Bei einem seit langer Zeit bestehenden und sich ständig weiterentwickelnden Wissensgut, wie dem der Medizin, ist es überaus hilfreich, sich hin und wieder auf die Basis und die eigentlichen Wurzeln zurück zu besinnen.
Die Medizin und alles, was irgendwie mit Heiltätigkeiten zu tun hatte, war ursprünglich keine sich selbst entwickelnde Einheit oder gar "Wissenschaft", sondern sie war eher den Bereichen verschiedenster Religionen und Kulturen zuzuordnen. Unterschiedliche Traditionen, Sitten und Gebräuche sowie Erkenntnisse der jeweiligen Bevölkerung haben sich im Laufe der Jahrhunderte z. T. unabhängig voneinander entwickelt und präzisiert - aus diesen individuellen Gegebenheiten heraus ist die eigentliche Heilkunde entstanden und maßgeblich geprägt worden. Die Kriterien bzw. Grundlagen des medizinischen "Sich-Weiterentwickelns" bzw. Forschens waren zu Beginn vorwiegend empirische Verfahrensweisen. Schon im 5. vorchristlichen Jahrhundert stellten dies z. B. vor allem das Wahrnehmen, Beobachten, Sammeln, Nachfragen, Dokumentieren, Ordnen und Bewerten dar.
Auch heute noch können empirische Modelle und Eruierungsstrukturen zu Anregungen bei wissenschaftlichen Erkenntnissen bzw. Erkenntnistheorien führen.
Die Naturwissenschaft und die Empirie stehen sich somit keinesfalls als Antagonisten gegenüber.
Die Bedingungen einer naturwissenschaftlichen Erkenntnistheorie sind vorwiegend die Merkmale der objektiven Wiederholbarkeit, der Gültigkeit an jedem Ort sowie die Überprüfbarkeit, und die Vorhersagbarkeit von einzutreffenden Ergebnissen, die bereits vorher auf gesicherten Erkenntnissen ihr Fundament haben. Dieses zu gewährleisten funktioniert wohl dann am besten, wenn man die Grundlagenwissenschaften wie Mathematik, Physik und Chemie heranzieht. Die o. g. Naturwissenschaften verdanken ihre hohe Akzeptanz vor allem ihrer rationalen Nachvollziehbarkeit, Genauigkeit und Folgerichtigkeit. Die Mathematik hat sich hierbei als ein entscheidendes Denkinstrument herauskristallisiert, so daß der Inhaltswert der einzelnen Wissenschaften an ihrem Gehalt - dem der Mathematisierbarkeit - gemessen werden kann.
Allerdings erreichen diese o. g. "hehren Verfahren" auch ihre natürlichen Grenzen. Man muß sich z. B. nur Bereiche der Histologie bzw. Pathologie anschauen, die ohne deskriptive Verfahren kaum bestehen könnten. Vertrauenswürdigkeit und Exaktheit sind in der Forschung und somit der Wissenschaft das Maß der Dinge, alles andere ist nachrangig zu behandeln.
Gerade die überaus eindrucksvollen Erkenntnisse, welche zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Bereichen der Mechanik, Wärmelehre, Optik und Chemie getätigt wurden, verführten zu der Annahme, daß derartige Entdeckungen und Erfolge auch auf den Menschen bzw. die Medizin im Rahmen der Wissenschaftlichkeit zutreffen würden.
Eine wesentliche gedankliche Schwierigkeit kristallisierte sich jedoch schon bald heraus: Wie sind Gesetze der unbelebten Natur auf lebendige Wesen anzuwenden, da Erscheinungen und Auftreten alles Lebendigen angeblich "besonderen Gesetzen" unterliegen soll? Diese Gedankengänge, daß nämlich für alles Lebende Sondergesetze gelten würden, mußte auf breiter Front "bezwungen" werden. Erst ca. gegen Mitte des 19. Jahrhunderts war dies vollbracht, so daß eine Ableitung wissenschaftlicher physikalischer und chemischer Gesetze auf lebendige Wesen akzeptiert und anerkannt wurde.
