Frauen und Männer

Frauenmantel (Alchemilla vulgaris)

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Margret Rupprecht

Heilpflanzen haben neben ihrem üblichen deutschen oder botanischen Namen oft eine Fülle an volkstümlichen Bezeichnungen. Betrachtet man diese ein wenig näher, verraten sie viel über das Wesen der Pflanze – zum Beispiel beim Frauenmantel, dessen landläufige Bezeichnungen die beiden Aspekte des Weiblichen und des Umhüllenden beinahe ausnahmslos zum Ausdruck bringen: Liebfrauenmantel, Jungfernmantel, Mäntelchenkraut oder Taubecherl.


Bevor Alchemilla als „Liebfrauenmantel“ mit der Gottesmutter Maria in Verbindung gebracht wurde, hatten die Germanen die Pflanze bereits der Frigga geweiht, der Göttin der Natur und der Fruchtbarkeit.

Keine andere Pflanze erzählt durch Gestalt und Verhalten so viel vom Genuinen des weiblichen Wesens wie Alchemilla vulgaris.

Die außerordentliche Wertschätzung des Frauenmantels – die Alchemisten nahmen die Tautropfen aus ihren Drüsenhaaren als Ausgangssubstanz für die Herstellung ihrer Lebenselixiere – rührt von der einfachen Tatsache, dass die Pflanze als Inbegriff weiblicher Wesenseigenschaften wahrgenommen wurde.
Auch die Frau birgt in sich etwas Umhüllendes: den Uterus. Das englische Wort woman leitet sich ab von man with a womb – Mensch mit Gebärmutter. Der Mutterschoß, mit dem sich die Frau als entscheidend „anders“ vom Mann abgrenzt, galt als heilig, weil neues Leben nur durch ihn kommen kann. Die ganze Bewegung des menschlichen Lebens geht durch den weiblichen Schoß; er ist das Tor zur Welt. Der französische Maler Gustave Courbet hat dies mit einem berühmten Gemälde auf den Punkt gebracht. Es heißt L’origine du monde („Der Ursprung der Welt“) und sorgte seinerzeit (1866) für einen Skandal.

Weil es die Frau ist, die einen Schoß in sich birgt, sind die Themen Empfänglichkeit und Umhüllung etwas zutiefst Weibliches.

Der Mutterschoß ist eine Öffnung, eine Einladung für das Unbekannte. Er macht die Frau zur Gastgeberin und den Mann wie auch das Kind zum Gast. Der Uterus ist die Pforte, über die ein Mensch aus dem Energiefeld des Kosmos in seine irdische Inkarnation eintritt.

Das Medial-Empfängliche des weiblichen Wesens kann sich leiblich in der Mutterschaft oder übertragen in Form anderer kreativer Prozesse seinen Weg bahnen. Während das männliche Wesen linear und zielgerichtet ist, ist das Weibliche rund, umhüllend und zyklisch. Eine Frau kann warten und offen sein. Über ihren monatlichen Zyklus macht sie die Erfahrung, dass das Leben ein Kreislauf von sich wiederholenden Möglichkeiten ist und es immer wieder etwas Neues zu empfangen gibt. Wieder und wieder kommt eine Gelegenheit, etwas zur Welt zu bringen. Die Pflanze Alchemilla vulgaris bringt dies in Gestalt und Verhalten bildlich zum Ausdruck.

Aufnehmen und Loslassen

Der Name „Taubecherl“ beruht eigentlich auf einem Missverständnis: Die wasserklaren Tropfen, die sich am Grunde eines Frauenmantelblattes sammeln, sind kein Tau, auch wenn sie morgens und am Vormittag besonders reichlich zu finden sind. Die silbernen Tropfen werden von den Wimpernhaaren des Blattrandes gebildet und laufen anschließend am tiefsten Punkt des mantelartig gefältelten Blattes zusammen. Aufnehmen, sammeln und behüten sind Fähigkeiten, die Alchemilla dem Betrachter mit ihren Tropfen gleichsam vorlebt.

Ergänzt werden diese Qualitäten durch ein weiteres, sehr „weibliches“ Signaturmerkmal: Die Frauenmantelfrucht ist eingehüllt von einem weichen, glatten Kelchbecher, ist mit ihm jedoch nicht verwachsen. Das ist für die Gattung und Art der Rosazeen, zu denen auch Alchemilla gehört, eher unüblich. Der Frauenmantel schützt seine Frucht, lässt sie aber für sich als abgeschlossenes Ganzes existieren, ähnlich wie ein Embryo in der Gebärmutter nicht mit dieser verwächst, sondern eigenständig bleibt.

Von den stärkenden Kräften, mit denen Frauenmantel die Schwangeren unterstützt, erzählt Kräuterpfarrer Künzle eine schöne Geschichte:

Einer Frau im Glarnerland, welche schon zehn Geburten durchgemacht hatte, wobei die ...

Frauenmantel in Mythologie und Geschichte

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Pharmakologie und Indikationen

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Literatur
(1) Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag, Aarau (Schweiz) 2002
(2) Max Wichtl (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2002
(3) Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Grundlagen – Anwendung – Therapie. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
(4) Hildebert Wagner, Markus Wiesenauer: Phytotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathica. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2003
(5) Theodor Dingermann, Dieter Loew: Phytopharmakologie. Experimentelle und klinische Pharmakologie pflanzlicher Arzneimittel. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2003
(6) Rudolf Fritz Weiß: Lehrbuch der Phytotherapie. Hippokrates Verlag, Stuttgart 1991
(7) Josef Karl: Neue Therapiekonzepte für die Praxis der Naturheilkunde. Pflaum Verlag, München 1995
(8) Gerhard Madaus: Lehrbuch der Biologischen Heilmittel. Band 3. Mediamed Verlag, Ravensburg 1987



Anschrift der Verfasserin
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Straße 6a
81929 München



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Naturheilpraxis 6/2015