FACHFORUM

Total erschöpft

Virale Infektionen und andere Belastungen

Ulrike Dohse

Welche Faktoren können ein System wie den menschlichen Organismus in die Knie zwingen? Treffen Viren wie der Herpes- und der Epstein-Barr-Virus auf die richtigen Voraussetzungen, führen sie in eine tiefe Erschöpfung, die therapeutischer Hilfe von verschiedensten Seiten bedarf.


Inzwischen begleite ich die Patientin seit drei Jahren. Im April 2011 kam sie erstmals in meine Praxis. Sie fühlte sich damals sehr schwach. Seit einem Herpes-Schub Anfang März 2011 ginge es ihr schlecht. Sie neige zu Herpes labialis: Im vergangenen halben Jahr hatte sie sechsmal Aciclovir genommen. Tage nach dem letzten Herpesausbruch sei plötzlich ein Hitzegefühl im rechten Bein aufgetreten, das zunahm und sich „mit einem pelzigen Gefühl bis zum rechten Rippenbogen“ ausbreitete. Im Krankenhaus sei nach einer Lumbalpunktion ein chronisch-isoliertes-Syndrom (CIS) diagnostiziert worden. Die zytologische Untersuchung des Liquors ergab eine diskrete chronisch entzündliche Reaktion mit erhöhten Leukozyten. Ein Schädel-MRT zeigte keine Veränderung gegenüber einem 2008 wegen Schwindel veranlassten. Nach Kortison-Infusionen sei das „pelzige Gefühl“ abgeklungen. Das Hitzegefühl im Bein bestehe jedoch ununterbrochen, variiere täglich in Intensität und Ausbreitung und sei mit einer ausgeprägten Kälteempfindlichkeit verbunden. Ihre Ärztin habe ihr als Diagnose Multiple Sklerose (MS) genannt und sie mit Informationsbroschüren entlassen. Sie fühle sich extrem schwach und total verunsichert.

Anamnese und Vorbefunde

Die 42-Jährige arbeitet in Teilzeit als Zahnarzthelferin und nebenberuflich als Fitnesstrainerin. Seit Jahren bestehende familiäre Streitigkeiten und finanzielle Belastungen sowie ihre kraftraubende Tätigkeit in einer intensiv frequentierten Zahnartpraxis erschöpfen sie zunehmend. Nach einer Krise im Jahr 2008 ist die Ehe stabil. Sie selbst ist schlank, lebensfroh und zäh. Ihre Schwester leidet dagegen unter Depressionen, ihr Vater ist 1998 an Leberkrebs gestorben, die Familie seitdem zerstritten. Wegen unerfülltem Kinderwunsch wurden 2001 und 2002 eine Operation an den Ovarien und Hormontherapien durchgeführt. 2003 kam dann ihre Tochter zur Welt. Seit 2009 verhütet sie mit einer Spirale.

2008 waren die Nasennebenhöhlen wegen rezidivierender Sinusitiden gefenstert worden. Einige Monate später wurde ihr bei Lagewechsel schwindlig. Im daraufhin durchgeführten Schädel-MRT zeigte sich ein zerebraler Herd, der jedoch laut Befundung keine Relevanz habe. 2009 litt sie zweimal an Bronchitis. Im April 2010 suchte sie ihre Hausärztin wegen Drehschwindel, Erbrechen, Schüttelfrost, Fieber, Husten und Schwächegefühl auf. Eine Therapie erfolgte nicht. Nachdem das Schwächegefühl bestehen blieb, zeigten Laboruntersuchungen im Mai 2010 eine infektiöse Mononukleose (EBV-Infektion, Pfeiffersches Drüsenfieber): EIA-IgG (VCA) >200 RE/ml (Referenz: 16–22 RE/ml), EIA-IgG (EBNA-1) 159 RE/ml (Referenz: 16–22 RE/ml), negativer Paul-Bunnell-Test. Die erhöhten Antikörper-Titer bestätigten nicht den Verdacht einer frischen Infektion, sondern zeigten das Ergebnis einer persistierenden älteren EBV-Infektion mit vorliegender Schwächung des Immunsystems an.

Im Sommer 2010 traten mehrfach Nagelpilzinfektionen an den Füßen auf, die mit Dermatin-Tabletten und einem antimykotisch wirkenden Lack neun Monate lang behandelt wurden. Die Patientin hat drei Amalgamfüllungen, die Frontzähne im Oberkiefer kippen leicht nach hinten. Sie leidet öfter unter Magendrücken und verträgt dann keine Sahne. Sie trinkt zwei bis drei Liter Cola light pro Woche. Nebenbefundlich zu erwähnen sind starker Achselschweiß und Nackenverspannungen, die osteopathisch behandelt wurden. Früher war sie einige Male auf den Rücken gestürzt.

Klinische Untersuchung und Labor

Es liegt eine Hypoästhesie ab Th 4 vor, der Bauchhautreflex ist erloschen. Erythrozyten und Triglyzeride im Blut sind erniedrigt, MCV und MCH erhöht, ASL (Antistreptolysin-Titer) leicht erhöht. Die Immundiagnostik zeigt erniedrigte Lymphozyten: T3- und T8-Helferzellen sowie CD25-positive Helferzellen sind stark erniedrigt. Erhöht sind T8-zytotoxische Zellen, das Verhältnis von T8-zytotoxischen zu T8-Suppressor-Zellen und die NK-3-Zellen. Dies alles weist auf eine immunologische Hyporeagibilität, eine deutli- ...

Anschrift der Verfasserin
Ulrike Dohse
Heilpraktikerin, Biologin
Schatenstraße 30
33604 Bielefeld
E-Mail: info@naturheilpraxis-dohse.de

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Naturheilpraxis 7/2014