Diskussionsforum

Berufsständische Professianalisierung

von Ursula Tüffel

Vorwort

Seit mehreren Ausgaben der Naturheilpraxis gibt es jetzt dieses "Diskussionsforum" über das wichtige Thema einer evtl. berufsständischen Professionalisierung. Das Diskussionsforum hat sehr unterschiedliche Denkansätze zu diesem Thema widergespiegelt: philosophische, dogmatische und pragmatische. Es kann nicht Aufgabe der Zeitschrift sein, Meinungen nicht zu veröffentlichen, auch wenn sie von starkem Wunschdenken geprägt sind oder der Realpolitik der Verbände entgegenläuft. Stets sind sie als Ausdruck persönlicher Vorstellungen zu respektieren und sie geben ein Bild von dem, was sich der Praktiker eigentlich wünscht. Wenn also z. B. der Wunsch nach einem einzigen starken Verband geäußert wird, so erscheint das zwar bei der gegenwärtigen Verbandslandschaft nur schwer realisierbar, ist aber Ausdruck für eine möglichst enge Zusammenarbeit aller Verbände, die nach außen eben "wie ein Verband" für den Gesamtberufsstand handeln sollen. - Und dieser Wunsch der Basis kann für die Verbände doch eine äußerst wichtige Information sein, wie auch die weiteren Vorstellungen zur berufsständischen Professionalisierung

Redaktion

Das Berufsbild des Heilpraktikers hat sich seit Einführung des Heilpraktikergesetzes grundlegend gewandelt. Man darf wohl davon ausgehen, daß seinerzeit Phytotherapie, Homöopathie, Aschnerverfahren, die Hauptsäulen der angewandten Heilmethoden waren. Heute haben sich unzählige Verfahren dazugesellt, um nur einige zu nennen: mit Hilfe von Elektrogeräten (z.B. Elektroakupunktur nach Vall), Bestrahlungen (z.B. Infrarot, UV), energetisches Heilen (z.B. Reiki, geistiges Heilen), Aroma- und Farbtherapie, TCM, Akupunktur, Ayurveda usw. Viele dieser Methoden basieren auf philosophischen, physiologischen und psychologischen Grundlagen, die denen des Westens von ihrem Wesen her fremd sind und einer grundlegend anderen Ausbildung bedürfen als die, der ein Heilpraktiker heute unterworfen ist.

Dies bedeutet, daß sich der Heilpraktiker einerseits als Schmalspur-Mediziner ausbilden lassen muß, wobei es naturgemäß schwerfällt die ganzheitliche Betrachtungsweise, die ja das Hauptmerkmal des Vorgehens eines Heilpraktikers ist, nicht aus den Augen zu verlieren. Andererseits muß sich der Heilpraktiker mit verschiedenen der o.g. Methoden intensiv befassen und eine oder mehrere zusätzliche Ausbildungen absolvieren. Für die Qualität dieser letzteren gibt es bei uns derzeit keinen allgemeingültigen und anerkannten Qualitätsstandard. Folgendes Beispiel ist stellvertretend für alle anderen Verfahren zu verstehen: so manches der o.g. Verfahren wird im Schnellgang erlernt. Heilpraktiker und Ärzte belegen z.B. 3 Wochenendkurse Homöapathie und wenden sie dann an. Welch Wunder, wenn sie dem Patienten dann nicht hilft und sich der Patient von der Homöopathie ebenso enttäuscht abwendet wie der Arzt/Heilpraktiker.

Der Heilpraktiker sollte sogar mehrere Verfahren und Methoden beherrschen oder wissen welcher Therapeut ergänzend helfen kann, denn keine Einzelmethode kann alle Gesundheitsprobleme lösen, doch wo liegt hier die Grenze? Wie viele Methoden kann ein Heilpraktiker wirklich gut beherrschen? Die Anzahl und Gründlichkeit der Kenntnis einzelner Methoden ist dem Heilpraktiker vom Gesetz her freigestellt. Allein die Sorgfaltspflicht erlegt ihm/ihr gesetzliche Grenzen auf, persönlich gesehen sein/ihr Verantwortungsbewußtsein, die Kenntnis seiner/ihrer eigenen Grenzen.

Um die eigenen Kenntnisse richtig einschätzen zu können, müßte man aber erst einmal wissen, was die Ausbildung in einer konkreten Methode beinhalten muß. Bei der Vielzahl der angebotenen Seminare, Kurse, Lehrgänge ist dies fast unmöglich! Mundpropaganda hat ihre Grenzen, denn was der eine als ausreichend oder ausgezeichnet betrachtet, kann bei genauerer Überprüfung völlig unzulänglich sein.