Dabei stellte sich im Laufe der Zeit eine bis heute noch nicht überwundene Problematik ein:
Die sich allmählich herausstellende innige Wissenschaftsgläubigkeit veranlaßte größtenteils auch Mediziner die Meinung zu vertreten, daß letztendlich durch genaue wissenschaftlich-analytische Untersuchungen alle Zusammenhänge und Fragen erkrankter Menschen lösbar seien. Hierin liegt wohl auch das Problem der Zersplitterung der Medizin in viele Spezialbereiche und der Aufteilung des Menschen nach Organen und Organsystemen, wodurch die ganzheitliche Betrachtungsweise - bzw. die Bemühung, den Patienten in seiner persönlichen, individuellen Einmaligkeit zu sehen - bei Diagnose und Therapie verloren ging.
Vor allem Heilpraktiker und auch kritische Ärzte spüren die Grenzen einer nur an der Wissenschaftlichkeit orientierten Medizin. Ein Nachteil dieser Art der Heilkunde ist auch der Fakt, daß sie teilweise - z. B. gerade bei chronischen Erkrankungen - versagt und den Leidenden keine wirklich wirksamen Verfahren anbieten kann. Darüber hinaus ist ein weiterer Diskussionspunkt, wie man mit Ängsten, Einstellungen, Phantasien, psychologischen und soziokulturellen Aspekten usw. im Rahmen einer nach gültigen wissenschaftlichen Vorgehensweisen ausgerichteten Medizin im Sinne des Patienten umgehen bzw. an sie herangehen soll.
So gesehen verwundert es nicht, daß sich Patienten nach Alternativen im Heilungsbereich umsehen - wie immer diese auch aussehen mögen. In diesem Zusammenhang taucht natürlich nun ein drohender Dissens auf: Da bis heute vorwiegend nur ein erkenntnistheoretisches Verständnismodell in der Medizin herangezogen wird, nämlich das der Wissenschaft, kommen die komplementären Verfahren hier ins Hintertreffen, denn nach den Kernkriterien einer medizinischen Wissenschaft ist diesen Verfahren bezüglich Wirkung, Wirksamkeit, Nachweisbarkeit usw. nicht beizukommen.
Somit geraten sie in den Strudel als "unwissenschaftlich" abgetan und in die Richtung unsinnig und gefährlich geschoben zu werden, weil manchmal vielleicht nur mystische, philosophische oder insgesamt gesehen geisteswissenschaftliche Erkenntnistheorien einen individuellen Zugang zu ihnen verschaffen können.
Folglich ist es also dringend erforderlich, neben rein naturwissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten auch geisteswissenschaftliche, anthropologische, theologische bzw. transzendente Erklärungs- und Deutungsmuster für komplementäre Heilverfahren zuzulassen bzw. in die medizinische Gesamtanschauung zu integrieren. Ein großer Vorteil wäre dabei auch die Tatsache, daß bezüglich des Patienten ebenso dessen psychologische, soziologische und kulturelle Problematiken des Krankseins sowie der Krankheitsentstehung stärker berücksichtigt werden könnten.
Es gibt wohl nicht sehr viele Tätigkeiten, die einem solchen Spannungsfeld zwischen anerkanntem "wissenschaftlichen Bollwerk" und geduldeter "empirischer Feldarbeit" ausgesetzt sind, wie dieser nichtapprobierte medizinische Berufsstand.
Was vielleicht im ersten Moment als riesige, kaum zu überwindende Hürde aussieht, kann sich im nächsten Moment allerdings auch als hervorragende Chance entpuppen. Genau der Heilpraktiker, durch seine ganzheitliche Sichtweise dem Patienten gegenüber herausgehoben, sollte sich nicht schämen, an der Wissenschaftlichkeit nun mal nicht den größten Anteil zu haben, sondern er sollte sich herausgefordert fühlen, die - gerade durch eine reine Wissenschaftlichkeit innerhalb der Medizin entstandenen Defizite - anzugehen und Hilfestellung zu leisten, um diese dem Patienten gegenüber nach Möglichkeit zu beheben.
