Luft und Atem

Efeu (Hedera helix)

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Margret Rupprecht

Dass zwei Seelen in der Brust des Menschen wohnen, ist spätestens seit Goethes „Faust“ sprichwörtlich, und der Dichter Conrad Ferdinand Meyer beschreibt ein ähnliches Phänomen mit seinem Aphorismus „Ich bin kein ausgeklügelt Buch, ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch“.


Die menschliche Psyche unterteilt sich im Verständnis C. G. Jungs in die beiden Archetypen der sichtbaren Außenseite des Menschen, der „Persona“, und des verdrängten Gegenstücks, des „Schattens“. Der Schatten entwickelt sich parallel zur Persona und umfasst jene Bereiche des Ich, die von der Gesellschaft als intolerabel und feindlich bewertet werden. Schon früh beginnt jener Prozess der Verdrängung und Abspaltung von aggressiven und triebhaften Impulsen, die oftmals ein Leben lang am eigenen Ich negiert und dafür umso heftiger auf die Außenwelt projiziert werden.

Die Geburt des „Teufels“ geschieht aus der idealistischen Überhöhung des eigenen Ich. Nicht umsonst bedeutet das Wort Satan im Hebräischen Widersacher, Feind, und der Teufel (Diabolos), dieser katholische Universalsündenbock, leitet sich ab vom griechischen diaballo – verleumden, womit im eigentlichen Sinne die Verleumdung von Seelenanteilen gemeint ist, die der Betroffene an sich selbst nicht wahrnehmen möchte.

Vielen Menschen, deren Religiosität fundamentalistische Züge trägt, ist gar nicht bewusst, dass es einen Teufel im Außen gar nicht gibt, sondern er ausschließlich im eigenen Inneren zu finden ist: in der Verdrängung und Verweigerung jener umfassenden Selbsterkenntnis, die der eigenen Destruktivität und Negativität offen ins Gesicht sehen kann. Das erklärt ein immer wieder zu beobachtendes Phänomen: Gefühlskalte und selbstgerechte Personen finden sich auffällig häufig in jenen gesellschaftlichen Kreisen, die einen überdurchschnittlich hohen ethischen Anspruch besitzen: besonders gute Christen, überengagierte Esoteriker und all jene Menschen, die sich auffällig laut zu irgendwelchen Werten bekennen. Es sind gerade die Idealisten, die oftmals ihr eigenes „Teufelsein“ nicht integriert haben. Sie laufen Gefahr, es unbewusst auszuleben, anstatt es zu transformieren. Wie sympathisch ist dagegen ein anständiger Sünder im Vergleich mit einem unanständigen Christen!

In der griechischen Sprache gehen die Worte eu (gut) und einai (sein) auf dieselbe etymologische Wurzel zurück: Alles, was ist, ist gut. Das heißt in letzter Konsequenz: Auch das Negative hat seinen Wert. Allein die Tatsache, dass es ist, gibt dem Bösen eine Bedeutung. Denn nichts, was ist, ist ohne Sinn. Alles besitzt eine Funktion. Man kann aus dem Negativen lernen und es über den Weg der Bewusstmachung transformieren. Wenn es überhaupt einen Weg gibt, das – eigene – Negative zu überwinden, dann nicht durch Verdrängung, sondern durch bewusste innere Auseinandersetzung, ein tiefes Verstehen seiner Ursachen und das Aufarbeiten dieser Ursachen über konstruktivere Wege. Das ist Integration, und hier beginnt nach C. G. Jung die psychische Geburt des Menschen als ganzer Mensch.

Die Konfrontation mit den eigenen Schattenseiten ist ein harter Moment, eine Phase großer Destabilisierung, in der dem Betroffenen phasenweise der Boden unter den Füßen verloren geht. Eben deshalb wird die Auseinandersetzung mit den eigenen Schattenseiten so lange und so intensiv abgewehrt. Doch wer sich diesem Prozess stellt, schafft einen Durchbruch, der oft ein bislang nicht gewagtes schöpferisches Potenzial freisetzt. Die Energie, die zuvor in die Abspaltung des eigenen Schattens gesteckt worden ist, kann jetzt frei fließen in ein Werk, in ein Projekt, in die authentische Gestaltung des eigenen Lebens. Eine Heilpflanze, die diesen Prozess sanft, tiefgreifend, behutsam modulierend, aber unglaublich nachhaltig unterstützt, ist die Mysterienpflanze Efeu: Hedera helix.

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Alte Mysterienpflanze

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Pharmakologie und Indikationen

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Literatur
Carl Gustav Jung; Lorenz Jung: Archetypen. DTV, München 2001
Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache. Verlag de Gruyter, Berlin 2002
Hermann Menge: Langenscheidts Großwörterbuch griechisch – deutsch unter Berücksichtigung der Etymologie. Langenscheidt, München 1979
Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag, Aarau 2002
Max Wichtl (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002
Gerhard Madaus: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Band 7. Mediamed Verlag, Ravensburg 1989
Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Grundlagen – Anwendung – Therapie. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
Hildebert Wagner; Markus Wiesenauer: Phytotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathika. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2003




Anschrift der Verfasserin:
Margret Rupprecht
Quinta Essentia
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Straße 6a
81929 München


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Naturheilpraxis 4/2015