Betrachten wir die Situation des Patienten. Er steht Heilpraktikern, Ärzten und anderen Therapeuten gegenüber. Bei den Ärzten kann er sich an deren Spezialisierung (Orthopäden, Internisten usw.) orientieren. Der Heilpraktiker arbeitet ganzheitlich, das weiß auch der Patient - doch welche Methoden wendet er an? Hier kann der Patient nur anrufen und sich erkundigen, oft genug kann er sich unter den benannten Therapieformen nichts vorstellen, zu zahlreich und verwirrend. D.h. im Umkehrschluß, daß dem Patienten niemand die Verantwortung für die Wahl der Therapie abnehmen kann, auch der Gesetzgeber -nur Arzt und Heilpraktiker dürfen heilen- hilft hier nicht weiter. In allen Berufen gibt es sog. "schwarze Schafe", daran ändern auch staatl. Prüfungen nichts, man denke nur an straffällig gewordene Juristen. Der Patient braucht eine Anlaufstelle, wenn er das Gefühl hat einem verantwortungslosen Behandler begegnet zu sein.

Meines Erachtens sind verschiedene Schritte erforderlich, um sich den heutigen Gegebenheiten anzupassen, die Qualität zu sichern und dem Patienten Orientierungshilfen zu geben. Hierbei lohnt sich auch ein Blick über die Grenze, z.B. nach Groß-Britannien.

1. Die Heilpraktiker sollten sich in einem einzigen Verband bundesweit organisieren, der eine Vertretung in jedem Bundesland unterhält, die als Anlaufstelle für Patienten und Heilpraktiker dient. Dieser Verband könnte mit einer Stimme sprechen und würde bei Politikern eher Gehör finden, als viele Miniverbände.

2. Jede therapeutische Methode, seien es nun Phytotherapeuten, Homöopathen, Heiler, sollte einen Bundesverband aufbauen, der für die Ausbildung zuständig ist. D.h. Ausbildungsgänge entwickeln, die Praxis und Theorie ebenso beinhalten wie das zugehörige erforderliche medizinische Wissen, das für diese Methode benötigt wird. Diese Initiative muß von den Therapeuten einer bestimmten Methode ausgehen, denn nur sie haben das hierfür erforderliche fundierte Wissen und Erfahrung. In der Homöopathie, Fußreflexzonenmassage, Aromatherapie gibt es bereits solche Gruppen. Wer diese Ausbildungsgänge durchläuft, deren Dauer von der Methode abhängig ist, sollte sich einer Prüfung unterziehen und ein Zeugnis erhalten. Jeweils ein Vertreter dieser Verbände sollte im Vorstand des Bundesverbandes Heilpraktiker sein oder diesem als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Diese Fachverbände sollten auch Patienten fachübergreifend beraten können und eine Anlaufstelle für Beschwerden sein, denen nachgegangen wird. Sind Beschwerden begründet, müßte der Betreffende aus dem Verband ausgeschlossen werden und seine Anerkennung verlieren.

3. Die Ausbildungsgänge sollten staatlich anerkannt werden, in dem Sinne, daß die Heilpraktikerprüfung entweder durch diese Prüfungen ersetzt wird, oder die Heilpraktikerprüfung auf dieses spezielle Gebiet beschränkt wird. Es versteht sich von selbst, daß die Prüfer die jeweilige Therapie selbst beherrschen müssen. Ein Arzt sollte als Beisitzer anwesend sein. In der Heilpraktikerprüfung wird derjenige, der als künftigen Arbeitsbereich die klassische Homöopathie angibt, mit Fragen konfrontiert wie: Der Patient hat diese beiden Symptome oder jene Krankheit, welches homöopathische Mittel verschreiben Sie? Jeder Homöopath weiß, daß diese Frage so nicht beantwortet werden kann, aber der fragende Mediziner weiß das oft leider nicht. Die Ausbildungsgänge könnten in Form einer Fachschule (wie z.B. die der Erzieher) erfolgen. Auch Ärzte müßten diese Ausbildungen ebenfalls absolvieren, wenn sie diese Therapien anwenden wollen. Die Ausbildungen sollten flexibel gestaltet werden, damit bereits erlangte und nachgewiesene Kenntnisse nicht wiederholt werden müssen.

