Akupunktur/TCM

Endometriose-bedingte Infertilität

Integrative Behandlung

Nora Giese, Fransiscus Sulistyo Winarto

Endometriose ist die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung von Frauen in ihren fruchtbaren Jahren. Die Angaben zur Prävalenz schwanken zwischen 4 und 12%.1 Die Indikationen für eine Behandlung von Endometriose-Patientinnen in unseren TCM-Praxen sind Schmerzen sowie eine Verbesserung der Fertilitätskompetenz. Im Folgenden beschäftigen wir uns mit der integrativen Behandlung von durch Endometriose bedingter Infertilität.


Die Fertilität bei Patientinnen mit Endometriose vermindert sich um bis zu 50% gegenüber Kollektiven ohne Endometriose.2 Das Leid der betroffenen Frauen, das wir in der Praxis erleben, führt uns zu folgenden Fragen: Welche Möglichkeiten haben wir, um die Schwangerschaftschance der Endometriose-Patientengruppe in Richtung Normalkollektiv zu verbessern? Kann die TCM etwas dazu beitragen? Wenn ja: wie?

Als Endometriose bezeichnet man gutartige Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut, die sich außerhalb der Gebärmutter in benachbarten Organen ansiedeln. Die versprengten Endometrioseherde wachsen während des Monatszyklus analog zur Gebärmutterschleimhaut und bluten bei jeder Menstruation mit. Es kann zu inflammatorischen Reaktionen und zur Bildung von Verklebungen kommen.

Zur Ätiologie und Pathogenese wurden verschiedene Theorien aufgestellt, die wichtigsten sind:
Metaplasietheorie nach Meyer, 1919: Das extrauterine Endometrium bildet sich aus undifferenzierten Gewebselementen, z.B. aufgrund hormoneller/östrogenbedingter Stimuli.

Transplantationstheorie nach Sampson, 1927: Bei retrograder Menstruation wird Endometrium aus dem Corpus uteri verschleppt und extrauterin implantiert.

Archimetrakonzept nach Leyendecker, 1997: Durch eine Hyperperistaltik des Uterus kommt es zur Lösung und Streuung von Zellen mit Stammzellencharakter aus dem Endometrium, die sich anschließend zu Endometriosezellen differenzieren.

Darüber hinaus werden immunologische, endokrine, genetische und infektiöse Ursachen in Betracht gezogen. Die Erkrankung gilt als östrogenabhängig, letztlich sind Ätiologie und Pathogenese bis heute nicht ganz geklärt.

Die Leitsymptome der Endometriose sind Unterbauchschmerzen (auch Dysmenorrhö) in 45 bis 80% der Fälle und Sterilität in 20 bis über 50% der Fälle.3 Die Endometrioseherde treten an verschiedenen Strukturen in unterschiedlicher Häufigkeit auf.3

Der Schweregrad der Erkrankung kann anhand verschiedener Einteilungen vorgenommen werden. Am weitesten verbreitet ist die Einteilung der American Society for Reproductive Medicine (r-ASRM-Score), nach der in einem Punktesystem vier Stadien von leicht bis schwer unterschieden werden. Der Schweregrad der Endometriose steht in Korrelation zu einer Verminderung der Fertilitätskompetenz, das heißt, je höher der Schweregrad, desto geringer sind die Schwangerschaftschancen.4