Somit tritt der Heilpraktiker im Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft und komplementärer Verfahren nicht nur als Bewahrer alter und bewährter Verfahren auf, er hilft ihnen u. U. auch einen neuen Stellenwert in der Medizin einzunehmen, indem er nämlich Zeichen setzt, wirksame nichtwissenschaftliche Diagnose- und Therapieverfahren mit Erfolg beim Patienten einzusetzen.
Wichtig sind gerade bei der Anwendung heilpraktikertypischer Verfahren vor allem auch alternative Erkenntnistheorien bzw. Erkenntnisansätze, wie sie z. B. in den Geisteswissenschaften zu finden sind. Daneben darf natürlich der wissenschaftliche Ansatz in keiner Weise vernachlässigt werden.
Somit ist der Background bzw. das Fundament ganz entscheidend, auf welchem der Heilpraktiker seine ihm eigenen Verfahren hinterfragt bzw. ausübt. Und genau hier liegt eine weitere große Möglichkeit bzw. Chance des Heilpraktikerstandes, nämlich unterschiedliche Erkenntnistheorien inkl. der wissenschaftlichen innerhalb seiner Berufsausübung gegenüber dem Patienten zusammenzufassen - nicht um eine unsystematische, ihm gerade in den Sinn passende "Mixtur" zu bewerkstelligen, sondern um ein sich gegenseitig ergänzendes Modell an medizinischen Möglichkeiten präsentieren zu können.
Daß diese Aufgabe nicht gerade einfach ist, läßt sich auch an der diesbezüglich zu fordernden Verantwortung abmessen. Verantwortungsbereich: Rechtssprechung bzw. haftungsrechtliche Grenzen bei der Anwendung alternativer Heilverfahren - und deren Bedeutung für den Heilpraktiker
In diesem Kontext stößt man auf einen weiteren wesentlichen Punkt des Spannungsfeldes naturwissenschaftliche Medizin und komplementärer Heilverfahren, nämlich den der Rechtssprechung bzw. der haftungsrechtlichen Grenzen, welchen sich in diesem Zusammenhang jeder Heilpraktiker innerhalb seiner Praxisausübung und seinen Patienten gegenüber zu stellen hat.
Als Anwender empirischer, naturheilkundlicher Diagnose- und Therapieverfahren sollte auch er ganz bestimmten Ansprüchen und Anforderungen gerecht werden. Allerdings muß man von vorne herein zugeben, daß nach Durchsicht der juristischen bzw. medizinischen Literatur bezüglich der Haftungsfrage gerade hinsichtlich der Anwendung o. g. Heilmethoden, ein unglaublich weites Spektrum an unterschiedlichen Meinungen und Ansichten existiert.
Insgesamt gesehen geht eine Rechtssprechung zur Zulässigkeit der Anwendung alternativer Behandlungsverfahren von der Maxime aus, daß die verschiedenen auf dem medizinischen Sektor dargebotenen Methoden gleichrangig nebeneinander stehen, d. h. den allgemein gültigen Verfahren wird somit keine übergeordnete Sonderstellung gegenüber Außenseitermethoden eingeräumt. Kein Heilpraktiker bzw. Arzt kann verpflichtet werden nach einer ganz bestimmten Praktik zu diagnostizieren bzw. zu therapieren, z. B. vor allem nach denen, welche an den Universitäten gelehrt werden und die wissenschaftlich anerkannt sind.
Die Verpflichtung ein bestimmtes medizinisches Verfahren anwenden zu müssen erfolgt nach der Rechtssprechung vorwiegend bei überaus gefährlichen Erkrankungen (z. B. Infektionskrankheiten / Seuchen) und meist erst dann, wenn hierbei eine ganz bestimmte medizinische Methode als allein wirksam anzusehen ist. Der BGH führt dazu allerdings gleichzeitig aus, daß dies gerade wegen der Problematik medizinischer Diagnosen bzw. Prognosen, der Individualität der Patienten und der Bedeutung des Behandlers überaus schwierig sei (vgl. BGH LM - §222 StGB, Nr. 48 (Bl. 1.Rs)).
Folgende Grundanforderungen hat ein Heilpraktiker bzw. Arzt gemäß der Gerichtsauffassungen bzw. der Rechtsprechung z. B. zu erfüllen, wenn er alternative/komplementäre Behandlungsmöglichkeiten bei seinen Patienten anwendet.
