DISKUSSIONSFORUM

Professional - oder: das Ende des Heilpraktikers und seine Zukunft

Ein Essay

Aufgrund vielzähliger sozio-kultureller Veränderungen sind die Bedingungen für das, was gemeinhin unter dem Heilpraktiker, seiner gewachsenen Historizität und seinem therapeutischen Anspruchstun verstanden wird, heute weitestgehend entschwunden. Diese sachlich ernüchternde Feststellung proklamiert ein Ergebnis, nicht eine beliebig zu erhebende Forderung. Dennoch mag es nicht nur manchen kritischen Beobachter unserer Zeit verwundern, daß entgegen programmatisch verkündeter Trendbekundigungen und der durch demoskopische Erhebungen immer wieder neu bestätigten hohen Akzeptanz gegenüber naturheilkundlichen Diagnose- und Behandlungsweisen gleichfalls deren profanes Ende angekündigt werden kann. (1) Es scheint wie ein Paradoxon unserer modernen Zeit. Der konstatierte Werte-Verfall zum heilpraktischen Tun hat subtil perfide Gründe. Unsere moderne Lebenswelt ist bezüglich der überlebensnotwendigen Adaption selbst divergierenster Sinnbildungsprozesse in extremer und überaus rasanter Weise für alle Mitwirkenden in der Art und Weise polarisierend geworden, dafl wir uns zwangsläufig und so lang wie irgendmöglich aushaltend mit einer großen Anzahl von unterschiedlichen Weltanschauungen wie Werten auseinandersetzen müssen. Die unterschiedlichen Werte und Sichtweisen stehen dabei, jeweils um einen hohen Stellenplatz in der Hierarchie der Werte ringend, im offenen Wettbewerb zueinander. Dafür sind nicht zuletzt auch Zeitgründe ausschlaggebend. Eine 2 1/2-Minuten-Kultur ist zwar hochgradig sinnpotent, im Grunde aber in keinster Weise mit gutem Sinn spendabel. Sie verlangt mit Zins und Zinseszins das zurück, was der Gemeinschaft zuerst schnäppchengerecht angeboten und später gleichfalls in bequemer und leichtfertiger Weise wieder genommen wird oder wurde; und das betrifft nicht nur die frei verfügbare Zeit. Bei einem zutiefst widersprüchlichen Erleben gilt es für den modernen Menschen, sich dennoch eine gute und das heißt, für ihn weitestgehend noch als heil oder gesund erlebte Position zu verschaffen. Wahre Gesundheit aber kann niemals partikularistisch gelebt bzw. erlebt werden. Folglich eine heutzutage dennoch unverwechselbare wie vermeintlich gesunde Identität zu finden, heißt sehr bewußt und aktiv in die Auseinandersetzung mit den flukturierenden, teils auch einander konkurrierenden Werteangeboten einzusteigen. Jener Betroffene, der grundsätzlich nach Lebens-Sinn und Heil-Sein trachtet, ist traditionsgemäß die potentielle Klientel des "typischen" Heilpraktikers gewesen. Entspringt seine akribische Suche ursprünglich noch dem Wunsch nach einer subjektiv wie objektiv als gut gelebten Identität, gleicht heutzutage seine aufgebrachte Sinn-Suche mehr und mehr einer genuin angepaßten Tantalus-Identität. Denn selbstbestätigend bedarf es sich ständig wiederholender Überprüfungen, ohne dabei jemals die vollständige Adaption gültiger Werte auch nur annähernd erreichen zu können.

Von alters her verbindet man mit dem von uns heute sogenannten Heilpraktiker jedoch genau die entgegengesetzte Vorstellung. Mit seiner guten Hilfe sollen miteinander konkurrierende Werte in eine für das Gesundsein bzw. Gesundwerden propädeutisch wahre wie ästhetisch schöne und nicht zuletzt auch ethisch gute Einheit (zurück)geführt werden können. Ein anspruchsgemäß umfassendes Behandlungsvorhaben wird nur noch ganz leise und sehr zaghaft angeboten oder gefordert. Denn alle am Heilungsprozefl Beteiligten wissen nur zugut, dafl es heute selbst im gedacht einvernehmlichsten Konsensbeschluß nicht einmal mehr annäherungsweise möglich ist. Ein mehr oder weniger benevolenter Paternalismus ist in keinster Weise mehr unserer Zeit gemäß, und nicht zuletzt deshalb können wir mit dem tradierten Heilpraktikerbild heute wie auch in der Zukunft nicht mehr allzuviel anfangen.

