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Cannabis – Heil und Leid

Peter Germann

Einmal wieder schlagen die Wellen um Cannabis hoch. Das sogenannte „Cannabisurteil“ des Verwaltungsgerichts Köln hat Ende 2014 für erneuten Wirbel gesorgt. Chronisch erkrankte Schmerzpatienten, die zwar die Erlaubnis vom BfArM haben, Cannabisprodukte in der Apotheke zu erwerben, denen aber der Eigenanbau untersagt wurde, hatten geklagt. Die Kölner Richter entschieden, dass der Eigenanbau in ganz bestimmten Fällen für den therapeutischen Eigenkonsum erlaubt sei. Falls alle therapeutischen Schmerzlinderungsmaßnahmen nicht mehr greifen würden, sei als Notlösung der Selbstanbau möglich. Darüber entscheidet allerdings wieder das Gericht.

Kriterien sind, dass man nachweislich austherapiert ist, zudem eine Bestätigung, dass es keine weiteren Behandlungsalternativen gibt, und die Apothekenpreise von Cannabisprodukten für den speziellen Patienten unerschwinglich sind. Alle Nachweise müssen von offiziellen Stellen sein, die Angaben des Patienten allein reichen nicht aus.

Sogar wenn ein Patient die hohen Apothekenpreise in Kauf nimmt, die bis zu 1000 Euro pro Monat betragen können, ist eine ärztliche Rezeptierung von Cannabisprodukten ebenfalls schwierig bis unmöglich.

Ich habe einen Rheumapatienten zu verschiedenen Ärzten geschickt mit der Bitte, Hanf zu rezeptieren; keiner hatte dies getan: Man müsse erst durch die gesamte schulmedizinische Therapiepalette schleusen und dann nachweisen, dass alles nichts genützt habe. Falls der Patient nach all der verabreichten Chemie noch lebt, kann er eventuell hoffen, dass ihm Cannabisprodukte, die unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) fallen, in Eigenbezahlung rezeptiert werden. Zieht der Patient nach dieser Odyssee den Rückschluss, für den Eigenbedarf die Pflanze selbst in seinem Garten anzubauen, macht er sich wiederum strafbar.

Bis heute werden in der Botanik zwei Standpunkte zur Gattung Cannabis eingenommen. Auf der einen Seite wird sie als monotypisch eingestuft, was bedeutet, dass es nur eine Art, nämlich Cannabis sativa, gibt, die sich in mehrere Varietäten und Sorten aufgliedern lässt. Die andere Fraktion hält an dem Konzept von drei Spezies fest, nämlich Cannabis sativa, indica und ruderalis, weiterhin gibt es Hybriden. Erstere ist harmlos und wird auch in Deutschland angebaut für Seile, Kleidung, Diätetik oder Papierprodukte. Cannabis indica enthält THC (Tetra-Hydro-Cannbinol) und fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Scheinbar ist die Angst vor dieser Pflanze so groß, dass der Gesetzgeber selbst homöopathische Hochpotenzen unter die BtMG-Pflicht stellt!

In Deutschland gingen sechs Schmerzpatienten 2014 in den Hungerstreik, um den Eigenanbau durchzusetzen. Eine Frau aus Rüthen hatte sich 14 Jahre lang durch alle Instanzen gekämpft, hat inzwischen das Bundesverdienstkreuz erhalten, aber die Genehmigung bleibt immer noch aus. Momentan hat sie Sponsoren, die für sie die monatlichen Cannabiskosten für Apothekenpräparate bezahlen, doch würden diese sich zurückziehen, stünde die Patientin wieder ohne ein hilfebringendes Medikament da.

Dr. Franjo Grotenhermen, Hausarzt und Cannabisexperte, der unter anderem die WHO berät, sagt, dass Millionen Menschen in Deutschland unter chronischen Schmerzen litten. Viele davon seien therapeutisch am Ende. Aber der Anbau zu Hause könnte laut BfArM schon deshalb nicht uneingeschränkt erlaubt werden, weil die Reinheit nicht garantiert sei.