Zahlen und Fakten

Bei Endometriose-Patientinnen müssen wir immer mit einer erheblich verminderten Fertilität rechnen! Bei Patientinnen mit einer laparoskopisch gesicherten Endometriose-Diagnose beträgt die kumulative Rate spontaner Schwangerschaften nach sechs Monaten nur 15,7%.5 Demgegenüber steht ein gesundes Patientinnenkollektiv mit einer kumulativen Rate spontaner Schwangerschaften – abhängig vom Alter der Frau und anderen Faktoren – von 65 bis 90% nach sechs Monaten. Eine Frau mit Endometriose hat also in einem Zeitraum von sechs Monaten nur etwa ein Viertel der Schwangerschaftschancen gegenüber einer gesunden Frau. Der Grund für diese erhebliche Verminderung der Schwangerschaftschancen ist nicht abschließend geklärt. Als Ursache werden neben einer verminderten ovariellen Kapazität auch mechanische Probleme (Beschädigung des Ovars durch die operative Entfernung der Endometrioseherde, Tubenverschluss durch Adhäsionen, uterine Hyperkontraktilität) sowie immunologische, endokrine und zytokine Faktoren in Betracht gezogen.

Diagnose und Therapie in der Schulmedizin

Bei Verdacht auf Endometriose ist eine histologische Untersuchung – in aller Regel durch eine Laparoskopie – notwendig.
Therapeutisch steht neben einer laparoskopischen Entfernung der Endometriose-Implantate eine medikamentöse Therapie zur Verfügung. Zur Reduzierung der Schmerzsymptome werden nicht ste- ...

Glossar15
Fertilitätskompetenz: Fähigkeit zur Zeugung/Empfängnis
Infertilität: Schwangerschaftseintritt, jedoch keine Geburt eines lebenden Kindes
Sterilität: ungewollte Kinderlosigkeit bei ungeschutztem, regelmäßigem Verkehr innerhalb eines Jahres
kumulative Schwangerschaftsrate: Rate der Frauen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums schwanger werden
Adhäsionen: Verklebungen/Verwachsungen
uterine Hyperkontraktilität: verstärktes Zusammenziehen der Gebärmuttermuskulatur
immunologische Faktoren: Faktoren, die die biologische/biochemische Abwehr von Krankheitserregern/Stoffen, die der Organismus als fremd erkennt, betreffen
endokrine Faktoren: die Hormondrüsen betreffende Faktoren
zytokine Faktoren: Faktoren, die Proteine betreffen, welche das Wachstum und die Differenzierung von Zellen regulieren
Gestagene: Gelbkörperhormone
GnRH-Analoga: Arzneistoffe, die in ihrer Wirkungsweise dem Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) ähnlich sind. Das GnRH bewirkt eine Freisetzung der Gonadotropine LH und FSH ins Blut. Bei längerfristiger Einnahme sinken die Hormonspiegel durch eine Downregulation der Rezeptoren, es entwickelt sich eine therapeutische Amenorrhö.
Kryokonservierung: Aufbewahren von Zellen durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff
Kryotransfer: Einsetzen von befruchteten und eingefrorenen Eizellen in den Uterus
ovarielle Stimulation: Anregung des Wachstums und der Entwicklung von Eibläschen durch Hormonbehandlung
IVF: In-vitro-Fertilisation, Eizellen werden mit Samenzellen vermischt, bebrütet und nach der Befruchtung in die Gebärmutter eingepflanzt
ICSI: Intrazytoplasmatische Spermieninjektion; Einzelspermien werden direkt in die Eizellen implantiert.

