Ernst-Albert Meyer
Die Stoffwechselkrankheit Gicht gehört zu den am meisten beachteten Erkrankungen in der Volksmedizin. Entsprechend ihrer Verbreitung war auch die Zahl der volksmedizinischen Heilmittel riesig. Hier finden wir neben rationalen Empfehlungen viele abstoßende und im Aberglauben verhaftete Rezepte.
Die Menschen versuchten zu allen Zeiten, sich die Entstehung von Krankheiten entsprechend ihrem Wissensstand zu erklären. In Schwaben war man z.B. der Meinung, dass Elben – das sind böse Dämonen – am Menschen saugen, ihn mager und blutarm machen und die Gicht verursachen. Deshalb galten die Elben als Gichtdämonen. Nach der Überlieferung sind Elben gefallene Engel. Häufig glaubte man, dass Ausschweifungen und eine „lockere Lebensweise“ die Gicht („gutta“, „Podagra“) auslösen. Was genau zur Gicht führt, erklärt der Volksmund mit folgendem Spruch:
Vinum (der Wein), der Vater
Coena (das Essen), die Mater (Mutter)
Venus (die Liebe), die Hebamm’
Machen das Podagram. (1)
Der Name „Gicht“ war im Mittelalter wenig verbreitet; man sprach lateinisch von „gutta“ (der Tropfen), italienisch von „gotta“, französisch von „goutte“ und mittelhochdeutsch von „tropfe“.
Die heilkundige Nonne Hildegard von Bingen (1098–1179) klärt uns über die Entstehung dieses Krankheitsnamens auf: „Menschen, die weiches, mit vielen Poren durchsetztes Fleisch haben und übermäßigem Genuss von schwerem Wein sehr ergeben sind, werden häufig von der Seuche heimgesucht, welche der ‚Tropfen‘ genannt wird. Bei Leuten mit weichem Fleisch fallen nämlich infolge des unmäßigen Trinkens die schlechten Säfte, die in ihnen sind, plötzlich in irgendeines ihrer Glieder und zerstören es wie Brandpfeile …“ Ebenso würden „diese Säfte die Glieder, auf die sie herabtröpfeln, zerstören, wenn es nicht die göttliche Gnade und der Lebensgeist, der im Menschen ist, verhinderten …“ (2)
Die alten Schriften beschreiben unter „gutta“ verschiedene Krankheitsbilder, von Gliederlähmungen über rheumatische Beschwerden bis hin zum Schlaganfall, d.h., oft wird in der damaligen Medizin nicht zwischen Gicht und rheumatischen Erkrankungen unterschieden. So auch in Bayern. Hier entstehen Gicht und Rheuma durch „zurückgeschlagenen Schweiß“ und „Flüsse“, die im Körper bzw. Blut umherziehen. Dabei werden immer wieder 77 „Flüsse“ genannt. Andernorts bekam man die Gicht durch Verhexen und Schadenszauber. Bekannt für die Gicht war auch der Ausdruck „Zipperlein“, abgeleitet von „zippern“, d.h. krankheitsbedingt vorsichtig und ängstlich gehen.
Viele tierische Heilmittel der Volksmedizin gegen die Gicht wurden von dem römischen Autor Plinius (23–79 n.Chr.) übernommen. Diese meist unappetitlichen Mittel zum Einnehmen basieren fast alle auf Aberglauben: flüssiger Schafskot, Wolfsfett mit Frauenmilch, Widdergalle mit Talg, Schafslunge, die Asche einer zusammen mit Salz in einem neuen Topf verbrannten Giftschlange oder „drei starke Finger“ eines trocken zerriebenen Geiers.
Als äußerliches Mittel wird die Asche eines lebendig verbrannten Wiesels in Essig und Öl eingeweicht und mit einer Hühnerfeder auf die schmerzenden Gichtstellen aufgetragen. Man konnte – laut Plinius – auch mit Hühnerkot einreiben oder Regenwürmer, in Essig und drei Becher Honig eingelegt, als Umschlag benutzen. Doch vorher sollten die gichtigen Füße mit Rosenöl massiert werden.
Eine andere Einreibung besteht aus Geierblut, über das Brennnesseln gelegt werden. Und zu folgendem Trank der Volksmedizin kann man nur „zum Wohl“ sagen: Die Asche eines Eulenkopfes wird mit zerkleinerten Lilienwurzeln in Met (Honigwein) verrührt und dann getrunken. Doch das Unappetitliche lässt sich noch zum Ekelhaften steigern: So wird berichtet, dass um das Jahr 1452 eine Gichtkranke von ihrem Leiden dadurch geheilt wurde, dass man Leichenteile auf den warmen Ofen legte. Die Frau trank dann die ablaufende „Fettbrühe“ mit Bier vermischt.
Es erstaunt immer wieder, mit welcher Treffsicherheit die Menschen früher hin ...
Literatur:
(1) Grabner, E.: Volksmedizin. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Darmstadt 1967
(2) Schipperges, H.: Der Garten der Gesundheit. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1990
(3) Schott, H.: Die Chronik der Medizin. Chronik Verlag, Dortmund 1993
(4) Karger-Decker, B.: Von Arzney bis Zipperlein. edition q, Berlin 19928
Anschrift des Verfassers:
Ernst-Albert Meyer
Fachapotheker für Offizin-Pharmazie und Medizin-Journalist
Oldendorfer Straße 44
31840 Hessisch Oldendorf
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Naturheilpraxis 10/2014