Natürlich ist der Selbstanbau eine Notlösung. Der Weg über die Apotheke ist für ein Medikament der richtige, doch wie soll dies bei der jetzigen Gesetzgebung geschehen? Der THC-Gehalt, um den es bei der ganzen Diskussion geht, hat im 20. Jahrhundert noch im einstelligen Bereich gelegen, inzwischen geht er hoch bis auf 18 Prozent. Es wäre ganz einfach, die Arten mit niedrigerem Gehalt für den Eigenanbau zu legalisieren. Solange aber die Pflanze als illegal eingestuft ist, sind Tür und Tor für den Handel mit genmanipulierten Arten geöffnet, ebenso der Zugang zu harten Drogen.

Ich habe Patienten, Rentner mit Schmerzen unterschiedlicher Genese, mit eigenem Dealer. Der normale, biedere Zeitgenosse wird in die Illegalität gedrängt, weil er sonst keinen Ausweg mehr weiß! Natürlich hat es auch einen gewissen Grad an Slapstik, wenn mich eine über 70-jährige Patientin fragt, ob sie mir beim nächsten Besuch Plätzchen mitbringen solle, sie backe gerade wieder Hanfkekse. Es erinnert ein wenig an die köstliche Cannabiskomödie „Paulette“ mit Oscarpreisträgerin Bernadette Lafont, die eine 80-jährige ehemalige Konditorin spielt, welche ein ganzes Viertel in Paris mit ihren Haschischplätzchen versorgt. Trotz aller Skurrilität bleibt einem allerdings in der Praxis das Lachen im Hals stecken.

Das Unrechtsbewusstsein beim Konsum von Cannabis nimmt immer mehr ab. Für die Aufzucht von THC-haltigem Hanf ohne Anbaugenehmigung droht aber ein Strafverfahren.

Man stelle sich einmal vor, dass das, was ich mit mir mache, strafbar ist! Es ist so, als ob man einen Menschen, der seinen Suizidversuch überlebt hat, zehn Jahre ins Gefängnis sperrt wegen eines missglückten Mordversuches. Ebenso ist es mit dem Hanfanbau. Man verbietet mir, in meinem Garten das anzubauen, was ich will. Dass der Handel mit Cannabis untersagt ist, kann ich noch nachvollziehen, aber dass ich mich strafbar mache, weil ich für meinen Eigenkonsum etwas pflanze, wie Kartoffeln, Möhren oder einen Apfelbaum, ist für einen liberalen, demokratisch denkenden Zeitgenossen nicht nachvollziehbar.

Bleibt zu hoffen, dass sich aus der erneuten Diskussion um die therapeutische Anwendung von Cannabis sowie den Eigenanbau etwas in der offiziellen Denkweise tut. In manchen anderen europäischen Ländern haben wir viel liberalere Gesetzgebungen um dieses Thema, ohne dass eine Missbrauchswelle die Folge wäre.

Wenn ich mir die beiden unterschiedlichen Parteien anschaue, die der Gesetzgebung und die der Patienten und Konsumenten, dann frage ich mich manchmal, wer eigentlich mehr „bekifft“ ist. Das Einfachste ist, man bringt Cannabisprodukte besteuert auf den Markt, damit müsste in Deutschland doch alles frei zu verkaufen sein.

(Abbildungen vom Verfasser)

Literatur
Christian Rätsch: Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen. AT Verlag 1998
Karen Nieber: Cannabis aus der Apotheke? Phytotherapie 5/2014, Haug Verlag
Petra Koruhn: Im Hungerstreik für Cannabis. WAZ 4.9.2014
Matthias Korfmann: Nachhilfe für Nachwuchs-Kiffer. WAZ 3.11.2014

Anschrift des Verfassers
Peter Germann
Gesundheitshaus Viriditas / Phytaro – Heilpflanzenschule Dortmund
Im Karrenberg 56
44329 Dortmund


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Naturheilpraxis 2/2015