Klassische Homöopathie

Cyrus Maxwell Boger

Das lebendige Erbe der amerikanischen Homöopathie (Seminarbericht)

Roger Rissel

Zu den 5. Mainzer Seminartagen hatte die DGKH Dr. rer. nat. Norbert Winter eingeladen. Die langjährige Beschäftigung mit der Homöopathie, wie sie Cyrus Maxwell Boger praktizierte, weist Winter als Boger-Fachmann aus. Der Kontakt zu Cheryl F. Bragg, der Urenkelin von Boger, die sich als Ahnenforscherin betätigt, sei für Winter sehr fruchtbar, weil so interessante Fotos über Bogers Leben als Homöopath zu seiner Verfügung stünden und er auch wichtige Informationen zu dem Menschen Boger erhalten habe.


Die Art und Weise wie Boger Homöopathie praktizierte, sei erst vor dem Hintergrund seiner Biographie richtig zu verstehen, so Winter. Boger war als Kind durch die Kriege mit dem Tod von nahestehenden Menschen und mit Verletzungen konfrontiert worden, was seine Entscheidung, Arzt zu werden, möglicherweise beeinflusst habe. Er musste auch den Tod seiner ersten Frau und von vier seiner Kinder erleben. Drei seiner Kinder starben an der „schwarzen“ Diphtherie und eines an den Folgen eines Unfalls.

So bekamen die Teilnehmer detaillierte Einblicke in das private Leben Bogers, seine Ausbildung und seine Publikationen. Am Rande waren der Niedergang der Homöopathie in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts und mögliche Gründe dafür Thema des Seminars.

Boger wurde Apothekergehilfe und studierte danach in Philadelphia Pharmazie. Bestimmungsbücher für Pflanzen oder Pilze scheinen einen entscheidenden Einfluss auf die Struktur seines Synoptic Key gehabt zu haben. Im Hahnemann Medical College of Philadelphia studierte Boger von 1885 bis 1888 Medizin und Homöopathie. Ein wichtiges Element der Ausbildung in Homöopathie war die Fokussierung auf bestätigte Symptome der Materia medica, was vor dem Hintergrund der umfangreichen praktischen Erfahrung mit Homöopathie zu dieser Zeit in Amerika gut möglich war. Das Studium war geprägt von Materia-medica-Vorlesungen und sehr viel Unterricht in medizinischen Fächern wie Anatomie, Pathologie, Chemie und Histologie. Weil Boger mit der Homöopathie-Ausbildung wohl nicht zufrieden war, besuchte er die New York Polyclinic, um sich weiterzubilden.

Die Werke von Bönninghausen und Jahr waren für Boger eine wichtige Basis. Boger hatte den Vorteil, dass er die deutsche Sprache beherrschte, denn sein Vater stammte von deutschen Einwanderern ab. So konnte er grundlegende Schriften aus der Zeit der Begründung der Homöopathie im Original lesen. Auch mit seinen amerikanischen Kollegen führte Boger einen regen Austausch. Er fand in der IHA (International Hahnemannian Association) viele Kollegen, mit denen er sich zu Fragen der Homöopathie auseinandersetzen konnte; so unter anderen John Henry Allen und Julia Minerva Green, die Bogers Hausärztin war. Viele Diskussionen sind in The Homoeopathic Recorder publiziert worden, woraus der Referent zahlreiche Beiträge zitierte.

Was macht es aus, die Boger’sche Methodik der Homöopathie zu praktizieren? Ein wesentliches Merkmal sei, Homöopathie so weiterzuentwickeln, dass sie der großen Patientenzahl, die Boger in der Praxis aufsuchte, gerecht werden konnte. Boger sei darauf bedacht gewesen, möglichst schnell und sicher ein homöopathisches Arzneimittel zu finden. Dazu habe er die Arzneimittelwahl so weit möglich an einem Genius oder roten Faden der Arznei festgemacht. Interessant ist dabei, dass Boger die Symptome einer Arznei, die durch die Praxis wiederholt verifiziert worden waren, fokussierte. Auch die Symptome des Patienten habe Boger in vergleichbarer Weise bearbeitet. Der Referent sprach unter anderem von „Durchdringungen“, nach denen Boger in den Symptomen und Beschwerden eines Patienten und seiner Blutsverwandten gesucht habe. Es müsse der Genius eines Krankheitszustandes dem Genius einer Arznei entsprechen.

Im Seminar war viel über die Methoden zu hören, die Boger anwendete. Es gäbe keine „Formel“, mit der das Problem, ein gut passendes Arzneimittel zu wählen, gelöst werden könne. Es zeige sich bei Boger, dass er aus einer Vielzahl von Möglichkeiten schöpfe, um so eine Arznei zu finden, die in den wesentlichen Aspekten der Krankheit des Patienten entspreche. Modalitäten (Bönninghausen) spielten dabei eine wichtige Rolle und ebenso Keynotes (Guernsey). Von Letzteren habe Boger ein eigenes Verständnis gehabt. Es sei ihm dabei um mehr als ein Symptom gegangen. Ein Keynote sei für ihn wie der Grundton in einem Musikstück, auf den sich alles beziehe und auf dem alles aufbaue. Die ...

Literatur
Boger, C. M.: Synoptic Key zur homöopathischen Materia medica. 3. durchgesehene und korr. Auflage, Pohlheim: Ahlbrecht, 2012
Bragg, C. F.; Winter, N.: Cyrus Maxwell Boger und das Erbe der amerikanischen Homöopathie. Polheim: Ahlbrecht, 2013
Stahl, M.: Der Briefwechsel zwischen Samuel Hahnemann und Clemens von Bönninghausen. Quellen zur Homöopathiegeschichte Bd. 3, Heidelberg: Haug, 1997

Anschrift des Verfassers
Roger Rissel
Heilpraktiker
Martin-Wohmann-Straße 17
65719 Hofheim am Taunus

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Naturheilpraxis 6/2014