Problemzone Haut

Gänseblümchen (Bellis perennis)

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Margret Rupprecht

Wer in Frühling und Sommer über eine Wiese spaziert und sie übersät von Gänseblümchen findet, wird sich eines leisen Lächelns kaum erwehren können. Es gibt wohl wenige Pflanzen, die das menschliche Gemüt ähnlich anrühren wie diese kleinen und doch so unglaublich präsenten Blümchen. Wo immer im Gras auch ein wenig „Unkraut“ wachsen darf, sind sie vorhanden.


Wird der Rasen gemäht, dauert es nicht lange, bis Gänseblümchen wieder neue Blüten gebildet haben und unverdrossen der Sonne entgegenstrecken. Anwesenheit, pure Anwesenheit, verbunden mit einer enormen Anpassungsfähigkeit, gehören zu den herausragendsten Eigenschaften dieser Pflanze.

Wer regelmäßig Rasen mäht und das Verhalten des Gänseblümchens genau beobachtet, wird bemerken, dass sich Bellis an die Schnitthöhe des Rasens anpasst. Mäht man ihn kürzer, wachsen die nächsten Blütenköpfchen weniger hoch. Das Hauptinteresse dieser Pflanze scheint darin zu bestehen, nach dem „Kahlschlag“ möglichst rasch aus ihrer kräftigen und sehr widerstandsfähigen Blattrosette neue weißgelbe Blütenköpfchen nach oben wachsen und strahlen zu lassen. In der Pflanzensymbolik gilt Bellis perennis seit jeher als Symbol für Reinheit, Anspruchslosigkeit, Bescheidenheit und kindliche Unschuld. Es reckt den Widrigkeiten seines Pflanzenlebens ein heiteres „Dennoch“ entgegen und erinnert ein wenig an den 39. Spruch des Tao Te King: „Im Einklang mit dem Tao ist der Himmel klar und weit, ist die Erde fest und voll, gedeihen alle Geschöpfe zugleich, zufrieden mit ihrem Sosein, in endloser Selbstwiederholung, endlos erneuert.“

Die kleinen und deshalb oft unterschätzten Gänseblümchen leben dem Betrachter diese unerschöpfliche Erneuerbarkeit allen Seins geradezu beispielhaft vor. Dabei demonstrieren sie unverdrossen, dass die Kahlschläge des Lebens kein Drama sein müssen, sondern sich überwinden lassen. Je weniger man sich an ihnen stört und je intensiver man darauf vertraut, dass genügend Energie vorhanden ist, um sich jederzeit zu erholen, desto leichter gelingt diese Regeneration. Keine andere Pflanze lebt dies mit solcher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit vor wie das omnipräsente Bellis perennis.

In der Symbolik wird das Gänseblümchen oft mit der Frühlingsgöttin Ostara, der Liebesgöttin Freyja (Venus) und der Gottesmutter Maria in Verbindung gebracht. Auf Botticellis Gemälde Geburt der Venus reicht eine Nymphe der Göttin einen Mantel, der ganz mit Bellis bestickt ist. In der Kunstgeschichte erscheinen Gänseblümchen häufig als Grasteppich zu Füßen Mariens. Diese Frauen stehen für Rückkehr der Vegetationsperiode, lebensspendende Kräfte und selbstlose Liebe. Als Göttinnen oder Gottesmutter stehen sie in enger Verbindung mit dem Göttlichen im Sinne des kosmischen Urquells. „Wenn du mit einem Fuß auf sieben Gänseblümchen treten kannst, dann ist es Frühling“ heißt ein englisches Sprichwort. Bellis perennis ist im wörtlichen und übertragenen Sinne ein Bote, der davon kündet, dass nach einer Zeit der Winterstarre und der inneren wie äußeren Kälte die „Grünkraft“ zurückkehrt und ein neuer Lebenszyklus beginnt.

Diese Qualitäten machen Bellis zu einer wertvollen Heilpflanze für körperliche und seelische Verletzungen und für alle Krankheiten, bei denen die Regenerationskräfte eine starke Anregung benötigen. Das reicht von Blutergüssen, Muskelzerrungen und Hautausschlägen bis hin zu seelischer Erstarrung als Folge von emotionaler Verletzung und psychischer Gewalt.

Beliebte Kinderpflanze

Zwei Heilpflanzen spielen in der Kinderheilkunde eine wichtige Rolle: Stiefmütterchen (Viola tricolor) und Gänseblümchen (Bellis perennis). Es fällt auf, dass beide Kinderpflanzen auf einen Diminutiv enden. Niemand käme auf die Idee, von Stiefmutter und Gänseblume zu sprechen. Beiden Pflanzen wohnt etwas ganz Zartes und Filigranes inne, das eine Atmosphäre von Heil-Sein und Kindlichkeit ausstrahlt.

Kinder besitzen eine erstaunliche Affinität zum Gänseblümchen. Es ist oft die erste Pflanze, die sie pflücken oder die sie zu Kränzen flechten, um sich damit zu schmücken. Die große Anziehungskraft des Gänseblümchens erklärt sich über die enge Verbundenheit, die diese enorm regenerationsfähige Pflanze ebenso wie die Kinder zum Urgrund des Seins besitzen. Ein Kind ist diesem Urgrund noch sehr ...

Literatur
Marianne Beuchert: Symbolik der Pflanzen. Insel Verlag, Frankfurt 2004
Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Grundlagen – Anwendung – Therapie. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
Hermann P. T. Ammon: Hunnius Pharmazeutisches Wörterbuch. Walter de Gruyter, Berlin 2010
Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag, Aarau (Schweiz) 2002
Roger Kalbermatten, Hildegard Kalbermatten: Pflanzliche Urtinkturen – Wesen und Anwendung. AT Verlag, Baden und München 2005
Laotse: Tao Te King (in der Übertragung von Stephen Mitchell und Peter Kobbe). Arkana Goldmann, München 2003
Gerhard Madaus: Lehrbuch der Biologischen Heilmittel. Band 4, Mediamed Verlag, Ravensburg 1988
Wolf-Dieter Storl: Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor. AT Verlag, Aarau (Schweiz) 2004
Hildebert Wagner, Markus Wiesenauer: Phytotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathica. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2003
Max Wichtl (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002

Anschrift der Verfasserin
Margret Rupprecht
Quinta Essentia
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Straße 6a
81929 München

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Naturheilpraxis 6/2014