Der Behandler ist bei seinem Vorgehen stets aufgefordert, eine vergleichende Prüfung vorzunehmen; d. h. er muß sehen, ob das von ihm angewandte Verfahren gegenüber den zur Verfügung stehenden anderen, wissenschaftlich erprobten Verfahren konkret für den entsprechenden Patienten geeignet ist und ob es den Regeln der ärztlichen Kunst bzw. medizinischen Wissenschaft nicht zuwider läuft.
Diese ständige Kontrolle der alternativen Vorgehensweise des Therapeuten bei der Behandlung setzt die Abwägung von Vorteilen bzw. Nachteilen unter der Berücksichtigung jeweiliger Erfolgsaussichten der unterschiedlichen Verfahren bezüglich der Individualität des Patienten voraus. Auch Behandler, die prinzipiell ganz bestimmten medizinischen Verfahren ergeben sind, müssen einer vergleichenden Überprüfung und Hinterfragung ihres Praktizierens nachkommen. Auch ist es nötig, daß alte bzw. eingefahrene Ansichten und Wissensbestände ständig an Neueren kritisch geprüft werden!
Die Gerichte führen z. T. weiterhin aus, daß der Therapeut zu Beginn der Behandlung und zu jedem weiteren Zeitpunkt während der Behandlung verpflichtet ist, das eigene Vorgehen und die eigenen Fähigkeiten kritisch zu überprüfen und abzuwägen hat. Selbstverständlich wird in diesem Sinne verlangt, daß sich Arzt und Heilpraktiker hinsichtlich der momentanen und neueren Diagnose- und Behandlungstechniken und Verfahren auskennen und sich auf diesen Gebieten weiterbilden (vgl. BGH LM - §222 StGB, Nr. 48 (Bl. 1.Rs) sowie (1)). Über die gängigen Erfahrungen der üblichen Schulmedizin darf sich der Behandler keinesfalls hinwegsetzen, wenn nicht ein absolut sachlicher und vor allem triftiger Grund vorliegt. Vor allen Dingen sind die gebräuchlichen Diagnosemethoden bei der Ursachenerforschung einer Krankheit mit zu berücksichtigen. (2)
Insgesamt gesehen sei bezüglich der Bandbreite der medizinischen Methoden und Verfahren zur Vermeidung von Komplikationen beim Patienten die nach Möglichkeit ungefährlichere auszuwählen. Relativ ohne großen Belang - gemäß der Rechtssprechung - ist hierbei die Tatsache, ob die entsprechende Methode rein wissenschaftlichen Theorien exakt standhält, signifikanter ist vielmehr inwieweit ein zur Diskussion stehendes Behandlungsverfahren empirisch erfaßbare Erfolgsaussichten aufweisen könnte. (3)
Sollte der Arzt bzw. nichtapprobierte Behandler erkennen, daß das von ihm ausgewählte, alternative/komplementäre Behandlungsverfahren nicht den erwünschten Erfolg bringt, so muß er seine Vorgehensweise beenden und auf wirksamere Methoden zurückgreifen bzw. einen weiteren Fachtherapeuten hinzuziehen. (4)
Die Rechtssprechung geht weiterhin davon aus, daß der Benutzer alternativer/komplementärer Heilverfahren Auswahl und Fundament der Anwendung auf sachliche Gründe stützen kann. (5)
Selbstverständlich ist der Patient vom Behandler bezüglich alternativer/komplementärer Diagnose- und Heilverfahren umfassend aufzuklären. Der Patient sollte durch die vom Therapeuten gegebenen Informationen möglichst in die Lage versetzt werden zwischen den zur Disposition stehenden Methoden zu entscheiden - gerade auch im Hinblick auf wissenschaftlich begründete und komplementäre Verfahren. Der Patient sollte weiterhin bei Anwendung alternativer/komplementärer Methoden nach Möglichkeit über Bedenken seitens der medizinischen Wissenschaft bezüglich dieser Verfahren - auch wenn sie sich teilweise als optimal erwiesen haben - aufgeklärt werden und somit an der Therapieentscheidung mit beteiligt sein. Daraufhin kann der Patient - vor der Behandlung - erst in die ihm angebotenen Verfahren einwilligen. (6)