Von "Qualitätssiegeln", einander "verpflichtenden wie selbstverständlichen Qualitäten" und "Bindestrich-Heilpraktikern".

Die Diskussion um eine legitime Heilbefähigung und -befugnis ist so alt wie die Geschichte der Medizin überhaupt, die um den aktuell deutscheigentümlichen Berufsstand des Heilpraktikers zumindest mehr als 60 Jahre. In den für erfolgreiches Weiterbestehen entscheidenden Fragen nach der tragfähigsten zukunfts- und richtungsweisenden Ausdeutung des Heilpraktikergesetzes, weiter einer heilpraktikerspezifisch gefaßten berufsständischen Legitimation, oder noch weiter einer von Staatsseite aus zu regelnden objektiven Bedarfsfrage einerseits bzw. einer individuell zu bestimmenden subjektven Bedürfnislage andererseits, werden seit Jahren interne Auseinandersetzungen geführt. Ob die Einheitlichkeit eines heilpraktikerspezifischen Berufsbildes existenznotwendig oder sogar umgekehrt professionshinderlich ist, ist zudem chronischer Streitpunkt. Viel zu bedeutend für die berufliche Zukunft sind die zu treffenden Entscheidungen. Die höchsteigentümliche berufspolitische Signifikanz der Deutschen Heilpraktikerverbände, die besonderen Berechtigungen der verschiedenen Berufs- und Fachverbände, die alltägliche Praxis einer leit- bzw. leidtragenden Pragmatik von Zulassungs Überprüfungen oder die Fragen bezüglich der staatlichen Übernahme der Ausbildung sowie der möglichen Auswirkungen etwaiger Homogenisierungsbestrebungen innerhalb der Europäischen Union auf den Beruf des Heilpraktikers legen dabei lediglich unterschiedliche Diskussionsstandpunkte offen. Deren Unterschiedlichkeit ist Ausdruck eines alten Grundproblems, nicht aber dessen Ursache. Eine für den Heilpraktikerberuf gute und für ihn zuletzt auch überlebenswichtige Streitkultur kann aber nur dann entstehen, wenn der Gegenstand des Streitens zuvor klar umrissen worden ist. Doch zur Zeit scheinen wir davon etwas entfernt.

Vom Spieglein, Spieglein an der Wand

... Wie "mit einer zu heißen Nadel gestrickt" wird auf Grundlage des § 161 des Niedersächsischen Schulgesetzes von 1997 die niedersächsische Verbandsschule in eine staatlich anerkannte Ergänzungsschule bei freier Trägerschaft umfunktioniert. Dabei wird weder auf die richtigen Inhalte noch die korrekte Schreibweise in der recht willkürlich anmutenden Auflistung einer "Positivliste" geachtet. Was für ein Bild geben die Heilpraktiker dadurch in der Öffentlichkeit ab? Auch wird genausowenig auf die für den gesamten Berufsstand möglicherweise fatalen Auswirkungen infolge einer in dieser Art zusammengestellten "Negativliste" Rücksicht genommen. Genausowenig wer- den die Folgen bedacht, die bei einer auf fixe 18 Monate festgeschriebenen Ausbildungszeit für den Berufsstand entstehen können: ein zweiter "vollwertiger Heilberuf" neben dem universitär bestimmten Arztberuf, und dies in nur 18 Monaten. Es ist eine Illusion! Ein neuer "Heilhilfsberuf", das käme der Wirklichkeit schon näher. (Zur "Heilpraktikerschule nach dem niedersächsischen Schulgesetz anerkannt" siehe: Naturheilpraxis-Politik 1/99, S. 1f)

