Akupunktur/TCM

Nachruf

Prof. Dr. Manfred Porkert
(*16.8.1933, †31.3.2015)

Professor Fu, von der Beijing-Universität für Traditionelle Chinesische Medizin, ist sehr versiert in der Kunst, klassische Rezepte zu wählen, indem er die Muster-Diagnose basierend auf einigen Schlüsselsymptomen begründet. Der designierte Nachfolger des berühmten Jing-Fang-Arztes Liu Du-Zhou (1917–2001) legt großen Wert darauf, die Schlüsselsymptome keinesfalls zu unterschätzen, da diese häufig die zugrundeliegende Pathologie widerspiegeln und genau genommen die äußere Manifestation gemäß der subtilen pathologischen Veränderungen im Inneren sind.


Prof. Dr. Manfred Porkert ist am 31. März verstorben. In den letzten Jahren war es sehr ruhig um ihn geworden, und von seinen Domizilen in Frankreich und Italien aus nahm er nur gelegentlich Kontakt nach Deutschland auf. Das war einmal anders, war Porkerts brillanter Geist doch bestimmend für die Verbreitung der chinesischen Medizin in Deutschland und Europa von den 1970er- bis 1990er-Jahren. Seine Vita spricht für sich: Er promovierte 1957 unter Marcel Granet (Autor von „Das chinesische Denken“) an der Pariser Sorbonne und lehrte ab 1970 an der LMU München. 21 Jahre lang war er dort Professor für Sinologie und – einzigartig in Deutschland! – für chinesische Medizin. Mit Joseph Needham („Celestial Lancets“) arbeitete er zusammen. Welt weit hat er gelehrt, in China war er maßgebliches Mitglied der Akademie für chinesische Medizin, in der Schweiz leistete er jahrelang beachtliche Beiträge zu den von C.G. Jung getragenen Eranos-Tagungen in Ascona. Über 400 Übersetzungen und Beiträge zu Medizin, Philosophie, Literatur und chinesischer Sprache hat er publiziert, die zudem vielfach ins Englische, Französische, Japanische, Chinesische, Russische, Schwedische, Italienische und Spanische übersetzt wurden.
Als durchaus kritischer Begleiter von Entwicklungen der chinesischen Medizin in China und der westlichen Welt konnte Manfred Porkert gut polarisieren. Brachte er doch akademisches, sinologisch-philosophisches Denken in die meist pragmatische Akupunktur-Szene ein. Neue Horizonte eröffneten sich denjenigen, die sich aus dem westlichen Denken schöpfend dem wortwörtlich „alternativen“ chinesischen Heilsystem näherten. Mit der Sprache begann es – bestimmt doch die Sprache unsere Welt. Und so erschien es nur stimmig, dass zur Darstellung eines völlig anderen, fremden Medizinverständnisses nicht die „normalen“ Begrifflichkeiten genutzt werden. Zu sehr sind wir befangen in den medizinischen Termini, ist unsere Wahrnehmungsfähigkeit beschränkt, wenn wir Begriffe wie „Herz“, „Energie“ oder „Seele“ gebrauchen. Dass Porkert das Lateinische auswählte, wirkte zugleich befremdlich und vertraut und fand nicht nur Liebhaber. Dennoch wird dieser Weg von zahlreichen Adepten der chinesischen Medizin, vor allem der von ihm gegründeten SMS (Societas Medicinae Sinensis), in Deutschland immer noch beschritten.

Für mich war damals die Heraushebung der wesentlichen Unterschiede zwischen dem westlichen, kausalanalytischen und dem östlichen, induktiv-synthetischen Denken bahnbrechend. Die Vorstellungen von der mechanistisch geprägten Analytik, die zutiefst die moderne westliche Methodik prägt, konnte Horizonte erweiternd durch die sowohl Mikro- als auch Makrokosmos umfassenden Analogien des „Entsprechungssystems“ ergänzt werden. Porkerts Gedanken dazu waren die unerlässlichen Grundlagen für das, was Jahrzehnte später – adaptiert an die westliche Medizinwelt – als das Konstrukt (!) „TCM“ den Westen erreichte. Sein Werk „Die theoretischen Grundlagen der chinesischen Medizin“ eröffnete denjenigen Therapeuten Horizonte, denen das Agieren mit Zangfu, Qi, Blut und Flüssigkeiten beispielsweise nicht ausreicht und die nach dem Kern und den tatsächlichen Fundamenten der chinesischen Heilkunde suchen.

Bereits in den 1970ern und 1980ern – zu einer Zeit, da die Akupunktur sich hierzulande fast ausschließlich auf die Werke von Stiefvater, Schmidt, Van Nghi, Soulié de Morant, Brodde u.a. als reine Sekundärliteratur berief – übersetzte und verfasste Porkert Standardwerke zu Akupunktur und Pharmakologie – übrigens zusammen mit Professoren von der TCM-Universität Chengdu, mit der er seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden war. Für mich war die „Systematische Akupunktur“ das erste Akupunkturbuch, das die Dimensionen symptomatischer „Nadelung“ wirklich grundlegend erweiterte. Von 1979 bis 1994 war er dann auch begierig aufgenommener Referent auf dem TCM Kongress Rothenburg.

Manfred Porkert – für viele unserer jüngeren Kolleginnen und Kollegen könnten seine Gedanken wegweisend sein. Und für uns „Alte“ ein ergiebiger Rückgriff auf die eigentlichen Wurzeln des oft oberflächlich erscheinenden Konstrukts „TCM“, das sich immer wieder an den Maßstäben westlichen Denkens misst, statt die tatsächlich alternative Einzigartigkeit dieses umfassenden Heil- und Denksystems herauszuarbeiten.

Danke, Prof. Man Xi Bo!

PS: Porkerts Werke sind leider nur noch teilweise/antiquarisch erhältlich, ein vollständiges Verzeichnis findet man im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, https://portal.dnb.de

... ganz anders ist übrigens Porkerts Übersetzung des Ming-zeitlichen Romans „Der Aufstand der Zauberer“ ...


Andreas Noll


Erinnerungsworte

Der plötzliche Tod von Prof. Dr. Manfred Porkert überwältigt uns mit Trauer und großem Bedauern. Sein Einblick in die chinesische Kultur und Philosophie und seine Visionen waren einzigartig. Sein Lebenswerk umfasste fundamentale Beiträge zum Austausch zwischen chinesischer und westlicher Kultur, Philosophie, Denkweise, Religion und Medizin. Sein Leben war von ganzem Herzen erfüllt von der Erforschung, Lehre und Verbreitung der chinesischen Medizin.
Prof. Dr. Porkert war ein alter und guter Freund des chinesischen Volkes und genoss hohes Ansehen in den Kreisen der traditionellen chinesischen Medizin.
Sein Tod ist ein großer Verlust für die interkulturelle Kommunikation zwischen Ost und West. Wir haben einen wahren Freund mit großem Wissen, mit Weisheit und einem edelmütigen Geist verloren.
Wir werden uns immer herzlich an ihn erinnern und ihm zu großem Dank verpflichtet sein!
Lieber Prof. Dr. Manfred Porkert, ruhe in Frieden!


Prof. Huang Qingxian für die TCM-Universität Chengdu
(Übersetzung Andreas Noll)



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Naturheilpraxis 6/2015