Grundannahmen der Naturheilkunde

Mehr Licht - Ganzheitsaspekte in Goethes "Zur Farbenlehre"

von Bernd Hertling

"Immer nur strebe zum Ganzen und kannst du ein Ganzes nicht sein, als dienendes Glied schließ einem Ganzen dich an!"

 

Voilà un homme!

Er hätte wohl höflich in sich hineingelacht und die hohe, harmonisch geformte Stirn in den Handtellern vergraben, um die Tränen, die ihm dabei in die Augen getreten wären vor dem Frager zu verbergen, wäre er jemals mit der Frage konfrontiert worden "Worauf, Exzellenz, habt Ihr Euch eigentlich spezialisiert?" Eine Frage übrigens, die auch bei so manchem Heilpraktiker eine gewisse stirnrunzelnde Fassungslosigkeit hervorruft, nicht so sehr jetzt wegen der `Exzellenz', nein, schließlich bezeichnen wir uns ja immer wieder als "Ganzheitsmediziner" und wollen doch eigentlich keine Spezialisten sein, oder? Doch zurück zu unserem Universalisten, wie im eben begonnen Jahr 1999 wohl nicht anders zu erwarten, handelt es sich um keinen geringeren als Johann Wolfgang von Goethe. Er, der, ohne vorrangig als Politiker in Erscheinung getreten zu sein, einer Epoche deutscher Geschichte seinen Namen aufprägte, dessen Verdienst um die deutsche, aber auch die europäische Kultur nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, war nicht nur federführend für die wohl bedeutendsten Stilepochen der deutschen Literaturgeschichte:

Sturm und Drang, Klassik und Romantik, wo sich alles andere an seinem Evre zu messen hatte. Was wir über seine Neigungen, Interessen und Fachgebiete, die er mit Kompetenz vertreten konnte, erfahren, war er wohl eine der vielseitigsten Persönlichkeiten, nicht nur seiner Zeit. Als studierter Jurist betätigte er sich als geheimer Legationsrat des Herzogtums Weimar, wo er für Verwaltung, Militärwesen und die Erziehung des Prinzen zuständig war. Später machte er auch noch eine seiner wohl bekanntesten Neigungen zum Beruf und fügte dem Dramatiker und Schauspieler noch den Theaterdirektor hinzu. Nebenbei betätigte er sich als lyrischer Dichter und Prosaschriftsteller, darstellender und bildender Künstler, Kunst- und Kulturhistoriker sowie in den verschiedensten Fakultäten als Naturwissenschaftler. Er war übrigens bis zu seinem seligen Ende am 22.3.1832 felsenfest davon überzeugt, in dieser Eigenschaft, als Naturwissenschaftler, mehr geleistet zu haben, als in all seinen Dichtungen, Dramen und Werken der Prosaliteratur. Allein seine Entdeckung des menschlichen Zwischenkieferknochens im Oberkiefer, so meinte er, verschaffe ihm eher Unsterblichkeit im Pantheon der Wissenschaft als etwa seine vielfach aufgeführten Theaterstücke als Dramatiker. Auch wenn aus dieser seiner Entdeckung, lange vor Darwins Schriften übrigens, hervorgeht, daß der Homo sapiens sapiens mit den Primaten verwandt ist und keine eigene Schöpfungsgeschichte beanspruchen kann, mag man als Kenner und Bewunderer seines schriftstellerischen Gesamtopus über diese Selbsteinschätzung verwundert den Kopf schütteln. Denn, haben ihn nicht sein Faust, sein Werther, sein Götz, seine Iphigenie, sein Wilhelm Meister, seine Wahlverwandtschaften, schließlich seine autobiographischen Schriften, wie die Italienreise oder Dichtung und Wahrheit, um nur einige der bekannteren Werke aufzuführen, der Menschheit zu einem unverrückbaren Begriff gemacht und nicht seine Entdeckung des Os intermaxillare?

Wer aller wollte ihn, den "Dichterfürsten", nicht für sich vereinnahmen? Ähnlich wie im "Fall Homer" streiten sich die Städte, welche nun die eigentliche "Goethe-Stadt" sei, Frankfurt oder Weimar, oder gar Jena? Die Anthroposophen schmücken ihr Zentrum mit seinem Namen und die Gesellschaft zur Belebung deutscher Kultur im Ausland hat sich nach ihm benannt. Doch ließ sich diese Tendenz schon zu seinen Lebzeiten beobachten, wo er sich allerdings gegen Vereinnahmungen aller Art vehement und erfolgreich zur Wehr setzte.

