggenmehl. Bei den Auszugsmehlen steht Roggen im Vergleich zu Dinkel und Weizen bezüglich der kläglichen Reste an unverdaulichen Bestandteile an erster Stelle.

In vitro Studien haben gezeigt, dass insbesondere kleiehaltige Ballaststoffe die Resorption von Mineralien und Spurenelementen u.U. nahezu vollständig unterbinden können. So ist bei einer Substitutionstherapie bezüglich solcher Elemente darauf zu achten, dass nicht gleichzeitig ballaststoffreiche Nahrungsmittel verzehrt werden. Dies gilt insbesondere für die diversen Ballaststoff-Präparate, aber nicht für Inulin! Neuere Berichte weisen darauf hin, dass die Aufnahme von Calcium, Magnesium und Eisen durch Inulin verbessert wird. Darüber hinaus konnte ein positiver Einfluss auf das HDL/LDL-Cholesterin-Verhältnis sowie den Triglycerid-Spiegel im Serum nachgewiesen werden.

Ist nun der regelmäßige Verzehr der neuartigen Ballaststoffprodukte anzuraten oder nicht?
Angesichts der oben dargelegten Missverhältnisse zwischen theoretischen Erkenntnissen einerseits und der gelebten Realität innerhalb der Bevölkerung andererseits, kann diese Frage eindeutig mit einem ja beantwortet werden. Zweifellos kommt ein wohlschmeckendes, flüssiges Ballaststoffprodukt den modernen Bedürfnissen vieler Menschen entgegen. Darüber hinaus profitieren all jene von den neuartigen Produkten, die aus unterschiedlichen Gründen ballaststoffhaltige Nahrungsmittel ablehnen (z.B. Prothesenträger, alte Menschen). Dennoch gilt in der täglichen Praxis, auf eine Ernährungsberatung keinesfalls zu verzichten. Doch jeder von uns, der in der täglichen Praxis steht, weiß, wie schwer sich unsere Patienten tun, die Empfehlungen dauerhaft umzusetzen. Zu groß ist der Einfluss der Werbung, zu groß ist die Erleichterung bezüglich der Zubereitung der täglichen Mahlzeiten, zu stressig ist die tägliche Auseinandersetzung mit den Kindern am Tisch (iiiiihh, Du mit Deinem Vollkornzeug - das ess´ ich nicht....).

Korrespondenzanschrift:

M. Martin
Schöne Aussicht 14
65232 Taunusstein

Diesen Bericht in vollem Umfang finden Sie in 'Naturheilpraxis' 09/99.

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Naturheilpraxis 09/99