Klassische Homöopathie

Klassische Homöopathie als Dienstleistung

Der Faktor Zeit

Henning Marx

Wird der Gedanke zugelassen, dass es sich bei einer Heilbehandlung, sei sie auch so individuell ausgerichtet wie die klassische Homöopathie, auf einer arbeitsorganisatorischen Ebene um eine Dienstleistung handelt, dann lassen sich Erkenntnisse aus Forschungen zum Dienstleistungsmanagement gewinnbringend für die eigene Praxistätigkeit nutzen.


Schlüsselwörter: Dienstleistung, „comparison level of alternatives“, Transfer-, Abwicklungs-, Warte-, Transaktionszeiten, subjektive Zeitwahrnehmung, Tendinitis.

Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Berücksichtigung des Faktors Zeit nicht nur dazu führt, den von Patienten zuweilen monierten hohen Zeitbedarf zu reduzieren, sondern zudem eine Relativierung anderer verfahrensimmanenter Nachteile der klassischen Homöopathie gegenüber anderen Therapieansätzen ermöglichen kann. Auf diese Weise kann die Berücksichtigung der zeitlichen Bedürfnisse der Patienten über eine patientenorientierte Gestaltung der zeitlichen Abläufe zu einem Wettbewerbsvorteil des einzelnen Therapeuten werden.

I. Einführung

Auf den ersten Blick mag es ein wenig befremdlich wirken, wenn Heilung – oder doch zumindest Genesung – zum Wohle des Patienten aus der Perspektive einer Dienstleistung betrachtet wird. Andererseits kann nicht geleugnet werden, dass es sich bei der Tätigkeit als Therapeut um eben eine solche handelt. Eine Dienstleistung zeichnet sich dadurch aus, dass Faktoren eines Anbieters mit externen Faktoren kombiniert werden, sodass im Leistungserstellungsprozess die vom Kunden gewünschte Leistung entsteht. (1, S. 119ff.) Genau dies geschieht im Rahmen einer therapeutischen Behandlung, wobei der Patient selbst im Sinne eines Kunden den für eine Dienstleistung notwendigen externen Faktor darstellt: An ihm werden relevante Untersuchungen vorgenommen, er antwortet auf die Fragen in der Anamnese, und er ist derjenige, der indizierte Therapiemaßnahmen empfängt. Dieser externe Faktor wird demzufolge mit den internen Faktoren des Dienstleisters (wie Untersuchungsgegenstände, Medikamente, manuelle Behandlung) kombiniert, um so die gewünschte Leistung „Heilbehandlung“ erbringen zu können.

Zunächst klingt diese Betrachtung eines zutiefst persönlichen Vorgangs sehr technokratisch, und der Bezug zu einer gerade an den individuellen Bedürfnissen ausgerichteten klassisch homöopathischen Behandlung erscheint manchem vielleicht emotional schwierig. Eine eventuell bestehende Voreingenommenheit gegenüber dieser Perspektive könnte bereits ein wenig schwinden, wenn man sich vor Augen führt, dass Dienstleistungen nicht nur in einfachen, standardisierbaren Organisationsformen wie bei einer Reinigung vorliegen, sondern anhand zweier Dimensionen unterschieden werden: dem Ausmaß der Gleichförmigkeit der Aufgaben sowie dem Ausmaß der Variation der externen Faktoren. Ist die Gleichförmigkeit niedrig und die Variation hoch, dann ist eine Projektorganisation notwendig (2, S. 63), weil hier für jeden Kunden (Patienten) ein unterschiedlicher Leistungserstellungsprozess (individuelle Heilbehandlung) durchgeführt werden muss.

Es sollte daher nicht übersehen werden, dass Forschungsergebnisse zum Thema „Dienstleistungsmanagement“ von Bedeutung sein können, wenn es für den einzelnen Therapeuten darum geht, sich trotz zunehmenden Wettbewerbs zu etablieren bzw. in diesem weiterhin erfolgreich zu bestehen. Durch die Beachtung vorliegender Erkenntnisse der Forschung kann es möglich werden, Nachteile in der Wahrnehmung des Patienten zu kompensieren. Diese Nachteile können in dem hohen Zeitaufwand der Anamnese, in der Detailliertheit der Fragestellung oder nicht zuletzt in dem fehlenden wissenschaftlichen Verständnis für den Mechanismus der Potenzierung liegen. Darüber hinaus ist die homöopathische Therapie unter Umständen mit Einschränkungen für den Patienten verbunden. Vielleicht muss der regelmäßige Besuch eines Solebades für einige Zeit unterbleiben, oder geliebte Genussmittel müssen aus der Diät entfernt werden, weil diese Störun- ...