Sieh' an, ein Mensch!" soll der damals mächtigste Mann Europas ausgerufen haben, als er ihm 1812 persönlich begegnete und ihn, vergeblich, zur Übersiedlung nach Paris bekniete. Eine Niederlage übrigens, mit der Napoleon I., Kaiser der Franzosen, damals besser leben konnte, als mit der folgenden Katastrophe seines wahnwitzigen Rußlandfeldzuges. Was mochte ihn, den instinktsicheren Menschenkenner, dazu veranlaßt haben, den vor ihm erschienenen Mann so zu taxieren? Viele wollten mit ihm zusammen ein Ganzes ergeben, doch war er selbst zur genüge ein Ganzer, als daß er es nötig gehabt hätte, Abstriche an seinen eigenen Vorstellungen von sich und seinem Wirken zu machen.

Das Nietzsche Wort: "Werde, der, der du bist!" erfüllte wohl kaum ein Mensch so buchstäblich wie Goethe, der in ähnlichen Mustern dachte und lebte. Gerade diese Übereinstimmung von Leben und Denken, von Umsetzen des Gedachten und Ersonnenen ins tätige Leben ist wohl das charakteristischste am Phänomen Goethe. Und diese seine innere Haltung findet Ausdruck nicht nur in seinen dichterischen Werken, sondern auch, oder vielleicht sogar noch deutlicher, in seiner lebenslangen Obsession, der Farbenlehre.

Nicht Bücher oder Buchreihen, ganze Bibliotheken sind bereits über ihn geschrieben worden, dennoch wollte ich nicht zurückstehen, als man mir das Angebot machte, für die NHP einen kulturhistorischen Beitrag zum Thema Ganzheit beizusteuern, mich mit Leben und Werk dieses Inbegriffs des Genies zu befassen. Nachdem ich selbst kein solches bin, bitte ich im vorhinein um Entschuldigung, wenn sich andernorts Tiefschürfenderes findet...

 

1) Goethes Methodik
2) Goethes Erkenntnisse
3) Philosophischer Ausblick
4) Goethe contra Newton, ein Fall von Selbstbehauptung

 

"Künstlich zu spalten den Strahl, den wir nur einfach gekannt.
Das ist ein pfäffischer Einfall!
Denn lange spaltet die Kirche ihren Gott sich in drei,
wie ihr in sieben das Licht."

(Xenien)

 

Literaturverzeichnis:

1) Goethe, J.W. von: Naturwissenschaftliche Schriften in: `Hamburger Ausgabe', Hg. Erich Trunz, München 14 1981 (C.H. Beck Verl.). Band XIII: Zur Farbenlehre Didaktischer Teil. (FL) dto. Zur Naturwissenschaft allgemein. dto. Morphologie Band XIV: Geschichte der Farbenlehre (GFL)

2) ders.: Dichtung und Wahrheit. Artemis Gedenkausgabe bei dtv. 1977.

3) Benz, Richard: Goethes Leben, München, 1981.

4) Krätz, Otto: Goethe und die Naturwissenschaften, München, 1998. Philosophisches Wörterbuch. Stuttgart 20 1978. s.w. Goethe, Ganzheit, Urphänomen, Metamorphose, Naturphilosophie.

5) Schopenhauer, Arthur: Über das Sehn und die Farben. Zürich 1988 (Haffmanns-Ausgabe).

6) Teller, Jürgen: Der Weg zur Unendlichkeit der Farben in den Grenzen der exakten sinnlichen Phantasie, in: Die Tafeln zur Farbenlehre und deren Erklärung, Frankfurt/M. u. Leipzig 5 1998.

7) Weizsäcker, Carl F. von: Einige Begriffe aus Goethes Naturwissenschaft, München, 1981.

 

Anmerkungen:

1) Statthalter des frz. Königs.
2) Dichtung und Wahrheit S. 124.
3) Sir Isaac Newton (1643 - 1727): Opticks 1691.
4) GFL S. 259
5) Zit. n. Steiger, R.: Goethes Leben von Tag zu Tag. Bd I. S. 346.
6) GFL S. 176.
7) Faust I (Studierzimmer) 1936ff.
8) Teller a.a.O. S. 88
9) Zitiert nach Teller a.a. O. S. 91
10) GFL S. 41, 21 - 30.
11) Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, Slg. Leopoldina Wien, Bd I. S. 93
12) FL § 809
13) FL § 808
14) FL § 815
15) Man beachte "wenn wiederum Licht und Schatten, sich zu echter Klarheit werden gatten... "
16) FL Einleitung, S. 323
l7) Anm. z. FL S. 323
18) Faust I (Nacht) 513
19) FL § 62 - 80.
20) Schopenhauer, Arthur: Vom Sehn und den Farben § 10 S. 692.
21) Sinngemäß: Viele werden hindurchgehen /es durchgehen/ und das Wissen wird vermehrt.

 

Anschrift des Verfassers:
Bernd Hertling
Pettelkofenerstr.1
85567 Grafing

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Naturheilpraxis 03/99