Weiter wird von der Gesundheitsministerkonferenz im Rahmen ihrer permanenten Diskussion über "unkonventionelle medizinische Methoden" aufgrund einer Entschließung vom 21. November 1997 bei den Heilpraktikern mehr Verbraucherschutz, Transparenz und Qualitätssicherung angemahnt. ("Zur Heilpraktikerfrage". In: Naturheilpraxis-Politik 1/98, S. 1ff) Ein flugs gefundener Zusammenschlufl dreier Fachverbände entwickelt quasi im fachgemeinschaftlichen Alleingang eine Qualitätssiegel-Strategie, die vordergründig den löblichen Zielen einer überaus notwendigen Professionalisierung des heilpraktischen Tuns an sich dienen soll, bei näherem Hinsehen aber eher auf die Aus- und Weiterbildungshoheit und damit ganz entscheidend auf die wirtschaftlichen Interessen der Troika zugeschnitten scheint. Aber weitaus problematischer noch, würde darüber zwangsläufig auch einer fachspezifischen Aufteilung des Heilpraktikerberufs zugearbeitet werden. (Siehe dazu: Naturheilpraxis-Politik 12/98, S. 99 und 1/99, S. 3ff) Fügt man die Vorstellungen, oder gar eigentlichen Motive zusammen, die hinter den Konzepten einer 18monatigen Grundausbildung und den darauf aufbauend und gesondert zu erwerbenden Fachausbildungen zum TCM-Heilpraktiker, Chiro-Heilpraktiker oder Homöopathie-Heilpraktiker etc. ruhen, ist zu erahnen, auf welche Reise der buntbemalte und gleichfalls schwerbeladene Heilpraktiker-Zug geschickt werden soll. Die in Fragen der Fachgemeinschaft neuauferlegte Zurückhaltung der Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und TCM e.V., bezüüglich der eingeleiteten Gütesiegeldiskussion zuerst wieder den engen Kontakt zu den Berufsverbänden der Heilpraktiker zu suchen, um dann weiter in die internen Verhandlungen zu gehen, ist hingegen ein richtiger, weil zu einem vorläufigen Ende gedachter Schritt.

Zur Streitkultur gehören leise Töne und gute Argumente

Dabei gibt es mittlerweile viele gute Argumente zum kulturell anspruchsvolleren Streiten. Man bräuchte beispielsweise nur einmal in die curricularen Verbesserungsvorschläge zu schauen, die von seiten Donhausers gemacht worden sind.(2) Da aber ein betont heilpraktisches Tun in seiner notwendigen inhaltlichen Klärung nicht immer in das wissenschaftliche Gewand paßt, und oftmals eigentlich eine "andere" Qualitätsprüfung verlangt, als die über die festen Standards der Naturwissenschaft, gibt es zudem noch heilpraktikerspezifisch fundamentale Evidenzen und Zusammenhänge zu überdenken, deren stete Wechselbezüge in der anstehenden Diskussion grundsätzlich und immer mitzuberücksichtigen sind. Sofern der qualitätsvoll ausgebildete Heilpraktiker in seinem zu guten Teilen auch "anekdotisch fundierten Tun" sich zu guter Letzt nicht über die Willkür legitimieren will, muß er sich bezüglich seiner erkenntnisleitenden Therapieregeln der Diskussion stellen. Ohne eine grundsätzliche Diskussionsoffenheit würde der Sinn und Zweck des Verkündens vom "Ende des Heilpraktikers" bereits darüber vollständig bestimmt sein, daß es hier ausschließlich um praktische Konsequenzen für die Zukunft geht. Aber damit würden "WIR" tatsächlich über kurz oder lang zu einer Gefahr (für die Volksgesundheit) werden, weil die Forderung nach einer "selbstverpflichtenden Qualitätssicherung des Heilpraktikers" wahrlich redundant ist und wirklich "keiner besonderen Erwähnung bedarf". Allerhöchstens noch wären nach zeitgemäßer Läuterung in bezug auf falsch gewordene Vorstellungen im Heilpraktiker-Sein die therapeutischen Atavismen im Konsensbeschluß durch solche Qualitäten zu ersetzen, die in bezug auf die modern gewordenen Verhältnisse als angemessener eingestuft werden können. Dabei wären die als fließend einzustufenden Grenzen eines holistischen Therapieverstehens vielleicht bei dieser Gelegenheit turnusgemäß wieder einmal neu zu vermessen; mehr aber nicht. Aber wer würde dabei was für und wen beschließen, wer würde die flüchtigen Grenzen markieren, und wer überhaupt würde dafür die Kriterien erstellen, und wonach würden diese dann bestimmt werden? (3) Nach Abschluß eines geselligen Trenne-Spreu-vom-Weizen-Spiels könnte der im Grunde nie wahrhaft diskutabel gewesene Heilpraktikerbegriff problemlos wieder eingeführt oder sogar im einvernehmlichen Stillschweigen übernommen werden. "WIR" sind immer schon gut gewesen. Im gleichfalls bereinigten Gewand sollte der moderne Heilpraktiker, ausgehend von einer Anfang der 90er Jahre durch die Statistik gewonnenen Vorgabe, mit einer 1,5%en Klientenakzeptanz - und die Tendenz ist weiter sinkend - auf eine neue Klientel anziehender wirken können, als jemals zuvor; so wäre das Heilversprechen.

