Luft und Atem

Die Lebensgeister

Arnold Mayer

Was für die TCM das Qi ist, sind für die TEM (Traditionelle Europäische Medizin) die Lebensgeister, die Spiritus. Diese sind – wie in der TCM auch – die tätigen Werkzeuge der organisierenden Kräfte im Organismus. Die Lebensgeister sind der Urgrund aller Funktionen und bilden in ihrer Summe das Prinzip der Lebenskraft (Vis vitalis).


Die moderne naturwissenschaftlich orientierte Medizin betrachtet das Leben als die Folge von chemischen und physikalischen Prozessen, die in der Summe als Stoffwechsel in Erscheinung treten. Die TEM dreht diese scheinbare Kausalkette um: Der Stoffwechsel ist die Folge des tätigen Lebens. Erst wenn eine belebende Kraft, die Vis vitalis, tätig ist, finden Stoffwechsel und Lebenstätigkeiten statt. Diese Lebenskraft ist nichts anderes als die Gesamtheit der Spiritus (Lebensgeister) des Organismus.

Für die alte Medizin sind die Spiritus die „Ursache aller Bewegungen“. Alle inneren und äußeren Bewegungen erfolgen nur durch die Wirkung der Lebensgeister. Sie sind die gestaltenden, organisierenden und dirigierenden Kräfte. Alle Funktionen der Physiologie, der Pathophysiologie und der Heilung sind von ihnen abhängig, werden von ihnen in Gang gesetzt, gelenkt und begrenzt.

Die Spiritus entnimmt der Organismus zunächst der Atemluft über die Funktion der Luftverdauung in der Lunge. In der Thymusdrüse wird dieser energetische Anteil der inkorporierten Luft dann in die drei zentralen Spiritus umgewandelt. Für die Entstehung dieser geisthaften Kraft in der atmosphärischen Luft ist die Einwirkung der ionisierenden Strahlung der Sonne verantwortlich. Dadurch wird die Atemluft mit vitalisierender und reizender Kraft versehen, dieser Effekt ist auch ein Faktor bei der Entstehung des Reizklimas in heilklimatischen Kurregionen. Aber auch außerhalb der therapeutisch wirksamen heilklimatischen Wirkungen entfaltet dieser Anteil ionisierter Luft wichtige physiologische Reizwirkungen im Organismus. Ohne diese reizende Wirkung jenseits des Sauerstoffs kommt die Tätigkeit der Lebenskraft zum Erliegen, deshalb wird die Atemluft (Luftnahrung) als „Pabulum vitae“ bezeichnet, als „Nahrung des Lebens“. Seit urältesten Zeiten wird die Atemluft daher in enger Verbindung zu dieser geistartigen Kraft gesehen, die uns am Leben hält und die als Seelenkraft den Lebensfunken vielleicht erst zur Lebensflamme entzündet.

Die drei Spiritus

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Lunge – Pforte der Spiritus

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Leber – Quelle der nährenden Feuchte

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Herz – Sitz der Lebensflamme

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Hirn – Nervenkraft



Literatur
Langton, Christopher: A very brefe treatise, orderly declaring the pri(n)cipale partes of phisick. London, 1547
Leupoldt, Joh. Mich.: Die alte Lehre von den Lebensgeistern. Verlag G. Reimer, Berlin/ Leipzig, 1824
Mayer, Arnold: Traditionelle Europäische Medizin – Lehrbuch und Atlas zur TEM. Augsburg, Foitzick Verlag, 2013
Müller, Ingo W.: Humoralmedizin. Haug-Verlag, Heidelberg, 1993
Riverius, Lazarus: Universal Body of Physick. Montpellier/London, 1657
Sennert, Daniel: Epitome Institutionum
Medicinae. Pauli Frambotti, Patavii, 1644
Steinheim, Salomon Ludwig: Die Humoralmedizin. Schleswig, 1826
Voorhoeve, Jacob: Homöopathie in der Praxis. Zwolle/Leipzig, 1908





Anschrift des Verfasser:
Arnold Mayer
Heilpraktiker
Meilerstraße 1
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E-Mail: physicusnaturae@googlemail.com


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Naturheilpraxis 4/2015