FACHFORUM

Kapuzinerkresse (Tropaeolum maius)

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Margret Rupprecht

Nur dreiundzwanzig Worte sind es, die zu einem der berühmtesten Liebesgedichte der deutschen Literatur avancierten: „Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein, hangen und bangen in schwebender Pein, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Glücklich allein ist die Seele, die liebt.“ Klärchens Lied aus Goethes Egmont ist eine in Sprache gegossene Miniatur des menschlichen Gefühlslebens zwischen höchster Beglückung und tiefster Niedergeschlagenheit. Auffällig ist die dreifache Erwähnung des „Vollen“. Da hat sich ein Mensch dem prallen Leben ausgesetzt, lässt sich beuteln – und erfährt gerade dadurch höchstes Lebensglück.


Goethe zeichnet hier nicht das Bild eines manisch-depressiven Menschen, wohl aber eines Menschen in einem Gemütszustand von außerordentlicher Labilität, extrem schwankend zwischen Seligkeit und Melancholie. Euphorie und Depression wechseln von einem Moment auf den anderen, und genährt werden beide – von der Angst: Eine Liebe, die gefährdet ist, die von der Furcht begleitet wird, das Einzigartige, kaum Fassbare könne so rasch wieder verloren gehen, wie es begonnen hat, versetzt den Menschen in einen Zustand höchster Beglückung. Man kann das eine vielleicht kaum ohne das andere haben.

Starke Menschen lieben das Leben. Um sich ihm, das heißt auch dem Risiko und der daraus entstehenden Angst aussetzen zu können, braucht es Kraft. Wer über sie verfügt oder sie zu trainieren gelernt hat, ist bereit, Herausforderungen anzunehmen und sich zu entwickeln. Wer von seinem Leben noch etwas erwartet, „lebenshungrig“ ist, noch Dinge erreichen will und an ihrer Verwirklichung arbeitet, befindet sich in einem guten Energiezustand. Nicht umsonst gilt in der Medizin ein guter „Appetit“ als Zeichen stabiler Gesundheit. So gesehen lässt sich Krankheit auch als Zustand von Energiearmut, seelischer Appetitlosigkeit und Resignation verstehen. Klärchens Mutter ist ein beredtes Beispiel dafür. Sie versucht ihrer Tochter die Liebe zu Egmont auszureden mit den Worten: „Die Jugend und die schöne Liebe, alles hat ein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man fast dankt, wenn man irgendwo unterkriechen kann.“ Es ist dieses „irgendwo unterkriechen“, das krank macht, diese Kapitulation vor dem Leben und vor dem Zutrauen zur eigenen Kraft. Sobald ein Mensch sich aufgibt, verlässt ihn auch die Energie. Das Christuswort „Wer hat, dem wird gegeben“ bezeichnet nicht zuletzt das Phänomen, dass demjenigen, der etwas wagt, auch die nötige Kraft gegeben wird. Und umgekehrt denjenigen, der sich aufgibt, diese Kraft verlässt.

Der Pflege des psychophysischen Energiezustandes kommt auf dem Hintergrund dieser Überlegungen eine besondere Bedeutung zu. Krankheitsbilder, die mit diesen Zusammenhängen auf das Engste verbunden sind, sind neben den bakteriellen und viralen Infektionen die vielfältigen Formen der Mykose. Pilzerkrankungen und ihr Schweregrad sind geradezu Indikatoren für das Maß an Energiearmut, unter der ein Mensch leidet. Sobald jemand es zulässt, dass ihn Energie und Lebendigkeit verlassen, erobert der Tod die vom Leben im Stich gelassenen Bereiche. An einem gesunden, gut durchsafteten Baum wird man selten Pilze entdecken. Aber der abgebrochene und von der energetischen Versorgung abgetrennte Ast, der am Boden liegt, wird von Schwämmen zersetzt.

So betrachtet, gewinnen Haut- und Schleimhautmykosen eine ganz eigene Bedeutung. Ihre Lokalisation kann oftmals wichtige Hinweise darauf geben, welchen Lebensbereichen „der Saft fehlt“. Eine Heilpflanze, welche die allgemeine und gewebespezifische Energieversorgung gut unterstützt, ist Tropaeolum maius, die Kapuzinerkresse.

Licht ins Dunkel

Die Blätter der Kapuzinerkresse zeigen eine außergewöhnliche Gestalt und ein außergewöhnliches Verhalten. Wenn man das Modell von Goethes Urpflanze an die Kapuzinerkresse anlegt – Stängel, seitlich davon Blätter, oben die Blüte –, fällt Tropaeolum im Vergleich dazu stark aus dem Rahmen. Es beginnt damit, dass der Blattstiel nicht mit dem Grund, sondern mit der Mitte der Blattspreite verwachsen ist, so dass das kreisrunde Blatt die Form eines kleinen Schildes bekommt. Daher auch der Name Tropaeolum (kleines Schildchen, von griech. tropaion). Diese Blattform ist für Landpflanzen untypisch und findet sich normalerweise nur bei Wasserpflanzen, deren flächige Blätter dem Wasserspiegel aufliegen. Wasseroberfläche und Blattoberfläche bilden bei ihnen sozusagen eine Ebene. Sehr zum ...

Neuling in der europäischen Pflanzenmedizin

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Pharmakologie und Indikationen

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Literatur:
Udo Becker: Lexikon der Symbole. Herder Verlag, Freiburg 1999
Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
Artur Burger und Helmut Wachter: Hunnius – Pharmazeutisches Wörterbuch. Walter de Gruyter, Berlin 2004
Rüdiger Dahlke: Krankheit als Symbol. Bertelsmann Verlag, München 2007
Theodor Dingermann, Dieter Loew: Phytopharmakologie – Experimentelle und klinische Pharmakologie pflanzlicher Arzneimittel. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2003
Johann Wolfgang Goethe: Alle Freuden, die unendlichen. Insel Verlag, Frankfurt 1987
Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag, Aarau 2002
Gerhard Madaus: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Band 11. Mediamed Verlag, Ravensburg 1990
Hildebert Wagner, Markus Wiesenauer: Phytotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathika. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2003
Rudolf Fritz Weiß: Lehrbuch der Phytotherapie. Hippokrates Verlag, Stuttgart 1991

Anschrift der Verfasserin
Margret Rupprecht
Quinta Essentia
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Straße 6a
81929 München

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Naturheilpraxis 9/2014