Des Menschen Recht auf Kranksein und Heilpraktikers Pech im Kranksein

Bei sublimer Erfahrung einer reflexiv gewordenen Moderne ist unter dem Eindruck der elektronisch angetriebenen Beschleunigung unseres gesellschaftlichen Wandels das ständig gegenwärtige Krisenbewußtsein zur allumfassenden und damit erkenntnisleitenden Handlungsmaxime geworden. Man hat heute wohl oder übel gelernt, mit der flüchtigen Relativität von Weltbildern als laxen Normalitätsstandard umzugehen. Unter dieser modernen Art von Normalität ist ein genuiner Läuterungsprozeß im Sinne von Bewußtmachung einer therapie-angemessenen oder auch therapie-un-angemessenen Zielgerichtetheit für den Heilpraktiker ohne diskursive Relevanz. Denn es liegt dafür zu keinem Zeitpunkt mehr ein ausreichend gültiges, selbst nicht einmal in Teilbereichen einvernehmlich abstimmbares Bezugssystem zugrunde; und das gilt genau genommen nicht nur für den Heilpraktiker. Für die im Sinne des Verbraucherschutzes unumgänglich notwendige Qualitätssicherung und Transparenz in der Naturheilkunde ist die Bestimmung einer handlungskonstituierenden, und das heiflt einer therapiekonstituierenden Werteuniversalie "therapeutische Wahrheit" auf althergebrachtem Wege nicht mehr möglich. Die einfache Anekdote reicht zur Legitimation nicht mehr aus. Denn mit einer subjektiv relativistischen Weltsicht erstickt man nicht nur jede Erkenntnis, und sei sie auch noch so flüchtig, sondern sogar jeden zu einer möglicherweise guten Erkenntnis hinführenden Prozeß. Jeder hat dann mit allem irgendwie Recht. Solange man lediglich für eine neue, weil zur Zeit bessere Bestimmung des "Heilpraktiker-Begriffs" plädiert, bleibt genau diese alte, uns heute wie zukünftig die Probleme schaffende relativistische Weltsicht in Ordnung. Erst wenn das Spezifische im "Heilpraktiker-Tun" selbst zur Disposition gestellt wird (und das verlangt einigen Mut, denn es könnte nicht sehr viel Text übrig bleiben), wird der Blick frei für einen paradigmatischen Wechsel in der Perspektive, frei zu einem zutiefst läuternden Zurechtrücken des qualitätsbestimmenden Fokus': Weg von der therapeutischen Therapie und hin zu dem an Werten de-orientierten Mit-Menschen.

In keinster Weise soll damit das bekannte Hin zu einer patientenorientierten Medizin gemeint sein. Nein, die These, der Heilpraktiker sollte den erkrankten Mitmenschen tunlichst holistisch, nämlich wie ein radikal verändertes Aura-psychosoma-System begreifen und auch entsprechend behandeln, impliziert weitaus mehr. Sie bedingt ein äußerst kunstvolles Eindringen in die gleichfalls subjektiv wie objektiv de-regulierten Werte des Erkrankten. Eine qualitativ absichernde und das Tun in nachvollziehbarer Weise transparent machende Therapiekompetenz bleibt eine nach wie vor unumgänglich notwendige, nicht aber gleichfalls hinreichende Voraussetzung, sofern über einen durch umfassende Performanz bestimmten Regulationszirkel an und mit dem erkrankten Mitmenschen eine gute Therapie gemacht werden soll. Der Erkrankte wäre per se und in jeder erdenklichen Situation stets als selbstverständlicher Zeitgenosse anzusehen. Und der Heilpraktiker hätte bzw. könnte qua besonderem Therapieauftrag auf den Erkrankten regulierend Einfluß nehmen, allerdings ohne diesem dabei jemals einen kulturellen Ausnahmestatus einzuräumen. Krankheit hat seinen eigenen Status, aber nicht gleichfalls einen Sonderstatus. Denn erst über einen für legitim gehaltenen Ausnahmestatus wird die Berechtigung zu therapeutisch initiierten Inversionsprozessen herleitbar, und dies würde dem technokratischen Therapeuten bzw. ebenso dem semi-technokratischen Behandler erlauben, mehr oder weniger radikal in des Eigenleben des Erkrankten einzugreifen. Unter unglückseligen Umständen könnten aus einem falschen Expertenverstehen heraus dessen Interessen stellvertretend wahrgenommen oder schlimmer noch, er als ein moralisches Eigentum der Therapieprofis betrachtet werden. Letzteres würde bzw. wird zwar tunlichst bestritten und dies mit einigem Recht. Aber es liegt in der Logik der über den Köpfen der Betroffenen zu verabschiedenden vernaturwissenschaftlichen Datenlage, dafl bereits heute in einer aus technischen Obliegenheiten sich heraus verselbständigenden Medizin gleichfalls deren Hybris droht; zumindest bei diagnostiziert infausten Prognosen oder zutiefst desolaten Zuständen. Quasi wie von selbst entsteht eine, wenn auch von allen Beteiligten ungewollt, übermündige Medizin, innerhalb welcher keiner der Akteure mehr wahrhaft aktiv handelt. Das medizinische System hat den über sein Erkranktsein sukzessive unmündig gewordenen Erkrankten zum Zustand des passiven Beobachters seiner selbst verwaltet. Es wären zukünftig durchaus Zustände denkbar, in denen nicht nur alles Körperliche total "medikalisiert" wird. (4)

