FACHFORUM

Nährstofftherapie bei Tinnitus und Gehörschäden

von Eleonore Blaurock-Busch

Die Nährstoff- oder Orthomolekular-Therapie kann als Ursachenbehandlung eingestuft werden. Sie wirkt zell-, organ- und stoffwechselunterstützend, wenngleich die erzielten Wirkungen nicht immer spontan sind. Oft treten erste Heilerfolge auch unverhofft auf. Beispielsweise kann ein auf Ohrenprobleme behandelter Patient zuerst kopfschmerzenfrei werden, oder der Blutdruck normalisiert sich. Wo erste Heilerfolge erzielt werden, richtet sich nach der Rekuperationsfähigkeit der jeweiligen Organ- und Zellsysteme.

Die Nährstofftherapie unterstützt Stoffwechselgeschehen und beeinflusst auch auf diese Weise Gesundungsvorgänge. Bei Gehörverlust und Innenohrerkrankungen spielt der Fettstoffwechsel eine wichtige Rolle. Der Mediziner JT Spencer berichtet von einer experimentellen Studie, bei der über 1400 Patienten, die unter Innenohrerkrankungen und Hyperlipoproteinämie litten, ernährungstherapeutisch behandelt wurden. Ein Großteil der behandelten Patienten berichtete über reduzierten Kopfschmerz und Ohrendruck. Auch die Gehörfähigkeit verbesserte sich. Ohrengeräusche konnten reduziert, wenn nicht sogar total beseitigt werden (1). Dr. Spencer ist der Meinung, dass eine verringerte Fettzufuhr die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des inneren Ohrbereiches verbessert und auf diese Weise Heilerfolge erzielt. Die medizinischen Forscher P. Yanick und EJ Gosselin berichteten bereits 1975, dass Hyperlipoproteinämie in 33 % von 90 gehörgeschädigten Testpersonen nachgewiesen werden konnte. (2)

Reaktive Hypoglykämie und die damit verbundene Adrenalinausschüttung, die gefäßverengend wirkt, gilt als Tinnitusursache und wurde auch für den zunehmenden Gehörverlust verantwortlich gemacht. Klinische Untersuchungen von P. Yanick und EJ Gosselin korrelierten Glukosetoleranzmessungen mit Gehörverlust. Von 90 Tinnitus-Testpersonen zeigten 58 % abnormale Glukosewerte. (2) Über ähnliche Ergebnisse berichtet der Mediziner FR Weille. Bei 42 % der von ihm untersuchten Morbus Meniere Patienten konnten deutliche hypoglykämische Reaktionen verzeichnet werden. (3, 4)

Magnesiummangel gilt ebenfalls als ein Faktor in der Tinnitusentwicklung. Es wird vermutet, dass Aminoglycosid-Medikamente den Magnesiumgehalt der Cholea-Haarzellen empfindlich stören und auf diese Weise Hörschäden verursachen. (13) Zusätzlich gelten Elektrolytstörungen als Tinnitusursache. Kalium ist im Endolymph reichlich vertreten, wogegen im Perilymph mehr Natrium vorhanden ist. (14) Bei der Meniere-Krankheit liegt bekanntlich eine Störung der Produktion der Endolymphe vor.

Interessanterweise zeigten hypoglykämische Patienten mit sensorineuralem Gehörverlust zu hohe Kaliumwerte und eine negative Stickstoffbalance. Eine erhöhte Salzzufuhr verbesserte das Natrium/Kaliumverhältnis wie auch die Stickstoffbalance. (15, 16). In der Nährstofftherapie wird idealerweise die Ernährungsweise auf Stoffwechselbedürfnisse abgestimmt. Zusätzlich und vornehmlich wird mit hohen Nährstoffmengen gearbeitet. Das heißt, Nährstoffe werden als Heilmittel eingesetzt. Mit pharmazeutischen Behandlungen im üblichen Sinne kann jedoch die Nährstofftherapie kaum verglichen werden, denn Nebenwirkungen sind selten.

Vor hoher Vitamin-A-Zufuhr wird häufig gewarnt, dabei sind akute Vitamin-A-Vergiftungen äußerst selten und erst dann eine Gefahr, wenn über längere Zeit hinweg mehr als 600.000 IE pro Tag verabreicht werden. Vitamin-A-Mangel wurde mit Ohrenproblemen in Verbindung gebracht. So weißt die Cholea wie alle sensorischen Rezeptoren eine hohe Vitamin-A-Konzentration auf. Bei langzeitlicher Unterversorgung werden auch die Rezeptoren mangelhaft versorgt. (5) Anhand klinischer Forschungen konnte festgestellt werden, dass bei hörgeschädigten Patienten häufig niedrige Vitamin-A-Serumwerte festgestellt werden können. (6) Der Arzneimittel-Analytiker und Autor H. Scholz schreibt in seinem Buch Vitamine bauen uns auf, dass die Praxis gezeigt hat, "dass sich manche Formen von Schwerhörigkeit und Ohrensausen in sehr erfolgreicher Weise mit dem Vitamin A bekämpfen lassen, doch benötigt man hierzu Mengen von täglich 150000 IE." Das entspricht dem 30fachen Tagesbedarf. "Viele Ohrenbeschwerden," so schreibt H. Scholz "lassen sich in unerwartet günstiger Weise beeinflussen". Dr. G. Venzmer ist der Meinung, dass Arbeiter, die in Fabriken und Betrieben einer außergewöhnlichen Lärmentwicklung ausgesetzt sind, durch hohe Vitamin-A-Gaben vor Gehörschäden geschützt werden könnten. (7)

