Klassische Homöopathie

Erst- und Nachwirkung

Irrte Hahnemann?

Roger Rissel

Teil 1

Hahnemann hat die Begriffe „Erstwirkung“ und „Nachwirkung“ in Bezug auf die Wirkung der Arzneimittel auf den Menschen eingeführt und lässt auch vorsichtig eine Favorisierung der Erstwirkungen für die Wahl eines homöopathischen Arzneimittels erkennen. Einige Homöopathen vertreten heute die Auffassung, dass zur homöopathischen Arzneiwahl alleine die Erstwirkungssymptome einer Arznei verwendet werden dürften1.
Es wird gezeigt, dass Hahnemanns Favorisierung der Erstwirkungssymptome auf dem Hintergrund seiner Theorie über die Wirkung der homöopathischen Therapie fußt. Am Beispiel von Opium wird gezeigt, wie fragwürdig Hahnemanns Behauptungen in diesem Zusammenhang sind. Sie lassen sich nicht an den in seiner Reine[n] Arzneimittellehre aufgelisteten Wirkungen belegen. Zur Begründung werden in Teil 2, der im nächsten Heft folgt, ergänzend einige Fallbeispiele zum Arzneimittel Opium angeführt.


Für eine homöopathische Arzneimittelwahl sollten nur die Erstwirkungen einer Arznei herangezogen werden, wird von einigen Homöopathen behauptet [s. auch 14]2. Andere widersprechen dem. Was trifft eher zu und welche Relevanz hat dies für die homöopathische Arzneiwahl? Diese Frage berührt die Praxis der Homöopathie und bedarf deshalb der Klärung.

Theorie

Bevor am Beispiel des Arzneimittels Opium auf die praktische Relevanz des Problems eingegangen wird, sollen die formalen Aussagen zu dieser Fragestellung dargestellt werden. Zuerst wird darauf eingegangen, was unter den angeführten Begriffen zu verstehen ist.

Erstwirkung

Im § 63 des Organon der 6. Auflage [5: 110] definiert Samuel Hahnemann den Begriff „Erstwirkung“ als eine durch die Arznei bewirkte „gewisse Befindens-Veränderung im Menschen auf längere oder kürzere Zeit“, die, „obgleich ein Produkt aus Arznei und Lebens-Kraft [reaktionsfähigem Organismus], doch mehr der einwirkenden Potenz“ zuzurechnen sei.
Macht Hahnemann in frühen Schriften noch eine Aussage zum zeitlichen Auftreten der Erstwirkungen (s. z.B. unter Opium), so ist im Organon keine zeitliche Zuordnung mehr zu finden.

Nachwirkung

Weiter wird in diesem Paragraphen der Begriff der „Nachwirkung“ als eine der Arzneiwirkung entgegengesetzte „Rückwirkung“ des Organismus definiert, die auch als Gegenwirkung bezeichnet werden kann. Im nächsten Paragraphen wird diese Gegenwirkung als „entgegengesetzte[r] Befindens-Zustand“ definiert [5: 110 f].

Wechselwirkung

Im § 115 definiert Hahnemann Wechselwirkungen als zueinander gegensätzliche Symptome, die als „Wechselzustand der verschiedenen Erst-Wirkungs-Paroxismen“ zu verstehen sind. Er schränkt dies auf „einige […] Arzneien“ ein und benennt damit einen Unterschied zu den Nachwirkungen aufgrund der Gegenwirkung des Organismus [5: 142 f].

Heilwirkung

Die Definition von Heilwirkung kann aus der im zweiten Teil des § 64 gemachten Aussage abgeleitet werden. Hahnemann bezieht sich darin auf die Fälle, bei denen es das Gegenteil eines Erstwirkungssymptoms nicht gibt. Dort lösche die Gegenwirkung des Organismus die durch die Arznei bewirkte Veränderung aus und setze an deren Stelle wieder die Norm.

Aussagen Hahnemanns

Zuerst sei ein Blick auf die Aussagen Hahnemanns zu diesem Thema gerichtet. Betrachtet man das Gesamtwerk Hahnemanns, so liegt der Schluss nahe, dass er sich von einer klaren Favorisierung der Erstwirkungen als einzig für die homöopathische Arzneimittelwahl geeignete Symptome hin zu einer moderateren Position entwickelt hat [vgl. auch 8, 12].
Schreibt er noch 1796 im Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen: „Je mehr krankhafte Symptomen die Arznei ...

Anschrift des Verfassers
Roger Rissel
Heilpraktiker
Martin-Wohmann-Str. 17
65719 Hofheim am Taunus
E-Mail: roger.rissel@t-online.de

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Naturheilpraxis 4/2014