Zur Philosophie des hilflosen Krank-Seins und zur Philosophie des helfenden Heilpraktiker-Seins
Erkranken bedeutet irgendwie auch abweichen. Abweichen kann ebensogut Befreiung wie Begrenzung bedeuten. Eine die kranken Werte rück-regulierende Tätigkeit des Behandlers, die zu guter Letzt auch für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Identität überaus notwendig ist, hat sich dennoch entscheidend an einer ursprünglich psychisch wie somatisch vorhandenen Integrität des Individuums zu orientieren. Unter Einbezug der therapeutischen Erwartung zu einem Besonderen und in dieser einmaligen Art für das weitere Handeln möglicherweise normativ Neuen und wohlmöglich auch Außergewöhnlichen, den rationalen Zwecken teilweise gar Enthobenen und quasi erst im hermeneutischen Fallverstehen Identischen, ist es für den guten heilpraktischen Therapeuten entscheidbar, ob er und wohin er das Krank-Sein zu leiten hat. Dabei hat er sich in seinen verantwortungsvollen Bemühungen genauso an den von der Gesellschaft geforderten Wertevorstellungen von Gesundheit zu orientieren (und seien diese auch bisweilen noch so abstrus), wie ebenso an den privaten Verstehenswerten des Betroffenen bzw. des Patienten. Ein wahrhaft gutes Behandlertum weist in diesem Sinne grundsätzlich einen doppelten Bezug auf, wonach sowohl universalen als auch partikulären Interessen zu folgen ist. Der wahre Professional weifl um diesen für umfassende Heilung fundamentalen Wechselbezug bzw. er müßte ihn zumindest erahnen können.

Historisch gesehen lag ein derart komplexes therapeutisches Handeln in verallgemeinerbarer guter professioneller Form bislang noch nicht vor. Erfolg war eher ein vereinzelter Glücksfall, oder aber ein in der Zuverlässigkeit des Zufalls beheimateter Akt. Gute Professionalität ist auf das zu diskutierende "Heilpraktiker-Sein" bezogen jedenfalls nicht die überhastete Aufgabe von tradierter Ganzheitlichkeit zugunsten eines Neo-Singulären bzw. einer Bindestrich-Tätigkeit. Denn weder in der bislang vorrangig szientifisch orientierten Medizin, die maßgeblich durch die placeboorientierten und randomisierten Doppelblindstudien legitimiert wird, wird eine derartige Professionalität bislang erreicht, noch kommt man heutzutage in der Komplementärmedizin dem Ziel nach guter Professionalität bereits wirklich nah. Auch kann der Heilpraktiker auf lange Sicht nicht von dem Mangel der bislang zu einseitig vernaturwissenschaftlichten Medizin profitieren. Dieses allein reicht zur Legitimation nicht aus, selbst dann nicht, wenn man dabei unter der Komplementärmedizin nur eine erweiternde bzw. damit zumindest erst einmal werteoffene Medizin versteht. (5)