Unter Punkt 2. und 3. Beschriebenes existiert bereits in England, die Ausbildungsqualität ist dort so hoch, daß die Verbandsausbildungen automatisch als qualifizierte staatliche Berufsausbildung anerkannt sind, was für andere Kurse/Seminare minderer Qualität nicht zutrifft. In England beträgt die Ausbildungszeit z.B. für Fußreflexologen, einschl. medizinischer Inhalte, 2 Jahre bei Teilzeitunterricht. Der Heilpraktiker würde dann als Zusatz z.B. "geprüfter Fußreflexologe" heißen oder sich "geprüfter Fußreflexologe (HP)" nennen. Der Patient wüßte, was der Heilpraktiker macht und, daß dieser eine fachlich und qualitativ hochwertige Ausbildung absolviert hat. Der Heilpraktiker dürfte nur die erlernten Methoden praktizieren, ähnlich der Situation eines Masseurs. Der "allround" Heilpraktiker sollte daneben jedoch bestehen bleiben und zusätzliche Ausbildungen mit "geprüfter ..." angeben dürfen.

4. Für alle Heilberufe sollte es Pflicht sein, sich über alle anderen verfügbaren Therapien soweit kundig zu machen, um erkennen zu können, welche seinem Patienten zusätzlich weiterhelfen kann. Ein umfassendes Nachschlagewerk, Arbeitskreise, Austausch zwischen den Heilberufen, könnte diesem Bedürfnis gerecht werden.

5. Absolut erforderlich ist hierbei, daß Heilpraktiker, Ärzte, Heilhilfsberufe und Therapeuten der Komplementärmedizin eng zusammenarbeiten. Das Wort alternative Medizin sollte aus unserem Vokabular gestrichen werden! Der Fußreflexologe verweist z.B. an den Phytotherapeuten und/oder dieser an den praktischen Arzt und umgekehrt. Damit wäre eine ganzheitliche Behandlung des Patienten gewährleistet. Enge Zusammenarbeit zwischen Heilberufen führt dazu, daß der Patient an den richtigen Therapeuten verwiesen werden kann, ohne daß dieser von Pontius zu Pilatus laufen muß! Auch diese Form der Zusammenarbeit wird in Groß-Britannien praktiziert, dort ist es eine Ausnahme, wenn dies nicht geschieht, bei uns ist es eine Ausnahme, wenn Kooperation stattfindet. Es ist immer wieder zu beobachten, daß Positionsgerangel, Sicherung der eigenen Existenzgrundlage dem Wohl des Patienten vorangestellt wird. Wenn wir verantwortlich handeln, steht das Wohl des Patienten an erster Stelle. Bei enger Zusammenarbeit und Weitergabe der Patienten an andere Therapeuten gibt man evtl. einen Patienten ab, doch erhält man auch wieder neue. Langfristig dürfte diese Form der Kooperation für alle Beteiligten am vorteilhaftesten sein.

6. Die Standesorganisation der Ärzte muß über kurz oder lang ohnehin von ihrem Verbot der Zusammenarbeit mit Heilpraktikern Abstand nehmen. Viele Ärzte halten sich im Stillen jetzt schon nicht daran, weil sie die komplementären Methoden als erfolgreich kennengelernt haben. Warum also diesen Schritt nicht schon jetzt offiziell wagen? Sie würden vom Patienten mit Achtung für die Korrektur eines falschen Weges belohnt. Auch die Heilpraktiker sollten für neue komplementäre Methoden offener sein. Leider sind wir in Deutschland, aus welchen Gründen auch immer, viel zu konservativ, verdammen schnell etwas Neues, meist bevor wir uns wirklich intensiv damit auseinandergesetzt haben. Nur so ist zu erklären, daß die Osteopathie bei uns erst seit relativ kurzer Zeit Fuß zu fassen beginnt, obwohl sie bereits in den 30er Jahren entwickelt wurde und seit vielen Jahren in Frankreich, England und USA ein eigenständiger, staatlich anerkannter Heilberuf ist.

7. Dieser Punkt ist zwar nicht der Wichtigste - das Wichtigste kann nur die Gesundheit des Patienten sein - doch ist er aus ökonomischer Sicht nicht zu vernachlässigen. Eine Kooperation zwischen den verschiedenen Therapieeinrichtungen wird die Kosten für das Gesundheitssystem stark senken, auch dann, wenn die komplementären Therapien von den Krankenkassen erstattet werden. Die Kassen haben einen Anfang gemacht, laufen aber immer noch mit Scheuklappen herum, da sie darauf bestehen, daß nur von Ärzten angewandte komplementäre Therapien erstattungsfähig sind. Damit machen sie z.B. in der Homöopathie den Bock zum Gärtner! Welcher Mediziner drückt nochmal für 2-3 Jahre die Schulbank, um eine komplementäre Therapie wirklich gründlich zu erlernen? Ärzte und Heilpraktiker, die dies tun gibt es, doch nicht genug.

