Kinder und Jugendliche

Fehldiagnose ADHS

Praxisfälle aus Naturheilkunde und Schulpsychologie

Barbara Weschke-Scheer

ADHS im Kindesalter wird zu häufig und manchmal fälschlicherweise diagnostiziert. Manchmal hat die kindliche Unruhe organische Ursachen, oder es liegen psychische Erkrankungen zugrunde. In diesem Artikel werden mehrere Praxisfälle beschrieben, die mit naturheilkundlichen und psychologischen Therapien gut behandelt werden konnten.


Einigen Kindern mit Hyperaktivität hilft Ritalin wirklich. Das soll hier nicht bestritten werden!
Für viele der unruhigen und verhaltens­auffälligen Schulkinder sind jedoch die Medikamente Ritalin, Medikinet und Concerta kontrainduziert. Dabei stehen wenig befriedigende Therapie-Ergebnisse (vgl. 1, 2; demnach legt eine umfangreiche wissenschaftliche Cochrane-Analyse nahe, dass nur von einem geringen Nutzen des Medikaments auszugehen ist) problematischen Nebenwirkungen von Methylphenidat gegenüber (3).

Meiner Erfahrung nach wird die ADHS-Diagnose von ärztlicher, psychotherapeutischer und schulpsychologischer Seite viel zu häufig gestellt. Das liegt unter anderem daran, dass der Kriterienkatalog des ICD10 oder beim DSM-Katalog eine Fülle eher schwammiger Items anbietet (die zu einen bestimmten Prozentsatz erfüllt sein müssen, damit die ADHS-Diagnose fachlich gerechtfertigt ist). Leider wird der diagnostische Prozess oft nicht gründlich genug durchgeführt. Einem vermeintlichen ADHS liegen oft ganz andere körperliche und psychische Symptome und Krankheiten zugrunde. Dazu einige Beispiele:

 

Praxisfälle

1. Chronische Blasenentzündung

Die achtjährige Katrin1 war ein gepflegtes, intelligentes und temperamentvolles Grundschulmädchen, das gerne in der Mädchengruppe auf dem Pausenhof den Ton angab und bestimmte, welche Spiele gespielt werden sollten. Im Unterricht wirkte sie häufig motorisch unruhig, unkonzentriert, unaufmerksam und fahrig. Obwohl sie perfekt Deutsch, Ungarisch und Englisch sprach (ungarische Mutter, englischer Vater), zeigte sie nur mäßige Leistungen in Deutsch und Englisch. Auch in Mathematik und HSU (Heimat- und Sachunterricht) machte sie viele Flüchtigkeits- und Verständnisfehler. Es bestand der Verdacht auf ADHS. Die Ärzte und Lehrkräfte drängten dazu, einen Versuch mit Ritalin zu starten. Die alleinerziehende, leistungsorientierte Mutter war von der großen Intelligenz der Tochter überzeugt, sah bei ihr auch eine große musische Begabung (hervorragendes Klavierspiel der Tochter) und verweigerte die Medikalisierung des Mädchens.

Als die Konflikte zwischen der (immer nervöser werdenden) Mutter, der (zunehmend genervten) Lehrkraft und der Schülerin eskalierten, wurde ich als Schulpsychologin hinzugezogen. Nachdem die sprachfreien IQ-Tests keine eindeutigen Hinweise auf gravierende Begabungsmängel ergeben hatten, vermutete ich psychosoziale oder körperliche Ursachen für die großen Schulprobleme. In einem ausführlichen Gespräch mit der Mutter kamen wir dann auf die eigentlichen Hintergründe der kindlichen Nervosität und der mütterlichen Sorgen.

Schon als Zweijährige hatte das Mädchen massive Blasenentzündungen mit Bakterien und Blut im Urin und starken Schmerzen gehabt. Es waren ärztlicherseits mehrmals unter Narkose Blasenuntersuchungen durchgeführt worden und anschließend Antibiotika und Schmerzmittel verabreicht worden. So hatte das Mädchen über mehr als sechs Jahre unzählige antibiotische Therapien erhalten – ohne dass sie dadurch dauerhaft vor Rezidiven geschützt worden wäre.

Noch immer wachte das Mädchen – vermutlich aufgrund des Schmerzgedächtnisses – jede Nacht gegen Mitternacht auf und lag schreiend – bis zu drei Stunden lang – wach im Bett und wälzte sich vor Schmerzen. Die Mutter stand auf, machte eine Wärmflasche und gab den Mädchen ein pflanzliches Beruhigungs- und Schlafmittel. So hatten Mutter und Kind seit Jahren keine Nacht mehr durchgeschlafen und fürchteten sich zunehmend vor den nächtlichen Schreikrämpfen und dem stundenlangen sorgenvollen Wachliegen. Die Mutter empfand sich in der nächtlichen symbiotischen Pflegesituation zudem in einer Art „emotionalen Sackgasse“, da sie befürchtete, dass ihre Tochter durch die nächtliche „Verwöhnung“ einen zu großen positiven Krankheitsgewinn ziehen würde und damit sehr unselbstständig bleiben würde.

Es war klar, dass diese unhaltbare Situation bei dem Kind zu Unruhe- und Konzentrationsmangel im Unterricht führen ...

 

Schluss

...



Anmerkungen
1 Name geändert
2 Ich habe die Mischung bei Spagyra mischen lassen. Sie kann aber auch in einer Apotheke hergestellt werden.

 

Literatur
(1) Bartens, Werner: Wirkung zerstreut – Zweifel am Nutzen von Ritalin und ähnlichen Stoffen. Süddeutsche Zeitung, 25.11.2015, S. 16, München; Online-Version unter
www.sueddeutsche.de/gesundheit/behandlung-von-adhs-ritalin-wirkt-deutlich-weniger-als-gedacht-1.2751800
(2) Storebø, O., et al.: Benefits and harms of methylphenidate for children and adolescents with attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). 25.11.2015.
www.cochrane.org/CD009885/BEHAV_benefits-and-harms-methylphenidate-children-and-adolescents-attention-deficit-hyperactivity-disorder
(3) De Groot, Hilke: Das späte Zittern des Zappelphilipps – Falsch verordnete Medikamente für hyperaktive Kinder können das Risiko für die Parkinson-Krankheit erhöhen. Süddeutsche Zeitung, 11.12.2001, S. V 2/9, München
(4) Amann, Max; Allgeier, Riki: Dem Geist auf die Sprünge helfen. Pflaum Verlag, München 2007
(5) Boerike, William: Homöopathische Mittel und ihre Wirkungen – Materia Medica. Verlag Grundlagen und Praxis, Wissenschaftlicher Autorenverlag, Leer/Ostfriesland 1993
(6) Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland (Hrsg.): Vademecum Anthroposophischer Arzneimittel – Der Merkurstab (Zeitschrift für anthroposophische Medizin), Berlin 2008
(7) Rippe, Olaf; Madejsky, Margret; Amann, Max; Ochsner, Patricia; Rätsch, Christian: Paracelsusmedizin – Altes Wissen in der Heilkunst von heute. AT Verlag, Aarau Schweiz 2001

 

Anschrift der Verfassserin
Dipl.-Psych. Barbara Weschke-Scheer
Heilpraktikerin, psychologische Psychotherapeutin
E-Mail: weschke-scheer@gmx.de



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Naturheilpraxis 3/2016