Klassische Homöopathie

Konstitutions- und Miasmentheorien im Wandel der Zeit

Ihre Bedeutung für die Homöopathie Hahnemanns

Dagmar Pichler-Zabinski (für den AK „Chronische Krankheiten“)

Homöopathen haben zu allen Zeiten versucht, Hahnemanns Theorien der Chronischen Krankheiten zu interpretieren. Es wurde dabei ein unterschiedlicher Fokus auf Teilbereiche seiner Lehren gelegt. Beispielsweise wurde der Begriff Miasma auch nach religiöser oder, in neuerer Zeit, psychologischer Orientierung unterschiedlich ausgelegt. Dieser und der ebenso uneinheitliche Begriff der Konstitution werden in diesem Aufsatz genauer analysiert. Es wird deutlich gemacht, wie sich diese Begrifflichkeiten medizinhistorisch entwickelten und was die jeweiligen Autoren, ihrer Zeit entsprechend, darunter verstanden.


Die Termini der verschiedenen „Konstitutionalisten“ scheinen uns vertraut, und es werden Begriffe verwendet und Artikel publiziert, in denen Konstitution, konstitutionelle Behandlung, konstitutionelles Arzneimittelbild wie Calcium-, Lycopodium- oder Sulphurkonstitution, hydrogenoide, oxygenoide und carbonitrogenoide Konstitution, lymphatische, lithämische und destruktive Konstitution, miasmatische Behandlung, konstitutionell-miasmatische Behandlung usw. ganz selbstverständlich genutzt werden. Oft sind uns nur die Begriffe geblieben, deren Bedeutung bleibt aber unklar. Dies geht zulasten des allgemeinen Verständnisses und kann zu Unschärfen im methodischen Vorgehen führen.

A. Miasma

Wortbedeutung

Miasma (griech.), „Besudelung, Verunreinigung“, bezeichnete eine übertragbare Verunreinigung oder einen krankheitsbringenden Fluch als Erklärung für Ansteckung und Epidemie. „Während der Miasmenbegriff bei Sophokles (497–406 v. Chr.) noch eine religiöse Prägung hatte und mit Schuld verbunden war, verwendete ihn Hippokrates (460–375 v. Chr.) weitaus rationaler und man begründete durch ihn erste hygienische Vorbeugemaßnahmen.“ [19]

Entwicklung des Begriffs

Aus Hahnemanns Schrifttum ergibt sich, dass der Begriff „Miasma“ in seinem Sinne mit „Infektion“ bzw. „miasmatisch“ mit „infektiös“ zu definieren ist. Auch wenn Hahnemann weder von Bakterien noch Viren wissen konnte, so mutmaßte er kleinste Lebewesen, die für die Übertragung von Infektionskrankheiten verantwortlich sein müssten [11: S. 45, Anmerkung]. Er unterschied akute und chronische Miasmen (akute Infektionskrankheiten wie z.B. Scharlach und chronische Infektionskrankheiten wie z.B. Syphilis).
Erst Hahnemanns Nachfolger lassen einen Rückfall in religiöse, mit Schuld verbundene Auslegungen des Miasmenbegriffs erkennen. So schreibt J. H. Allen: „Wahrhaftig, die Psora ist die erste Manifestation der Ursünde, der ersten Verfluchung, […]“ [1: S.15, vgl. auch 7: S. 18f.1]. Auch eine Abstrahierung findet sich bei späteren Homöopathen. Die drei von Hahnemann genannten chronischen Miasmen werden mit „Krankheits-Qualitäten“ wie Mangel, Übertreibung, Destruktion (vgl. Ortega u.a.) oder den drei grundsätzlich pathologischen Reaktionsmöglichkeiten der Zelle gleichgesetzt [20].
Nach Anne Ulrich [19] ist mit Entwicklung der modernen Mikrobiologie der Begriff des Miasmas aus den Lehrbüchern der Hochschulmedizin verschwunden und nur in der Homöopathie bis heute bewahrt geblieben. „Dort besteht jedoch nicht, wie über Jahrhunderte in der Medizingeschichte, eine einheitliche Begriffsdefinition, sondern es existiert eine Vielfalt moderner Miasmenlehren, die sowohl mit dem ursprünglichen Begriff als auch mit dem Miasmenbegriff Hahnemanns meist wenig gemeinsam haben.“ [19: S. 21f.]

B. Konstitution

Wortbedeutung

Der Begriff „Konstitution“ leitet sich vom lateinischen „constituere“ (richten, ordnen, festigen) ab. Der medizinische Kontext des Konstitutionsbegriffs kennt Synonyme oder ähnliche Begriffe – je nach Ausrichtung – im körperlichen Bereich: Habitus, Disposition, Diathese, Rasse und unter Einbeziehung der Psyche auch Temperament, Persönlichkeit, Charakter, Individualität [2: S. 19].
„Unter Konstitution eines Menschen versteht man das gesamte Erscheinungs-, Funktions- und Leistungsgefüge in seiner Erb- und Umweltgeformtheit. Dementsprechend gibt es eigentlich so viele Konstitutionen wie Individuen. Es zeigt sich jedoch, dass gewisse Merkmale häufiger wiederkehren, wodurch es möglich wird, in die individuelle Mannigfaltigkeit eine Ordnung zu bringen, was seit Hippokrates immer wieder versucht wurde. Eine größere Verbreitung haben bis ...

Anschrift der Verfasserin
Dagmar Pichler-Zabinski
Heilpraktikerin
Burgweg 21
64367 Mühltal
E-Mail: d.pichler-zabinski@t-online.de

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Naturheilpraxis 3/2014