8. Der Heilpraktiker, so wie er derzeit besteht wird Schwierigkeiten haben sich in einem vereinigten Europa zu behaupten. Das Berufsbild ist zu vage - er darf alles, nur die Sorgfaltspflicht bremst ihn. Das medizinische Wissen - auch bei den verschärften derzeitigen Prüfungsinhalten - ist nur oberflächlich. Für alle anderen Therapien gibt es keinerlei Qualitätsgarantie, weil es hierfür keine standardisierten Ausbildungs- und Prüfungskriterien gibt. Ist es dann nicht in jedem Falle vorzuziehen, daß jede Therapieform diese Voraussetzungen selbst schafft? Und zwar bevor sich ein zweiter Herr Lannoye einfindet, der diese Ausbildungen an die Universitäten verlegen, d.h. sie verwissenschaftlichen will, obwohl die Erfahrungsmedizin ausgezeichnet belegt, aber nach den geltenden wissenschaftlichen Kriterien nicht immer beweisbar ist. Die Erkenntnis, daß Homöopathie, Osteopathie usw. dort noch wirken, wo die Medizin an ihre Grenzen gestoßen ist, setzt sich immer mehr durch.

Jetzt einen hohen Ausbildungsstandard schaffen, der für die EU-Gremien nachvollziehbar ist, bevor er von diesen eingefordert wird, bietet die Freiheit ohne deren oft unsinnige Einmischungen, ein funktions- und tragfähiges System aufzubauen. Hier ist inzwischen Eile geboten! Auch dieser Weg wird in England beschritten, bisher mit Erfolg. Der Vorteil: die lokalen Gegebenheiten und Gesetze können berücksichtigt und eingebracht werden. Da Qualität und Transparenz dann gesichert sind, brauchen die EU-Gremien nicht mehr einzugreifen.

9. Das Wort "Heilpraktiker-Schwemme" läuft seit geraumer Zeit um. Wenn in einer Stadt mit 165.000 Einwohnern 180 Heilpraktiker registriert sind und praktizieren, besteht eine Überversorgung oder vielleicht doch nicht? Heilpraktiker, die eine Therapieform gründlich erlernen und praktizieren wollen, müssen aufgrund der Gesetzeslage die HeilpraktikerPrüfung ablegen. Da sie einen hohen Kosten- und Zeitaufwand auf sich nehmen, befassen sie sich während der Ausbildung auch mit "alternativen" Methoden, die bei der Prüfung abgefragt werden können. Oft werden sie dann "allround" Heilpraktiker. Viele bleiben aber bei einer Therapieform, bilden sich weiter und vertiefen diese - also Ein-Methoden-HP's! Bei der langen Ausbildungszeit z.B. für TCM, Homöopathie ist dies auch sinnvoll. Da sich aber alle unterschiedslos Heilpraktiker nennen sieht es nach einer Schwemme aus. Betrachtet man jedoch die angewandten Therapien, wäre die Bezeichnung Homöopath, Osteopath, Cranio-Sacral-Therapeut usw. richtiger und ehrlicher, für den Patienten klarer. Ich frage mich manchmal wie viele Heilpraktiker ein Patient anrufen muß, um herauszufinden, wer Homöopathie, TCM, Akupunktur usw. praktiziert. Bei weniger verbreiteten Therapieformen sicherlich recht viele!

10. Das hier vorgestellte Modell würde:

11. Grundvoraussetzungen:

In anderen Ländern wurde dieses Modell bereits verwirklicht, ohne daß die Therapievielfalt, Patienten, Therapeuten und Ärzte darunter gelitten hätten - eine Realisierung ist auch bei uns möglich. Hier wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, sondern lediglich eine Möglichkeit der Neuorganisation aufgezeigt, die den Wandel des Heilpraktikerbildes und die zahlreicher werdenden therapeutischen Methoden berücksichtigt. Die Verantwortung, unseren Beruf den ethischen und moralischen Erfordernissen entsprechend zu gestalten, liegt bei jedem einzelnen von uns.

Anschrift der Verfasserin:
Ursula Tüffel
Heilpraktikerin
Hohenzollernstraße 14
66031 Saarbrücken
Tel./Fax 0681/589 39 46

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Naturheilpraxis 07/99