FACHFORUM

Sympathie - die vergessene magische Praxis der Volksmedizin


von Rainer Maria Wieshammer

"Koche ein Ei im Morgenurin des Kranken, bohre ein Loch hinein und trage es schweigend in den Wald. Lege es dort in einen Ameisenhaufen. Ist das Ei verzehrt, so schwindet auch die Krankheit."

"Steinsame (Lithospermum) zerstört mit seinem steinigen Samen den Blasenstein."

"Nimm Finger- und Zehennägel des Kranken und verbohre sie in einen jungen Baum. So wie der Baum wächst nimmt auch im selben Maße die Krankheit ab."

Ein in Urin gekochtes Ei als Universalheilmittel, ein längst vergessenes Ackerkräutchen, welches das Steinleiden kuriert, nur weil seine kleinen porzellanartigen Samen zufällig hart wie Stein sind? Oder gar der Baum, dem man das lästige Leiden einfach anhängt?

Fehlen wohl nur noch Wolfsgeheul und das weiße Licht des kalten Mondes auf unserer Geisterfahrt in die finsteren Abgründe des Aberglaubens ... willkommen im Mittelalter! Vergessen wir aber bei aller Zufriedenheit über unser aufgeklärtes Weltbild eines nicht:

was wir mit einigem Erstaunen in den alten Kurier-, Not- und Hilfsbüchlein, den wenigen erhaltenen Zeugnissen der Volksmedizin, als "sympathische Heilkuren" beschrieben finden, ist ein vollkommen ernsthaft formulierter Versuch, dem menschlichen Leid zu begegnen - mehr noch: an der Wirksamkeit der Verfahren bestand zur Zeit ihrer Anwendung keinerlei Zweifel.

Sympathie ist angewandte magische Medizin. Obwohl es immer wieder Ansätze zur theoretischen Erklärung gegeben hat, vor allem durch die Ärzte und Philosophen der Renaissance, ist sie ihrem Wesen nach einfach, empirisch erprobt und an keinerlei Ideologie oder medizinisches Konzept gebunden.

Sie führt uns an die Wurzeln des menschlichen Bewußtseins heran und ihre Geschichte ist so alt wie die Menschheit selbst.

Der Houml;hlenmensch, der das Abbild des Bären (die Ursache seiner Angst) im Fels bannt, betreibt sie ebenso wie etliche tausend Jahre später die Bäuerin, die ihrem Kind ein Amulett gegen die gefürchteten "Fraisen" (Kinderkrämpfe, Zahnungsfieber) umhängt. Steht da nicht der medizinische Weißkult unserer Tage mit all seinen irrationalen Botschaften stolz mit in der Reihe?

Was unter "Magie" eigentlich zu verstehen ist, beschäftigt uns erst in neuerer Zeit, wo wir beginnen, ihren Verlust zu beklagen. Im Mittelalter und weit darüber hinaus war magisches Treiben schlicht Alltagsgeschäft. Der magisch denkende Mensch steht im ständigen Zwiegespräch mit allen Erscheinungen der Natur und sieht sich in einen unauflösbaren Zusammenhang eingebettet. Die Frage nach letzten Einsichten in diese Ordnung ist von geringerer Bedeutung, das tägliche und spontane Erleben steht im Vordergrund.

Die Begegnung mit der Natur ist einerseits passiv und betrachtend, andererseits ist die unmittelbare Naturerfahrung aufs Äußerste mit Gefühl und Empfindung geladen:

Entsprechungen (Sympathien) und Widerstände (Antipathien) begleiten praktisch jeden alltäglichen Handgriff. Somit lebt der magische Mensch in einer Welt voller Symbole und Zeichen, die sein Verlangen nach einem ständigen Austausch mit seiner Umwelt stillen.

Das vierblättrige Kleeblatt bringt Glück, die Eierschale muß nach dem Genuß des Eies zerstoßen werden, man steht mit dem rechten Fuß zuerst auf, das Hufeisen hängt an der Stalltüre ... oder wird am Autokühler befestigt, um den Blick nicht nur auf Vergangenes zu richten. Die Übertragung des Sympathiedenkens auf die Behandlung von Krankheiten ist demnach auch nichts anderes, als das Herbeizitieren unsichtbarer und letztlich unfaßbarer Heilkräfte in der Natur, an deren Existenz allerdings kein Zweifel besteht. Man muß nur wissen wo und wie.

Das ist schon - geht man nach der Papierform - recht verlockend! Es wäre dabei ein fatales Mißverständnis, den sympathischen Ansatz aus dem Gesamtkonzept volksmedizinischer Praktiken herauslösen zu wollen. Kräuterheilkunde, einfache chirurgische Maßnahmen, Sympathie, Astrologie, Naturverehrung und religiöse Frömmigkeit bilden eine selbstverständliche Einheit.

Der sympathische Dreischritt

Was ist Krankheit?

Die sympathischen Verfahren - eine Systematik

Entsprechungen in Form und Gestalt

Die Farbe als Wegweiser zur Sympathie

Die Kraft der Zeichen, Zahlen, Worte und Bilder

Die unmittelbare Aneignung von Naturkräften und -eigenschaften

Die symbolische Übergabe von Krankeitsträgern an die Elemente.

Beurteilung

(Weiterführende Literaturhinweise beim Verfasser)

Anschrift des Verfassers:
Rainer Maria Wieshammer
c/o Savoy-Apotheke
Tengstraße 16
80798 München

Diesen Beitrag in vollem Umfang, sowie weitere Beiträge finden Sie in Naturheilpraxis 3/99.

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Naturheilpraxis 03/99