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Rechtsprechung

Urteil zur osteopathischen Praxis

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat mit Urteil vom 8. September 2015 (Az. I-20 U 236/13) bestätigt, dass Osteopathie von Physiotherapeuten nur dann ausgeübt werden darf, wenn diese über eine (uneingeschränkte) Heilpraktiker-Erlaubnis verfügen.

Zum Sachverhalt

Im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens vor dem OLG Düsseldorf wurde ein Physiotherapeut mit eigener Praxis seitens eines Wettbewerbsvereins abgemahnt, weil er damit geworben hatte, dass in seiner Praxis die Osteopathie angeboten wird. Die Therapie selbst ließ er stets von einer Physiotherapeutin mit einer fünfjährigen Osteopathieausbildung nach den Regeln der Bundesarbeitsgemeinschaft Osteopathie e.V. (BAO) ausführen.

Der Therapeut wurde zunächst außergerichtlich aufgefordert, die Abmahnkosten zu zahlen und eine Unterlassungserklärung abzugeben, mit der er sich dazu verpflichtet hätte, die Osteopathie nicht mehr ohne Heilpraktikererlaubnis anzubieten. Da keine Unterlassungserklärung abgegeben wurde, verklagte ihn der Verein vor dem Landgericht Düsseldorf, welches in erster Instanz zuständig war. Hier unterlag der Beklagte mit seiner Begründung, er habe nie uneingeschränkt mit Osteopathie geworben, insbesondere niemals behauptet, diese Leistungen selber zu erbringen. Wie auch physiotherapeutisch, werde seine Praxis nur auf ärztliche Anordnung hin tätig, und die besagten Leistungen würden durch seine Angestellte erbracht, die über eine umfassende Ausbildung für Osteopathie verfüge. Aufgrund des Umstandes, dass zum einen eine ärztliche Verordnung vorliegen müsse und zum anderen nur eine umfassend ausgebildete Mitarbeiterin die Behandlung durchführe, ergebe sich daraus kein Risiko für die Volksgesundheit. Im Übrigen sei die Osteopathie der physikalischen Therapie so ähnlich, dass bei der Anwendung durch einen Physiotherapeuten keine zusätzlichen Risiken entstünden. Diese Voraussetzungen sah das Gericht als nicht hinreichend an, Osteopathie berufs- oder gewerbsmäßig anzukündigen und/oder auszuüben. Dazu bedürfe es einer Erlaubnis für die Ausübung der Heilkunde gemäß § 1 HeilprG oder einer ärztlichen Approbation. Da der Beklagte über eine solche nicht verfüge, wurde ihm verboten die Ausübung von Osteopathie anzukündigen und/oder die Osteopathie auszuüben.



Entscheidungsgründe des OLG Düsseldorf

In dem Berufungsverfahren unterstrich der 20. Zivilsenat des OLG Düsseldorf das Urteil der Vorinstanz. Es entschied, dass „die Ausübung osteopathischer Behandlungen im Grundsatz der Erlaubnispflicht gemäß § 1 Abs. 1 HeilPrG“ unterliegt. Es ist insbesondere nicht ausreichend, alleine über eine physiotherapeutische Ausbildung zu verfügen.

„Die Osteopathie umfasst verschiedene sogenannte alternativmedizinische Krankheits- und Behandlungstechniken. Sie bezweckt die Diagnostik und Therapie (Schmerzlinderung, Muskelentspannung, Mobilisierung) von reversiblen funktionellen Störungen, insbesondere am Stütz- und Bewegungsapparat. Zur Behebung körperlicher Funktionsstörungen bedient sich die Osteopathie manueller Behandlungsmethoden, deren Zweck es ist, durch bestimmte Hand- und Massagegriffe Blockierungen insbesondere innerhalb des Gelenkapparates zu beseitigen. (...) Die Ausübung der Osteopathie stellt somit eine (berufs- bzw. gewerbsmäßig) vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen dar.