Anmerkungen
1 Weitere Beispiele für Kosten wären eine Befindlichkeitsverschlechterung durch eine Erstreaktion, aber auch der Schmerz beim oder die Angst vor dem Einstich einer Nadel, eine als neugierig empfundene Befragung, moralische Vorhaltungen, falsch temperierte Behandlungsräume etc.
2 In diesem Fall ist darauf hinzuweisen, dass der Patient grundsätzlich einen Anspruch auf die freie Wahl einer Apotheke hat.
3 Zu beachten ist, dass die Größe der Flächen der einzelnen Anteile bezogen auf Zeiteinheiten nicht maßstabsgerecht ist und dass die gewählte Reihenfolge nicht deterministisch zu verstehen ist, sondern einer übersichtlicheren Darstellung dient.
4 Die im neuen Patientenrechtegesetz formulierten Informations- und Aufklärungspflichten führen allerdings patientenunabhängig zu einem Mehrbedarf an Zeit und damit zu einer Einschränkung der Flexibilität. Zum Patientenrechtegesetz (14).
5 Wobei hier die Möglichkeit einer Abrechnung der benötigten Zeit je nach Versichertenstatus bzw. finanzieller Lage, Indikation des Patienten, räumlicher Entfernung zum Patienten sowie eigener Situation einer mehr oder weniger schwierigen Abwägung bedarf.
6 Andere Faktoren, die in diesem Zusammenhang zur Nutzenwahrnehmung beitragen, sind beispielsweise die Freundlichkeit des Therapeuten und vorhandener Angestellter, die Dienstleistungsumgebung oder vorhandenes Informationsmaterial etc.

Literatur
(1) Corsten, H.: Dienstleistungsmanagement, 3. Aufl., München 1997
(2) Silvestro, R., Fitzgerald, L., Johnston, R., Voss, Ch.: Towards a classification of service processes, in: International Journal of Service Industry Management, 3, S. 62–75, 1992
(3) Thibaut, John W., Kelley, Harold H.: The social psychology of groups, New York, 1959
(4) Stauss, Bernd: Dienstleister und die vierte Dimension, in: Harvard Manager, 13. Jg., H. 2, S. 81–89, 1991
(5) Marx, H.: Persönlichkeitsinduzierte Ursachen pathologischer Arbeitsprozesse und Verhaltensweisen sowie ihre Wirkung innerhalb der Dimensionen einer Behandlungsführung – eine systematische, plausibilitätsgestützte Analyse, in: Naturheilpraxis 02/2013, S. 48–56
(6) Fließ, S., Hogreve, J., Möller, S.: Der Freizeitwert als Kriterium zur Marktsegmentierung, in: Thexis, 20, S. 20–23, 2003
(7) Block, R. A.: Cognitive models of psychological time, Hillsdale 1990
(8) Durrande-Moreau, A., Usunier, J.-C.: Time styles and the waiting experience: an exploratory study, in: Journal of Service Research, 2, S. 173–186, 1999
(9) Taylor, S.: Waiting for service: the relationship between delays and evaluation of service, in: Journal of Marketing Research, 58, S. 56–69, 1994
(10) Maister, D.: The psychology of waiting lines, in: Cepziel, J. (Hrsg.): The service encounter, Lexington, S. 113–123, 1985
(11) Pruyn, A., Smidts, A.: Effects of waiting on the satisfaction with the service: beyond objective time measures, in: Journal of Research in Marketing, 15, S. 321–334, 1998
(12) Wakefield, K. L., Blodgett, J. G.: The effect of service scape on customers’ behavioral intentions in leisure service settings, in: The Journal of Services Marketing, 8, S. 66–76, 1994
(13) Blümelhuber, Ch.: Über die Szene der Dienstleistung: Aufgaben, Wahrnehmung- und Gestaltungsaspekte von „Geschäftsräumen“, in: von Meyer A (Hrsg.): Handbuch Dienstleistungsmarketing, Band 2, S. 1194–1218, 1998
(14) Rissel, R.: Auswirkungen des Patientenrechtegesetzes auf die Praxis, in: Naturheilpraxis 10/2013, S. 54–57
(15) Simbürger, F.: Repertorisationssoftware ComRep Expert, Eching

Anschrift des Verfassers
Henning Marx
Heilpraktiker
Schloßstraße 20/I
76593 Gernsbach

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Naturheilpraxis 7/2014