Die Moritat vom ständigen Lernen

Innerhalb der für die Naturheilkunde notwendigen Professionalisierungsdiskussion sollte in bezug auf eine zukünftig bessere Transparenz und Qualitätssicherung für die regelmäßig angewandten unkonventionellen medizinischen Methoden mit dem Hinterfragen nicht bereits dann Halt gemacht werden, wenn im vorläufigen Abschluß ein gemeinschaftlich beschlossener Ausbildungskatalog in den Statuten steht. Bei einer grundsätzlicheren Klärung müssen mindestens drei weitere Fragekomplexe einbezogen werden: 1. der Komplex der vorrangigen Sicherung von möglicherweise divergierenden Statusinteressen, 2. der der konsequenten Verberuflichung (dies ist zum Zwecke der Abwendung guruider Stigmatisierung im Heilpraktikerberuf notwendiger als in den anderen medizinischen Berufen staatlicher Regelung, insbesondere auch dann, wenn zudem im Heilpraktikerberuf ebenso die Gefahr des sukzessiven Entstehens schnöder Job-Gesinnung besteht) und nicht zuletzt 3. der der kritischen Verwissenschaftlichung (dies, um diskutable Grundlagen dafür zu schaffen, wie zukünftig ein professioneller Heilpraktiker-Beruf aussehen soll). Um einen ebenso wahren, wie schönen und guten Beruf mit einer derart schwierigen Aufgabenstellung und einem dazugehörig weitgefächerten Therapiespielraum ausführen zu können, muß der zu den Aufgaben dieses Berufes sich berufen Fühlende wie gleichfalls fundiert Ausgebildete in bezug auf die dafür gültigen Normen genauso im moralischen Sinne positiv eingestellt wie ethisch geläutert sein. Sowohl wissenschaftlich fundierte Profession, als auch begeisternde Passion, und immer auch eine Portion kreative Improvisation wären habituell als selbstverpflichtende Indizes anzusehen.

Ein lichtes Klagelied

Das Ende des Heilpraktikers kann also durchaus seine Wiedergeburt bedeuten. Aber dabei ist etwas Vorsicht geboten. Wohlmöglich gilt es eine kleine Anekdote als Parabel zu berücksichtigen: "Da ist Käse, guter, fetter Käse, dachte die Maus. Angelockt durch den besonderen Duft verließ die Feldmaus ihr bekanntes Revier. Anfangs zögerlich, doch teils mit übersinnlich erfaßbarer Zunahme der Intensität jener Verlockung schneller und schneller laufend, erkannte sie alsbald das den Leckerbissen verbergende Gebilde. Allzu rasch begab sie sich in das Innere der durch feste Mauern umgrenzten, für sie fremden Behausung. Eilends vergaß sie die soeben verlassenen Freiräume ihrer ureigenen Kultur, lief von Raum zu Raum weiter in das Innerste vom Innersten, als sie am Ende ihres Weges in einem sich zur spitzen Ecke verjüngenden Raume die Verlockung erkannte: eine mit Käse bestückte Mausefalle. Und als sie sich umdrehte, stand da die Katz."

Anmerkungen:

(1) Auf etwa 6.200 Heilpraktikerpraxen (Stand 1990) bezogen, geht man auch 1997 pro Jahr von ca. 15 Millionen Patientenkontakten aus. Die, wie es mir scheint, recht hoch gegriffene Zahl, allerdings immer wieder gerne und vielerorts zitiert, entstammt ursprünglich dem Eingangsstatement zu einem Expertenkolloquium aus dem Jahre 1987 zum Thema: "Heilpraktiker als Ergänzung zur medizinischen Versorgung: notwendig oder überflüssig?". Auf die statistische Durchschnittsgröße einer fiktiven Einzelpraxis berechnet, entspräche das immerhin einer Quote von ca. 2.500 Patienten p.a., wobei im Durchschnitt von zwei bis drei Kontakten je Behandlungsfall ausgegangen werden muß. Damit fiele auf die Heilpraktiker im Jahresdurchschnitt gerade einmal 1,5% der ärztlichen Behandlungen ab. Allerdings wünschen sich gemäß einer Umfrage aus dem Jahre 1994 immerhin rund 60% der Deutschen eine sogenannte alternative Heilbehandlung, dies, so lautet die Einschränkung, sofern ihre Krankenkassen dafür aufkommen würden. Siehe dazu: Donhauser 1997, S. 22 - 24 und Müller 1993, S. 7.

