FACHFORUM

Homöopathie hilft …

Klaus Binding

Homöopathie hilft Krankheit … oder sollte es nicht heißen: Homöopathie heilt Krankheit? Hahnemann spricht im ersten Paragraphen seines Organon nicht von Krankheit, sondern von kranken Menschen, die es zu heilen gilt. Wird die Krankheit geheilt – oder der Mensch? Ist Krankheit vielleicht ein Hilfsmittel des Heilungsprozesses?


Hahnemann definiert Krankheit als die Summe der erkennbaren Veränderungen des Leibes und der Seele, als Abweichungen vom gesunden, ehemaligen Zustand (§ 6 Organon). Das, was allgemein als Krankheit betrachtet wird, ist nach Kent nicht Krankheit, sondern Endresultat von Krankheit. Hahnemann sagt, dass ursprünglich nur die Lebenskraft (Dynamis) erkrankt (verstimmt) ist (§ 11). Die Dynamis ist ein körperloser, nicht materieller Anteil der menschlichen Existenz. Hahnemann nennt sie geistartig, ein die Krankheit schaffendes geistiges Wesen. Es ist das zu Unnormalität verstimmte Lebensprinzip, das dem Organismus die widrigen Empfindungen und regelwidrigen Tätigkeiten aufzwingt, die wir Krankheit nennen (§11).

Krankheit ist demzufolge der dynamische, virtuelle, feindliche Einfluss auf das Lebensprinzip (§ 11); ein Phänomen, das sich auf unsichtbarer, nicht messbarer Ebene abspielt. Die wahrnehmbaren Symptome sind nicht die Krankheit, sondern Heilversuche der Lebenskraft, Signale der verstimmten Dynamis. Mit allopathischen Methoden können die Signale zum Verstummen gebracht werden, die wahrnehmbaren Zeichen, welche die Krankheit nur repräsentieren (§ 6), unterdrückt werden. Die Symptome verschwinden, aber die Lebenskraft bleibt verstimmt.

Mikroorganismen, die bestimmte Krankheitsbilder begleiten, sind ebenfalls nur Symptome und nicht Auslöser der Symptome. Krank ist immer nur ein geistiger Aspekt des Patienten, der im Körperlichen Gestalt annimmt. Mit Antibiotika beispielsweise wird der Heilversuch des Organismus abrupt unterbrochen, deshalb verschwinden auch die Krankheitserscheinungen; zurück bleibt das erkrankte Lebensprinzip. Bei robusten Naturen pendelt sich die Dynamis auch nach Antibiotikagabe wieder ein, bei miasmatisch vorbelasteten Patienten (und das sind die meisten heutzutage) kommt es zur latenten Symptomenverschiebung und einem späteren Wiederaufbrechen von Symptomen, oft auf einer bedrohlicheren Ebene (Vithoulkas).

Wo sollte Homöopathie ansetzen? Am Krankheitsendresultat (Kent) oder an der immateriellen Lebenskraft? Oft ist die Frage aufgeworfen worden, wie Hahnemann auf den Gedanken kam, die Arzneien schrittweise zu verdünnen und mechanisch zu bearbeiten. Der Potenzierungsgedanke Hahnemanns war eine Begleiterscheinung seiner Entwicklung vom materiellen, medizinischen Denken und Therapieren zum Verständnis der dynamischen Lebenskraft – der fundamentale Unterschied zur Schulmedizin, welche die Idee einer vitalen Lebenskraft, die im gesunden Zustand des Menschen alle seine Teile in bewundernswürdig harmonischem Lebensgange erhält (§ 9), nicht kennt. Dass, wie Hahnemann im gleichen Paragraphen weiter erklärt, der gesunde, von der Lebenskraft getragene Körper lediglich ein Werkzeug eines in uns wohnenden, vernünftigen Geistes ist und dass dieser Geist sich des gesunden Körpers zum Zwecke unseres höheren Daseins bedienen soll, ist die revolutionärste, menschlichste Definition von Gesundheit seit Hippokrates. Die geistartige Lebenskraft kann nur auf ihrer Ebene affiziert werden, nur auf nicht materieller Ebene. Hahnemanns logische Folgerung war, die Arzneien der Lebenskraft-Ebene anzupassen; später sagte man: ein gleiches Schwingungsmuster herstellen. Mit unpotenzierten Arzneien kann die Lebenskraft nicht heilend reguliert werden.

Der Patient ist längst krank, bevor sich die Krankheit irgendwo lokalisiert hat.
(Kent)

Homöopathische Therapie zielt auf die „Ursprungskrankheit“ ab, auf die Störung des Lebensprinzips. Körperliche, seelische und geistige Symptome sind analoger Ausdruck der gestörten Lebenskraft; Symptome aus Arzneimittelprüfungen sind ebenfalls (nur) Ausdruck eines gestörten Prinzips. Nur die immaterielle, vergeistigte Arznei kann mit der geistartigen Lebenskraft in Interaktion treten. Man könnte die „Ursprungskrankheit“ auch Störung eines geistigen Prinzips im Menschen nennen, das mit dem entsprechenden (ähnlichen) Prinzip des Arzneimittels wieder reguliert wird.

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Anschrift des Verfassers
Klaus Binding
Brenneckenbrück 5a
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Naturheilpraxis 9/2014