Akupunktur/TCM

Der Anspruch an die Chinesische Medizin

Kommentar zur Rede von Andrea Hellwig

Helmut Magel

Die im Oktober in der „Naturheilpraxis“ erschienene Rede von Dr. An­drea Hellwig beim TCM-Kongress 2015 fordert die TCM-Therapeuten auf, sich zu verändern. Sie fordert ein „neues Paradigma“. Das ist be­grüßenswert. Mit dem Neuen „wird es neue Ideen und neue Interpretationen ­genauso wie neue Fragen und Probleme geben“. Andrea Hellwig nennt dabei ein Ziel ganz konkret.


Das neue Paradigma soll laut ­Andrea Hellwig bewirken, dass die Chinesische Medizin über die Teilhabe am Krankenkassensystem Teil des öffentlichen Gesundheitssystems wird und so zur Verbesserung der Gesundheit und Kostensenkung beiträgt. Und dass die „Krise der Medizin“ überwunden werden kann durch die Chinesische Medizin. Gefragt wird im Folgenden nach dem Standort der Chinesischen ­Medizin gegenüber der „Schulmedizin“, aber auch gegenüber den anderen tradi­tionellen Naturheilverfahren – in der Tat wird es „neue Fragen und Probleme geben“. Ich greife einige auf.
Gegen die moderne Naturwissenschaft, die „alles störende Subjektive – und damit Ungenaue – ausschaltet“, bemüht Andrea Hellwig ein Beispiel der kontemplativen Betrachtung und Systematisierung der Natur durch Goethe. Aber kann es denn bei der bloßen Betrachtung bleiben? Da müsste doch gesagt werden, wie die Lücke zwischen „detaillierten subjektiven Beobachtungen und Vergleichen“ und Therapien oder Arzneimitteln für Patienten geschlossen werden soll.
Goethe war kein Kenner der Chine­sischen Medizin, auch wenn er sich mit fernöstlichem Gedankengut beschäftigte. Er stand in der Tradition der europäischen Naturheillehre, deren schriftliche Überlieferungen gut 300 Jahre älter als die der Chinesischen Medizin sind. In dem Zusammenhang wäre es wichtig, das Verhältnis zwischen europäischer und chinesischer Medizintradition zu klären. Denn bei Licht betrachtet machen die Anwendungen der Chinesischen Medizin in Deutschland lediglich 8 bis 9 Prozent der gesamten naturheilkundlichen Anwendungen aus.

Die Landkarten der ­Medizinsysteme

Wenn behauptet wird, dass die Schul­medizin die „falsche Landkarte“ in den Händen hält und die Chinesische Medizin die richtige, wäre noch zu klären, nach welcher Karte die traditionelle europäische Medizin (von anderen alterna­tiven Therapiemethoden wie Ayurveda ganz zu schweigen) therapiert. Das Argument des Alters und der Ganzheitlichkeit würde für diese ebenfalls gelten. Dass die europäische Tradition immer noch sehr lebendig und lebensnah ist, davon zeugt die Zeitschrift „Naturheilpraxis“, in der die TCM-Beiträge nur wenige Seiten pro Heft ausmachen.
In meiner Praxis arbeite ich seit über 25 Jahren fast ausschließlich mit Chine­sischer Medizin. Ich bin von ihrer Wirksamkeit nach wie vor überzeugt – aber auch von ihren Grenzen. In ihrer Rede zählt Andrea Hellwig in Anlehnung an Sean Murphy die „Volkskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht und Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs etc.“ auf und hält der Schulmedizin abnehmende „Patientenzufriedenheit“ und zukünftig „stetig steigende Gesundheitsausgaben“ vor. Sie verspricht bei Anwendung der „Landkarte, auf der unsere großartige Chinesische Medizin mit ihrem über 2000 Jahre alten Wissen und ihrer tiefen Weisheit eingezeichnet ist“, nichts weniger als die „Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, signifikante Abnahme der Gesundheitskosten und sinkende Krankheitsraten“. Das ist fürwahr ein hehrer Anspruch.
Auf welche Weise soll die Chinesische Medizin diesem Anspruch gerecht werden? Und mit welcher Methode? Akupunktur oder Kräutermedizin? Nach meiner Erfahrung sind bei den Volks- ...

Kräuter vor Akupunktur?

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Der Anspruch differenzierter Behandlung

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Literatur
Hellwig, Andrea: Medizin in der Krise. Methodologie der Irrtümer und Auswege. Naturheilpraxis 10/2015, S. 44-47


Anschrift des Verfassers
Helmut Magel
Heilpraktiker, Lebensberater
Wuppertal
E-Mail: h.magel@t-online.de


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Naturheilpraxis 01/2016