(2) Siehe dazu die überaus wichtigen Verbesserungsvorschläge zur zwingend notwendigen Professionalisierung des Heilpraktikers in: Donhauser 1997, S. 155ff

(3) Ähnliches wird ebenso kritisch von Donhauser diskutiert, wenn er im Sinne von Professionalisierungs,berlegungen davon ausgeht, dafl nach dem Durchlaufen der vier klassischen Professionalisierungsriten von "eigenständiger Fachlichkeit", "berufsethischer Selbstkontrolle", "berufsständischer Solidarität" und "wissenschaftlicher Ausbildung und Lizensierung" ein gänzlich neuer Heilpraktikertypus entstehen kann, der nach damit einhergehender "Neuordnung und ... Höherqualifizierung des Ausbildungswesens" eine "Selbstklärung innerhalb der Berufsgruppe" vornimmt, wonach dessen Funktionen einer Analyse zu unterwerfen sind und man anschließend bestrebt sein wird, "Tätigkeiten, die sie für sich selbst nicht mehr als sachgerecht ansieht, an Angehörige eines anderen Berufes abzugeben". In: Donhauser 1997, S. 156 - 160. Donhauser bezieht sich in seiner Diskussion maflgeblich auf die innerhalb der letzten dreiflig Jahre zunehmend vehementer geführte Professionalitätsdiskussion in der Pädagogik, wo an derem vorläufigen Ende die zunehmend ratloseren elterlichen Laienerzieher in nur noch schwacher Konkurrenz zu den institutionalisierten Facherziehern stehen. M. E. eine nicht ganz unproblematische Entwicklung. Zu lesen etwa in: Dewe, Ferchhoff, Radke (1992), Combe, Helsper (1997) und Giesecke (1993) und (1996).

(4) Siehe dazu die brillante Diskussion zum Medizinzynismus in: Sloterdijk (1983), Bd. I,S. 489-506.

(5) Der an der kritischen Methodologiediskussion in der szientifischen Medizin Interessierte sei beispielsweise auf Hornung (1996) und Kiene (1994) verwiesen, wie an die ebenfalls dort angegebene Literatur.

(6) Zur aktuellen Diskussion um die Heilpraktikerfrage siehe den programmatischen Kommentar Liebau's, der in bezug auf die Vorstellungen der Ländergesundheitskonferenz (GMK) vom 20. und 21. November 1997 im Sinne des Verbraucherschutzes mehr Transparenz und Qualitätssicherung in der unkonventionellen Medizin zu fordern wachrüttelnd Stellung nimmt. Zu lesen in: Liebau 1998, S. 1 - 4. Siehe in diesem Zusammenhang ebenso Donhauser's Professionalitätsdiskussion 1997, S. 155 - 160 und den Schriftwechsel Kuno's in AKODH intern I/1998, S. 24 - 26.

Literatur:

Combe A, Helsper W. Pädagogische Professionalität. Frankfurt/M: suhrkamp, 1997
Donhauser H. Der Beruf des Heilpraktikers.
Bad Liebenzell: synergie, 1997
Dewe B, Ferchhoff W, Radke F-O. (HRSG.) Erziehen als Profession. Opladen: Leske + Budrich, 1992
Giesecke H. Pädagogik als Beruf. Grundformen pädagogischen Handelns.Weinheim: Klett-Cotta, 1993
Giesecke H. Das Ende der Erziehung. Neue Chancen für Schule und Familie. Stuttgart: Klett-Cotta, 1996
Hornung J. (HRSG.) Forschungsmethoden in der Komplementärmedizin. <ber die Notwendigkeit einer methodologischen Erneuerung. Stuttg. Schattauer 1996
Kiene H. Komplementärmedizin - Schulmedizin. Stuttgart: Schattauer, 1994
Kuno M D. Vorstoß des A.K.D.O.H. zur Transparenz u. Qualitätssicherung heilpraktischer Diagnose- und Therapieverfahren. AKODH intern 1/1998; 24-26
Liebau K F. Länderkultusministerkonferenz (GMK): Zur Heilpraktikerfrage. Naturheilpraxis-Politik 1/1998; 1-4
Möller P-A. Unkonventionelle medizinische Richtungen - konventionelle Versicherungen. Naturheilpraxis-Politik 1/1993; 7-9
Sloterdijk P. Kritik der zynischen Vernunft. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1983

HP Dr. phil. Peter-Alexander Möller
Ochsenzoller Str. 189
22848 Norderstedt
E-Mail: moellerpa@aol.com

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Naturheilpraxis 08/99