Liegen diese Voraussetzungen vor, wird Heilkunde dann ausgeübt, wenn die Tätigkeit nach allgemeiner Auffassung ärztliche bzw. medizinische Fachkenntnisse erfordert. Ob solche Fachkenntnisse im konkreten Einzelfall erforderlich sind, ist vom Ziel, von der Methodik und der Art der Tätigkeit abhängig, zum anderen kann aber auch die Beurteilung, ob die konkrete Behandlung begonnen werden darf, solche Fachkenntnisse erfordern. Entscheidend ist stets, ob die Tätigkeit ihrer Methode nach oder weil ihre sachgerechte Anwendung eine hinreichende diagnostische Abklärung voraussetzt, in den Händen Unbefugter gesundheitliche Schäden bei Patientinnen und Patienten verursachen kann. (...)

Es ist (...) davon auszugehen, dass die Ausführung osteopathischer Behandlungsmethoden medizinische Fachkenntnisse voraussetzt und eine unsachgemäße Ausübung geeignet ist, gesundheitliche Schäden zu verursachen. Hierfür spricht schon, dass das Ausbildungs- und Prüfungscurriculum der BAO einen zeitlich sowie inhaltlich erheblichen Ausbildungsaufwand umfasst.

Es ist (...) davon auszugehen, dass dies nicht einem bloßen Selbstzweck dient, sondern dieser Ausbildungsaufwand gerade dem Zweck dient, Schäden von Patienten und der Allgemeinheit abzuwenden, sodass es im Umkehrschluss naheliegend ist, davon auszugehen, dass die Ausübung osteopathischer Tätigkeit abstrakt mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Es wird zudem im Allgemeinen davon ausgegangen, dass eine nicht risikolose Osteopathie sowohl Erfahrung als auch sorgfältige Indikationsstellung erfordert. Insbesondere morphologische Veränderungen, die mit einer Schwächung der Knochen- oder Bandstruktur einhergehen, Krankheiten wie rheumatoide Arthritis, Tumore und Traumen sowie Bandscheibenvorfälle, die nur mit medizinischem Fachwissen erkannt werden können, stellen ein erhebliches Risiko bei bzw. ein Hindernis für die Anwendung osteopathischer Behandlungsmethoden dar.

Die Erlaubnis zur Ausübung der Physiotherapie gemäß (...) [ihrem Berufsgesetz]reicht dagegen nicht aus, osteopathische Behandlungen vorzunehmen. Dies zeigt sich bereits daran, dass Osteopathie nicht Bestandteil des Ausbildungs- und Prüfungscurriculums für Physiotherapeuten ist (...). Da die Physiotherapeuten-Ausbildung Osteopathie somit nicht umfasst, kann sich auch die entsprechende Erlaubnis zur Ausübung der Physiotherapie nicht hierauf beziehen.

Erläuterung

Überraschend kam das Urteil des OLG nicht. Bereits 2008 hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf festgelegt, dass „osteopathische Behandlung (…) gemäß § 1 Abs. 1 HeilprG erlaubnispflichtig“ sei (Az. 7 K 967/07). Auch einige andere Verwaltungsgerichte hatten in der Vergangenheit in der Sache gleichlautende Entscheidungen getroffen. Neu ist, dass in diesem Fall der Kläger (ein Wettbewerbsverein) über die Möglichkeit einer Abmahnung und damit über die Zuständigkeit anderer Gerichtsbarkeiten (LG, OLG) zu diesem Urteil gekommen ist.

Auswirkungen
Die Rechtslage hat sich dadurch nicht geändert, allerdings die Möglichkeit, dass Praxen, die mit Osteopathie werben oder diese ausüben, ohne entsprechende Kennzeichnung ihrer Grundqualifikation (Heilpraktiker, Arzt) abgemahnt werden können.
Das Gericht hat zudem attestiert, dass ein Verstoß gegen das HeilprG vorliegt; ein Straftatbestand, der infolge Nichtbeachtung des Urteils ein Strafverfahren nach sich ziehen kann. Zudem kann es für Physiotherapeuten berufsrechtliche Konsequenzen wie etwa den Widerruf der Physiotherapeuten- sowie ggf. auch der sektoralen Heilpraktikererlaubnis (für Physiotherapie) nach sich ziehen.

Osteopathie als eigenständige Heilkunde bestätigt
In seinen Ausführungen hat das Gericht Osteopathie als eigenständige Heilkunde bestätigt. Eine die Osteopathie betreffende spezialgesetzliche Regelung besteht nicht. Daher unterliegt die osteopathische Behandlung im Grundsatz der Erlaubnispflicht gemäß § 1 Abs. 1 HeilprG.

Keine Delegation möglich
Eindeutig ist auch die Aussage des Gerichts, dass Osteopathie nicht an Physiotherapeuten delegierbar ist, also auf Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers ausgeübt werden kann. Zwar sei hier sichergestellt, dass keine mittelbare Gesundheitsgefahr ausgehen würde, weil Patienten nicht von einem Arzt- bzw. Heilpraktikerbesuch abgehalten würden. Zudem obliegt es in diesem Fall auch dem Arzt/Heilpraktiker, die grundsätzliche Eignung für eine osteopathische Behandlung festzustellen und etwaige Kontraindikationen auszuschließen. Gleichwohl stelle die tatsächliche Behandlung einen Eingriff dar, dessen fachgerechte Ausführung eben einer entsprechenden Zulassung bedarf.

Sektorale Heilpraktiker-Zulassung reicht nicht
Diese stellt keine Erweiterung des therapeutischen Spektrums dar, sondern sie beschränkt sich lediglich darauf, dass Heilpraktiker eingeschränkt auf das Gebiet der Physiotherapie die durch ihr Berufsrecht abgedeckten physikalischen Leistungen eigenständig, also ohne ärztliche Verordnung, abgeben dürfen. Das Berufsrecht des Physiotherapeuten enthält jedoch keine Osteopathie.

Osteopathische Ausbildung reicht nicht
„Die Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz für die osteopathische Tätigkeit eines Physiotherapeuten wird nicht dadurch entbehrlich, dass der Physiotherapeut eine umfangreiche Weiterbildung an einer privaten Schule für Osteopathie absolviert hat, die den Ausbildungs- und Prüfungscurricula der Bundesarbeitsgemeinschaft Osteopathie e.V. entspricht.“ Damit hat das Gericht klar zum Ausdruck gebracht, dass eine fachliche Qualifikation nicht automatisch eine Erweiterung der rechtlichen Kompetenzen beinhaltet. Zudem liegt die Erteilung zur Ausübung der Heilkunde ausschließlich beim Staat, sie kann nicht ersetzt werden durch Ausbildungs- und Prüfungsvorgaben privater Anbieter.

Auch Hessen ist keine Ausnahme
Seit November 2008 gibt es im Bundesland Hessen eine Weiterbildungs- und Prüfungsordnung im Bereich der Osteopathie (WPO-Osteo). Durch die WPO-Osteo wird kein eigenständiger Beruf des „Osteopathen“ geschaffen; sie regelt lediglich den Weg zur Führung der Weiterbildungsbezeichnung Osteopathin/Osteopath. Die Ausübung der Osteopathie im vollen Umfang – auch wenn sie erlernt und beherrscht wird – ist für Physiotherapeuten mit der Weiterbildungsbezeichnung „staatlich anerkannter Osteopath“ auch in Hessen nicht möglich. Wer als Physiotherapeut die Osteopathie eigenständig ausüben möchte, benötigt – im gesamten Bundesgebiet – den allgemeinen Heilpraktikerstatus.

Konsequenzen für die Erstattung durch Krankenkassen
Was werden die Kassen machen? Etliche gesetzliche Krankenversicherungen erstatten im Rahmen von Satzungsleistungen Osteopathie auch von Physiotherapeuten, wenn sie ärztlich veranlasst ist. Diese Erstattungspraxis dürfte nunmehr rechtswidrig sein.
Zudem dürfte es für allgemeine Heilpraktiker und Ärzte zukünftig berufsrechtlich riskant werden, osteopathische Behandlungen an einen Physiotherapeuten ohne Heilkundeerlaubnis zu delegieren – das gilt auch für Verordnungen an sektorale Heilpraktiker für Physiotherapie.

Reichweite des Urteils
Revision wurde vom OLG nicht zugelassen. Als reine Einzelfallentscheidung hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Was bedeutet, andere Gerichte können anders entscheiden.
Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Entscheidung Vorbildcharakter hat, da sie konsequent begründet ist, sodass weitere Gerichte sich dieser Argumentation anschließen könnten.

Persönliches Fazit

Die Erstattung der Osteopathie durch gesetzliche Krankenkassen hat keine Zukunft, jedenfalls nicht in der bisher praktizierten Form. Das wird auch allgemeine Heilpraktiker treffen, die bislang gesetzlich versicherte Patienten osteopathisch „auf Empfehlung eines Arztes“ behandelt haben. Die Inanspruchnahme der Osteopathie und damit auch die Kosten sind so rapide angestiegen, dass etliche Kassen ihre Erstattung bereits drastisch „gedeckelt“ haben und dieses Urteil nun zum Anlass nehmen werden, sich ganz rauszuschleichen.
Die Nachfrage nach Osteopathie in der Bevölkerung wird jedoch nicht nachlassen; sie ist inzwischen populär, liegt „im Trend“, und die vielfachen Erfolgsmeldungen von osteopathisch behandelten Patienten wird sie weiterhin – durchaus berechtigt – im Behandlungsspektrum etablieren.
Für osteopathisch ausgebildete oder sich in Ausbildung befindende Physiotherapeuten ist die einzige Rechtssicherheit, eine allgemeine Heilpraktikererlaubnis zu erwerben. Der Markt für Turboausbildung wird zunehmen, denn Physiotherapeuten, die bereits viel Geld und Zeit in ihre Osteopathie-Ausbildung investiert haben, werden dies nicht auch noch für eine umfassende Heilpraktikerausbildung tun.
Zu guter Letzt ist eine vermehrte Anstrengung der Osteopathenverbände zu erwarten, endlich ein eigenes Berufsgesetz „Osteopath“ durchzusetzen. Osteopathie ist Heilkunde, das hat das OLG Düsseldorf erneut bestätigt, und eine die Osteopathie betreffende spezialgesetzliche Regelung besteht nicht. Für diese wollen sich nach eigenem Bekunden die bundesweiten Verbände der Osteopathen vermehrt einsetzen: „Dieses Urteil zeigt uns, dass wir dem Gesetzgeber weiter die notwendige Qualität und Patientensicherheit durch ein Berufsgesetz abverlangen müssen. Denn die Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung der Heilpraktikererlaubnis sagt nichts über die Qualifikation und das sichere Können eines Osteopathen aus. Für Physiotherapeuten, die sich lange zum Osteopathen weitergebildet haben, kann das Erlangen der Heilpraktikererlaubnis nicht die Lösung des Problems sein.“
Für allgemeine Heilpraktiker ist dieses Urteil unstreitig erfreulich, stärkt es doch die Fähigkeit des Heilpraktikergesetzes zu definieren, was als Ausübung von Heilkunde angesehen werden kann und wie entsprechend solche Diagnose- und Behandlungsformen unter das Gesetz subsummiert werden können.
Es sollte uns allerdings nicht dazu verleiten, auf nachweisbare Qualifikationen unserer breit gefächerten therapeutischen Tätigkeiten zu verzichten. Nur eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung, in Eigenverantwortung getragen, kann pauschale Vorwürfe unzureichender Patientensicherheit und Qualitätssicherung nachhaltig entkräften. Die Heilpraktiker-Erlaubnis allein schützt uns davor nicht …

Ursula Hilpert-Mühlig
Vizepräsidentin des FDH

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Naturheilpraxis 11/2015