Bezüglich des Haftungsrechtes bei Heilpraktikern hinsichtlich Fehlern während der Behandlung bzw. Verletzung der Aufklärungspflicht, wird häufig auf Grundsätze des Arzthaftungsrechtes zurückgegriffen, solange Elemente wie z. B. Beweisregeln, Haftungstatbestände etc. auf Heilpraktiker übertragen werden können. Die inhaltliche Kongruenz bietet hier einerseits die gemeinsame Ausübung der Heilkunde, andererseits das übereinstimmende "Behandler-Patient-Verhältnis". Letzteres ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß ein Patient einen Experten um Hilfe bzw. Rat ersucht, bezüglich der Inanspruchnahme einer Gesundheits- bzw. Diagnose/Therapiedienstleistung. So gesehen kann das Arzthaftungsrecht einigermaßen gut auch auf den Heilpraktiker bezogen werden. (7)
Allerdings ist die Hauptschwierigkeit der Heilpraktikerhaftung immer wieder die Frage nach dem "Standard". D. h. es wird immer wieder die Schwierigkeit der einerseits relativ geringen Qualifikationsanforderungen und andererseits des großen Betätigungsfeldes im Bereich der Medizin aufgeworfen. Man argumentiert jedoch häufig, daß der Patient eigentlich weiß, daß wenn er die therapeutische Hilfe eines Heilpraktikers in Anspruch nimmt, dieser nichtapprobierte Behandler kaum denselben Kenntnisstand besitzt wie ein Arzt.
Gerade auch aus diesem Grund ist es überaus wichtig, daß der Heilpraktiker seine diagnostischen und therapeutischen Grenzen - bezogen auf die Heilbehandlung an einem Patienten - genau kennt. Ansonsten müßte er sich mit dem Vorwurf des "Übernahmeverschuldens" auseinandersetzen, keinesfalls könnte er argumentieren bzw. sich darauf berufen, seine Fähigkeiten hätten für einen Behandlungsfall nicht ausgereicht. (8)
Neben dem teilweisen Mangel an Wissenschaftlichkeit hinsichtlich seiner Behandlungsverfahren muß der Heilpraktiker sich auch immer wieder mit dem Vorwurf seiner mangelnden Ausbildung und "medizinischen Kompetenz" auseinanderzusetzen.
Hier hat man es natürlich mit "zwei paar Stiefeln" zu tun, wobei sich allerdings beide Vorwürfe irgendwo gegenseitig bedingen: Empirische, komplementäre Heilverfahren lassen sich nicht so einfach in einen wissenschaftlich-medizinischen Ausbildungskanon einordnen und für den Heilpraktiker liegen - laut Heilpraktikergesetz - eben besondere Zulassungsbedingungen vor.
Um die nichtapprobierte Medizin ausüben zu dürfen "genügt" das Überprüfungsverfahren, welches - sowie bestanden - bescheinigt, daß der frischgebackene Heilpraktiker keine "Gefahr für die Volksgesundheit bzw. menschliche Gesundheit" darstellt. Sein "Examen" - genauer: Überprüfung - bei einem Amtsarzt abgelegt, stellt somit keine "berufliche Fachprüfung" im eigentlichen Sinne dar. D. h.: Alles, was ein Heilpraktiker in seiner eigenen Praxis zu beherrschen hat, ist im Prinzip kein Thema seiner Berufszulassung.
Welche Bedeutung hat eine solche Situation für die Patienten, welche Hilfe bei einem Heilpraktiker suchen?
Wenn man dieser Frage nachgeht, stößt man wohl unweigerlich auf das Schlüsselwort "Eigenverantwortlichkeit". Jeder Heilpraktiker hat - gerade wegen seines großen Tätigkeitsfreiraumes - die Aufgabe und Pflicht sich professionell auf den Umgang mit seinen Patienten vorzubereiten. Die Rechtssprechung fordert dies explizit, mittlerweile die Ländergesundheitskonferenz (GMK) nicht weniger deutlich, und die, die behandelt werden, mit Recht sowieso. Wie der einzelne Heilpraktiker dieser Forderung nachkommt und gerecht wird, bleibt ihm absolut selbst überlassen. Die Angebote an Aus- und Weiterbildung sind ebenso vielfältig wie zahlreich.
