SPEZIAL

„Der Schrei nach Liebe“

Natrium muriaticum und seine nahen Verwandten

Dorit Zimmermann

Laut Philip M. Bailey ist Natrium muriaticum in den modernen Industriegesellschaften der am weitesten verbreitete Konstitutionstyp. Seiner Erfahrung nach brauchen rund ein Drittel der Menschen in England, USA und Australien dieses homöopathische Mittel. „Nat-m. ist der vorherrschende Typ
der modernen Zeit, ein Spiegelbild der Unterdrückung emotionaler Schmerzen (…). Kein Konstitutionstyp wird so oft und so leicht verfehlt wie Nat-m.“(1)


Leben ist auf der Erde vor etwa 3,5 Milliarden Jahren entstanden. Es ist davon auszugehen, dass sich nur solche biologischen Systeme durchsetzen konnten, die in Meines Erachtens ist es eher umgekehrt: Wenn ein Patient eher introvertiert ist, seine Gefühle in der Anamnese verbirgt, Gesellschaft meidet, die Tränen unterdrückt, Trost schlecht annehmen kann und einen tiefen Kummer mit sich herumträgt, dann wird fast automatisch Natrium muriaticum verordnet.

Der gewünschte Erfolg stellt sich jedoch nicht immer ein. Der Grund: Es gibt auch andere homöopathische Mittel, die einen starken Bezug zu tiefem Kummer haben und deren Symptomatik deutliche Überschneidungen mit Nat-m. aufweist.

Die folgende Differenzierung der einzelnen Mittel erfolgt im Wesentlichen nach Gemütssymptomen und soll dazu beitragen, die Mittelwahl zu erleichtern.
Aus Platzgründen können nicht alle Mittel vorgestellt und differenziert werden, deren Causa Kummer ist. Ich habe mich auf einige wesentliche Arzneimittel beschränkt, bei denen die größte Verwechslungsgefahr mit Nat-m. besteht.

Arzneimittel aus dem Mineralreich

Natrium muriaticum (Kochsalz)

Der emotionale Schmerz, der im Zentrum der Nat-m.-Pathologie steht, hat seine Wurzeln in der frühen Kindheit, als die bedingungslose Liebe, die ein Kind braucht, nicht ausreichend gewährt wurde. Gefühlskalte Eltern, so Bailey, bringen extrem verschlossene, unglückliche Nat-m.-Kinder hervor. Insgesamt, so Bailey weiter, reagieren Nat-m.-Kinder sehr empfindlich auf nicht bedingungslos gewährte Liebe und verschließen sich, um sich zu schützen: „Je mehr das Kind emotional verhungert, desto dichter wird der Schutzwall um das Herz, und desto weniger fühlt das heranwachsende Kind emotional.“ (2) Seine lebenslange Überzeugung lautet: Ich bin schuld, dass ich nicht geliebt werde, mit mir stimmt etwas nicht.

Das Gefühl des Mangels und der eigenen Unzulänglichkeit ist die typische Reaktion eines Menschen, der ein mineralisches Heilmittel braucht. Seit Dr. Rajan Sankaran und seiner Empfindungsmethode wissen wir, dass jeder Mensch auf eine bestimmte Causa, hier die mangelnde Liebe, auf spezifische Weise reagiert. Diese Reaktion kann einem bestimmten Naturreich zugeordnet werden: Minerale, Pflanzen, Tiere (und Nosoden). Insofern verwundert es nicht, dass ein nach guten Gründen gewähltes Natrium muriaticum nicht immer hilft, obwohl es fast alle Rubriken abdeckt und die Pathologie typisch für Nat-m. zu sein scheint.

Laut Rajan Sankaran steht die Enttäuschung über die mangelnde Liebe im Vordergrund. Das Hauptgefühl von Natrium muriaticum lautet demnach: Ich werde von der Person, der ich vertraue, von der ich abhänge und die ich liebe, im Stich gelassen, verraten oder enttäuscht. (3) Sie haben Angst, emotional verletzt oder enttäuscht zu werden, und sind daher reserviert oder sogar unnahbar (um sich gegen eine weitere Verletzung zu wappnen). Gleichzeitig besteht eine enorme Unsicherheit mit Furcht vor dem Alleinsein und vor Räubern. (4)

Natrium befindet sich in der ersten Spalte der dritten Reihe des Periodensystems, d.h., Menschen, die eine Natrium-Verbindung brauchen, befinden sich in der Entwicklung ihrer Identität, ihres Egos noch ganz am Anfang, sie fühlen sich vollkommen abhängig von einer Bezugsperson, glauben ohne diese nicht existieren zu können. Dem niederländischen Homöopathen Jan Scholten zufolge fehlen diesen Menschen Mutter und Versorgung. Eine typische Natrium-muriaticum-Situation ist seiner Erfahrung nach die der Brutkastenkinder: „Die Mutter ist nicht anwesend.“ (5) Zwar ist die physische Versorgung gewährleistet, doch es mangelt an Wärme und Fürsorge. Das Kind wird seinem emotionalen Schicksal überlassen. Der Betreffende befindet sich im Trauerzustand. Es ist das Thema vom ...

Anmerkungen
(1) Bailey, Philip M.: Psychologische Homöopathie, S. 244
(2) Bailey, Philip M.: Psychologische Homöopathie, S. 245
(3) Sankaran, Rajan: Struktur. Erfahrungen mit dem Mineralreich, S. 340
(4) Sankaran, Rajan: Struktur. Erfahrungen mit dem Mineralreich, S. 341
(5) Scholten, Jan: Homöopathie und Minerale, S. 65
(6) Sankaran, Rajan: Die Seele der Heilmittel, S. 152
(7) Sankaran, Rajan: Struktur. Erfahrungen mit dem Mineralreich, S. 337
(8) Scholten, Jan: Homöopathie und Minerale, S. 57
(9) Sankaran, Rajan: Die Seele der Heilmittel, S. 201
(10) Homoeopathia viva 2/12, S. 40 (http://c3-in-berlin.blogspot.de/2011/01/tranen-von-7-personen.html)

Literatur
Bailey, Philip M.: Psychologische Homöopathie. Knaur Taschenbuch. München, 2000
Friedrich, Edeltraud und Peter: Charaktere homöopathischer Arzneimittel. Teil V. Traupe-Vertrieb. Höhenkirchen, 2005
Homoeopathia viva 2/12. Thomas Schweser Verlag. Bingen. 2012
Sankaran, Rajan: Die Seele der Heilmittel. Homoeopathic Medical Publishers. Mumbai, 2006
Sankaran, Rajan: Struktur. Erfahrungen mit dem Mineralreich. Band 1. Homoeopathic Medical Publishers. Mumbai, 2009
Scholten, Jan: Homöopathie und Minerale. Stichting Alonnissos. Utrecht, 2006

Anschrift der Verfasserin
Dorit Zimmermann
Heilpraktikerin
Praxis für Klass. Homöopathie
Grawolfstraße 23
82166 Gräfelfing
www.homoeopathie-im-wuermtal.de

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Naturheilpraxis 8/2014