Vitamin A- wie auch D-Mangel kann Otosklerose verursachen. Als Ursache dieser vor allem bei Frauen auftretenden Erkrankung der knöchernen Kapsel des Labyrinths werden Störungen im Knochenstoffwechsel diskutiert. Der amerikanische Mediziner Brookes berichtet von klinischen Erfolgen, die auf die Supplementation mit Vitamin A und Calcium zurügeführt werden konnten. (8, 9)

Interessanterweise konnte die Tinnitusentwicklung mit hohen Aluminiumbelastungen in Verbindung gebracht werden. Yanicks klinische Arbeiten verdeutlichen, dass Aluminiumbelastungen die Serum-Phosphatwerte wie auch den Calciumstoffwechsel negativ beeinflussen. (10) Diese Wechselwirkung von Aluminium und Calcium konnte demonstriert werden. Sobald der Calciumstoffwechsel ausreichend unterstützt wurde, normalisierten sie Phosphat- wie auch Aluminiumwerte. (11, 12) Während der Schwangerschaft wird allgemein eine Verschlechterung der Otosklerose-Symptomatik verzeichnet, was höchstwahrscheinlich auf den erhöhten Nährstoffbedarf und insbesondere die hohe Calciumanforderung während dieser Zeit zurückzuführen ist. Bleibelastungen wurden ebenfalls mit Tinnitus und einer Reihe von Gehörerkrankungen in Verbindung gebracht. Blei beeinflusst Gehirnfunktionen, verursacht Störungen des Nervensystems, blockiert Enzymfunktionen und stört auf diese Weise die zink- und kupferabhängigen oxidativen Prozesse in den Mitochondrien des inneren Gehörganges. Außerdem kann Blei den Phosphorgehalt der Cochlea empfindlich reduzieren. (17)

Klinische Forschungsarbeiten des amerikanischen Mediziners Shambaugh zeigen, dass 20 % der älteren Patienten mit Gehörproblemen einen deutlichen Zinkmangel aufweisen, der wiederum die Schwermetallaufnahme begünstigt. Eine entsprechende Zinksubstitution erzielte merkliche Besserungen. Bei 25 % der Patienten ergab die Zinktherapie positive Reaktionen, die teilweise sehr schnell verzeichnet wurden. Einige der Patienten klagten über Nebenerscheinungen wie Übelkeit oder Verdauungsbeschwerden, wobei diese Reaktionen präparatebedingt waren. Sobald andere Zinkpräparate wie Zinkglukonat oder -chelat anstatt Zinksulfat eingesetzt wurden, verlief die Zinktherapie nebenbeschwerdefrei. (Zinksulfat kann Magenschleimhäute irritieren). (18) Nachdem Zink allgemein die Magensäureproduktion steigert, sollten Zinkpräparate vorsichtshalber nicht auf nüchternem Magen eingenommen werden.

Zur Diagnose akuter Störungen des Mineralstoffwechsels werden meist Serum- oder Vollblutuntersuchungen durchgeführt, wobei erwähnt werden muss, dass bei chronisch Erkrankten selten hohe Schwermetallwerte im Blut festgestellt werden. Hohe Blutbelastungen weisen auf eine akute Aussetzung, die während der letzten 48 Stunden bis maximal 72 Stunden stattgefunden hat. Niedrige Blutwerte der essentiellen Mineralstoffe und Spurenelemente sind Zeichen deutlicher Ernährungsfehler oder akuter Stresszustände. Bei niedrigen Blut-Elektrolytwerten ist der Patient bereits sehr krank. Hormonfunktionen sind geschwächt oder erschöpfte Speichervorräte lassen ein schnelles Zugreifen auf das notwendige Mineralstoff nicht zu. Die Herzinfarktgefahr kann beispielsweise durch eine ausreichende Nährstoffversorgung der Gewebe weitgehend gebannt werden.

Vermutet man eine über Zeit erfolgte Schwermetallbelastung oder chronischen Mangel, so sollten Gewebewerte überwacht werden. Die Haarmineralstoff-Analytik (HMA) weißt auf Unter- oder Fehlversorgungen lange bevor diese im Blut verzeichnet werden. Chronische oder zurückliegende Belastungen werden frühzeitiger erkannt, und zwar lange bevor akute Vergiftungserscheinungen auftreten. Gezielte Minderalstoffuntersuchungen erlauben ein frühzeitiges Eingreifen. (19) Werden nach Einsatz der Nährstofftherapie negative Reaktionen erzielt, so sind diese häufig durch die eingesetzten Nährstoffpräparate im Sinne einer Nahrungsmittelunverträglichkeit verursacht. Patienten reagieren beispielsweise nicht auf Calcium, sondern auf die in dem Präparat vorhandenen Grund- oder Zusatzstoffe wie Milchzucker (Laktose), Farb- und Füllstoffe. So kann eine Hefeempfindlichkeit Ursache einer sogenannten B-Vitaminverträglichkeit sein.

Glutenintolerante Patienten, die über Vitamin E-Reaktionen klagen, reagieren meist auf den Grundstoff Weizen. Sobald man in solchen Fällen sogenannte hypoallergene Nährstoffpräparate einsetzt, stellt sich der Erfolg meist schnell ein. (20)

Zwar wird die Nährstofftherapie erst zögernd bei Ohrenerkrankung eingesetzt, doch bisherige Erfolge sind beachtlich. Sie dürfen den Menschen, die sich mit diesen frustrierenden Krankheitsbildern mehr oder weniger zurechtgefunden haben, neue Hoffnung geben.

Literatur: