Stoffwechsel

Bärlauch (Allium ursinum)

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Margret Rupprecht

Die Dualität von Wort und Tat, beschrieben in den berühmten Zeilen aus der Studierzimmerszene von Goethes „Faust“, beinhaltet in sich einen Konflikt, der so alt ist wie der sich seiner selbst bewusst gewordene Mensch: den Kampf zwischen Macht und Philosophie: „Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort! Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muss es anders übersetzen … Mir hilft der Geist! Auf einmal seh’ ich Rat, und schreib’ getrost: Im Anfang war die Tat!“


Goethe hat in seinem Leben wie in seinen lyrischen und dramatischen Dichtungen keinen Hehl daraus gemacht, dass er bei aller „Liebe zur Weisheit“ dennoch dem praktischen Leben, der Tat und der Macht eine zumindest ebenbürtige Position neben den geistigen Beschäftigungen einräumte. Das ist an vielem erkennbar: an der Entscheidung für seine wenig intellektuelle, dafür aber umso lebenspraktischere Gefährtin und spätere Ehefrau Christiane Vulpius ebenso wie an der von ihm immer wieder gesuchten und gepflegten Nähe zu den Mächtigen seiner Zeit, allen voran Napoleon oder Herzog Carl August von Weimar.

Goethes ungeheure Produktivität wie auch der Erfolg seines künstlerischen Schaffens resultierten nicht zuletzt aus der Ausgewogenheit beider Pole in seiner Person. Die Entscheidung, nur als Philosoph zu leben, ist ebenso einseitig wie die Entscheidung, das Leben auf Kosten des Nachdenkens dem ungebremsten äußerlichen Erfolg zu widmen. Wie überhaupt jedes Entweder-Oder meist am Kern einer Sache vorbeigeht. Leben braucht die Orientierungshilfe durch Philosophie und Philosophie die Bewährungsprobe im Leben.

Karl Marx kritisierte in seinen „Thesen über Ludwig Feuerbach“, dass die Philosophen die Welt nur verschieden interpretierten, es aber darauf ankomme, sie zu verändern. Jede wirkliche Philosophie, die nicht ein lebensfernes Theoretisieren bleiben will, sondern von Leidenschaft für das Lebendige geprägt ist, trägt in sich einen polemischen Keim, will verändern, umgestalten und ist im Tiefsten revolutionär. Auch das lebte Goethe seinen Zeitgenossen vor: So sehr er die französische Revolution mit ihren Unmenschlichkeiten und Grausamkeiten verachtete, so sehr verehrte er den Tatmenschen Napoleon und das durch ihn eingeläutete bürgerliche Zeitalter – von Goethe persönlich antizipiert in seiner Entscheidung für eine nichtadelige, aus dem einfachen Bürgertum stammende Lebensgefährtin. Die Leidenschaft für das Leben legitimiert zur Philosophie, und das Reflektieren über die eigene Verantwortung legitimiert zu Tat und Macht.

Es gibt eine Heilpflanze, die mit der Dualität von Macht und Philosophie in engem inneren Zusammenhang steht: Allium ursinum, der Bärlauch. Er ist die Heilpflanze für Menschen, die sich innerpsychisch schwertun, den „Tat-Aspekt“ zu verwirklichen und ganz lebenspraktisch umzusetzen. Wenn das Nachdenken und Philosophieren blockierend wirkt und ein Mensch aus einer überentwickelten geistigen Hemmung heraus das Thema seines Lebens zu verfehlen droht, dann hilft Bärlauch, die unterentwickelte Tatkraft anzuregen, das Leben trotz seiner Risiken zu wagen und den Durchbruch zu praktischem Erfolg zu schaffen. Das ist an der Pflanzengestalt, aber mehr noch am Pflanzenverhalten gut abzulesen.

Dominanz als zentraler Wesenszug

Noch bevor man den Bärlauch sieht, riecht man ihn: Spaziert man im Frühling durch einen Laubwald, kündet sich ein Bärlauchbestand schon frühzeitig durch seinen intensiven knoblauchartigen Geruch an. Er ist dermaßen aromatisch, dass man unwillkürlich stehen bleibt und tief einatmet, so belebend ist dieser Duft. Der intensiv lauchartige Geschmack der Pflanze macht Bärlauch zu einem beliebten Gewürz in der Küche und zu einer aromatischen Salatzutat.

Neben der Dominanz des Geruchs macht sich die Eroberungslust von Allium ursinum noch an einem zweiten Aspekt bemerkbar: der ebenso intensiven Expansionskraft und Ausbreitungslust. Bärlauch erobert sich jeden Quadratmeter Waldboden, den er bekommen kann. Keine andere Pflanze breitet sich derart massiv und offensiv aus wie Allium ursinum. Er ist der Eroberer unter den Waldbodenpflanzen, der nicht so schnell aufgibt und sich an Fläche alles nimmt, was sich ihm zur Verfügung stellt.

Dazu gesellt sich eine ganz besondere Eigenart: Was sich als Blattoberseite zeigt, ...

Bärlauch in Mythologie und Geschichte

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Pharmakologie und Indikationen

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(Fotos: Christian Reichard)

Literatur
Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Grundlagen – Anwendung – Therapie. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
Sigrid Damm: Christiane und Goethe. Eine Recherche. Insel Verlag, Frankfurt 2000
Susanne Fischer-Rizzi: Medizin der Erde – Legenden, Mythen, Heilanwendung und Betrachtung unserer Heilpflanzen. Hugendubel, München 2000
Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Kommentiert von Erich Trunz. Beck Verlag, München 1982
Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag, Aarau (Schweiz) 2002
Hildegard und Roger Kalbermatten: Pflanzliche Urtinkturen – Wesen und Anwendung. AT Verlag, Baden und München 2005
Gerhard Madaus: Lehrbuch der Biologischen Heilmittel. Band 3. Mediamed Verlag, Ravensburg 1987
Karl Marx: Thesen über Feuerbach. Argument Verlag, Hamburg/Berlin 1998
Hildebert Wagner, Markus Wiesenauer: Phytotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathika. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2003
Max Wichtl (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2002



Anschrift der Verfasserin
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Straße 6a
81929 München



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Naturheilpraxis 9/2015