Literatur und Anmerkungen
1 Wheeler, H.M.: Epidemiology of endometriosis-associated infertility. In: The Journal of Reproductive Medicine 1989; 34: 41–6
2 Witz, C.A.; Burns, W.N.: Endometriosis and infertility: is there a cause and effect relationship? In: Gynecol Obstet Invest 2002; 53 (Suppl 1): 2–11
3 Schindler, A.E.: Epidemiologie, Pathogenese und Diagnostik der Endometriose. In: Journal für Fertilität und Reproduktion 17 (2007), 22-27
4 Barnhart, K.; Dunsmoor-Su, R.; Coutifaris, C.: Effect of endometriosis on in vitro fertilization. In: Fertility and Sterility 2002;77(6):1148-55
5 Barabe S. et al. and the Canadian Collaborative Group of Endometriosis: Fecundity of infertile women with minimal or mild endometriosis and women with unexplained infertility. In: Fertility and Sterility 1998; 69: 1034–41.
6 Interdisziplinäre S2k-Leitlinie fur die Diagnostik und Therapie der Endometriose der Deutschen Gesellschaft fur Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (Stand: 08/2013)
7 Hudelist, G.; Keckstein, J.: Die Wertigkeit der Vaginalsonographie in der präoperativen Diagnostik der Adenomyose und tief infiltrierenden Endometriose. In: praxis 2009;98:603-7
8 Renner, S.P. et al.: Preoperative pain and recurrence risk in patients with peritoneal endometriosis. In: Gynecol Endocrinol 2009;28:1-6
9 Elizur, S.E. et al.: Cryopreservation of oocytes in a young woman with severe and Symptomatic endometriosis: a new indication for fertility preservation. Fertil Steril 2009;91:293.e1-3
10 Opøien, H.K. et al.: Complete surgical removal of minimal and mild endometriosis improves outcome of subsequent IVF/ICSI treatment.
In: Reproductive BioMedicine Online 2011; 23:389-95
11 Weiter unten heißt es dort: „Ergebnisse größerer, randomisierter und kontrollierter Studien hierzu stehen noch aus, gleichwohl belegen erste Untersuchungen durchaus einen Effekt der Akupunktur (Zhu X, Hamilton KD, McNicol ED: „Acupuncture for pain in endometriosis.“ Cochrane Database Syst Rev 2011;9: CD007864. DOI 10.1002/14651858.) und der chinesischen Kräutermedizin bei endometriosebedingten Schmerzen (Flower A et al.: „Chinese herbal medicine for endometriosis.“ Cochrane Database Syst Rev 2012;5: CD006568 DOI:101002/14551858).“
12 Nach einer Studie von Dr. Ute Fasching treten bei 92 Prozent der Endometriose-Patientinnen gestaute Unterzungenvenen auf. Master-Arbeit von Dr. Ute Fasching: „TCM-diagnostische Charakteristika als zusätzliche Vorhersage-Parameter bei Verdacht auf Endometriose“, entstanden im Rahmen ihrer Masterthesis am Zentrum für Chinesische Medizin und Komplementärmedizin der Donau-Universität Krems, 2005.
13 Tao Hong Si Wi Tang, Ba Zhen Tang und Shao Fu Zhu Yu Tang sind gängige klassische Rezepturen, die aus mindestens acht Einzelkräutern bestehen. Zu ihrem Verständnis lesen Sie bitte nach, z.B. in: Bensky, Dan: Chinesische Arzneimittelrezepte und Behandlungsstrategien / von Dan Bensky und Randall Barolet. Übers. aus dem Engl. von Ulli Wiesmann. – Kötzting/Bayer. Wald: Verlag für Ganzheitliche Medizin Wühr, 1996. Die hinzugefügten Einzelkräuter + Yan Hu Suo + Chuan Niu Xi usw. entsprechen der spezifischen Situation im Fallbeispiel.
14 Die Modifikationen entsprechen der spezifischen Situation im Fallbeispiel.
15 Die Begriffe sind in der Reihenfolge ihres Vorkommens im Artikel und nach Sinnzusammenhang sortiert.

Anschriften der Verfasser
Nora Giese
Lehrbeauftragte der Universität Witten-Herdecke
für Chinesische Medizin
Heilpraktikerin in eigener Praxis in Bonn
sowie in der Praxis Sulistyo
E-Mail: info@praxis-giese.com

Fransiscus Sulistyo-Winarto
Lehrbeauftragter der Universität Witten-Herdecke
für Chinesische Medizin
Arzt in eigener Praxis in Dormagen
E-Mail: praxis@sulistyo.de



weiter ... (für Abonnenten der Naturheilpraxis)


Zum Inhaltsverzeichnis

Naturheilpraxis 6/2014