Werden damit aber alle hier angesprochenen Erwartungen eigentlich in einem akzeptablen Rahmen erfüllt? Anders herum gefragt: Genügt dies im Hinblick auf eine Gesamtprofessionalität des Berufsstandes? Sicherlich wird mit dem Begriff "Eigenverantwortlichkeit" diesbezüglich ein guter Teil abgedeckt. Wo bleibt aber die Transparenz und Qualitätssicherung nach Außen (vgl. GMK)?
Das Sinnvollste, eine Art "Zertifizierung von oben" zu schaffen - d. h. die Heilpraktikerverbände regeln Art und Weise sowie Kriterien und Kosten(!) einer Qualitätssicherung - scheiterte bislang an der Uneinigkeit innerhalb des Berufsstandes. Einzelne Fachgesellschaften versuchen inzwischen diese Lücke zu füllen, die zentrale Frage sei allerdings hier erlaubt, ob eine solche jeweilige "Einzel-Qualifizierung" auch den Stellenwert erhält bzw. erfährt, welcher für eine globale, anerkannte Transparenz und Sicherung der diagnostischen und therapeutischen Qualität vonnöten ist.
Betrachtet man die Entwicklung die Medizin in ihrem gesamten Spektrim, so hat sie sich im Laufe der Zeit schon vielen unterschiedlichen Strömungen stellen müssen, diese immer wieder diskutiert und auch tragfähige Möglichkeiten integriert. Teilweise kann man dies - ein Stück weit - in den Bereichen der wissenschaftlichen Medizin und den komplementären Heilverfahren feststellen.
Wie sieht es aber mit den Berufen aus, die diese unterschiedlichen Strömungen und Richtungen in der Medizin vertreten bzw. bei kranken Menschen anwenden?
Der Patient hat - gleichgültig welche Art von Therapeuten er aufsucht - ein absolutes Recht auf eine "lege artis" Behandlung, die bestimmte Qualitätskriterien zu erfüllen hat!
Dies zu gewährleisten und zu dokumentieren ist im Prinzip auch eine Aufgabe des jeweiligen Berufsstandes, egal ob dieser der wissenschaftlichen, schulmedizinschen Ausrichtung mit Approbation angehört oder primär nach empirischen, komplementären Heilverfahren vorgeht, mit nach dem Heilpraktikergesetz legitimierten Behandlern.
Gerade die naturwissenschaftliche Medizin und die komplementären Heilverfahren - so unterschiedlich diese auch manchmal sein mögen - finden in ihren Anwendern häufig die geeigneten Spiegel ihrer selbst. Diese Spiegel müssen eindeutig den kompletten Sachverhalt in seiner gesamten Bandbreite vertrauenswürdig abbilden, ohne Unklarheiten und Verzerrungen zu verursachen, für die, die sich auf die Wiedergabe des Spiegels verlassen wollen bzw. müssen.
Anmerkungen:
(1) - vgl. Anmerkungen zur Thematik und Rechtssprechung (Nennung der einzelnen, relevanten Urteile und teilweise Begründungen) in den entsprechenden Auseinandersetzungen und Fällen bei: Franz, K.: Naturheilmittel und Recht. Carl Heymanns Verlag, Köln 1992, S. 102 - Anm. 41-45
(2) - vgl. a. a. O. S. 103 - Anm. 46-47
(3) - vgl. a. a. O. S. 103 - Anm. 50-54
(4) - vgl. a. a. O. S. 103 - Anm. 55-60
(5) - vgl. a. a. O. S. 104 - Anm. 61
(6) - vgl. a. a. O. S. 104 - Anm. 62-63
(7) - vgl. a. a. O. S. 358 - Anm. 6-8
(8) - vgl. a. a. O. S. 360 - Anm. 15-16
Literaturangaben / Quellenhinweise:
Anschrift des Verfasser:
Dr. Hubert Donhauser
Epernayerstr. 16
76275 Ettlingen