FACHFORUM

Homöopathische Prophylaxe?

Klaus Binding

Das Prinzip der Homöopathie lautet: Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt. Das bedeutet, ein Arzneimittel (eine künstliche Krankheit) stimuliert, reizt die Lebenskraft (Dynamis), die im Erkrankungsfall auf eine dem Arzneimittel ähnliche natürliche Krankheit regulierend wirkt. Der Reiz durch die Kunstkrankheit (das Arzneimittel) sollte etwas stärker sein als die Kraft der natürlichen Krankheit. Durch den stärkeren Reiz des Arzneimittels agiert die Dynamis dann gegen die künstliche Krankheitspotenz, die in ähnlicher Frequenz schwingt wie die natürliche Krankheit. Im Zuge des Regulationsbemühens der Lebenskraft, die auf einen Reiz immer entgegengesetzt wirkt, wird bei der Regulation der Kunstkrankheit die gleich schwingende Naturkrankheit mit-reguliert bzw. aufgehoben.


Wenn Prophylaxe möglich ist, dann stimmt Hahnemanns Konzept der Lebenskraft nicht. Der Grundsatz der Homöopathie Similia similibus curentur setzt die Gleichzeitigkeit von natürlicher Krankheit und künstlicher Arzneikrankheit voraus. Mit welchem Muster soll das Arzneimittel in Interaktion treten, wenn (noch) kein Symptomenbild vorhanden ist? Nur zwei ähnliche Frequenzen, die auch da sind, Ähnliches plus Ähnliches, schwingen miteinander.

Bei einer Arzneimittelprüfung wird der Dynamis vorübergehend ein künstliches Muster aufgeprägt. Ob eine natürliche Ferrum-phos.-Grippe einen Prüfling während der Arzneimittelprüfung verschont, weil er unter dem Einfluss von Ferrum phos. steht, ist fraglich. Möglicherweise ist er aber auch gerade während einer Ferrum-phos.-Prüfung besonders empfänglich für eine Ferrum-phos.-Grippe. Eine Arzneimittelprüfung stellt ja eine unbeabsichtigte Prophylaxe gegen alle Symptome des zu prüfenden Mittels dar. Die Frage ist: Kann eine natürliche Krankheitspotenz den Prüfling mit Symptomen des Mittels „infizieren“? Oder kann ein Prüfling eine Gelsemium-Grippe während einer Ferrum-phos.-Prüfung bekommen?

Wie auch beim Impfschutz stellt sich bei homöopathischer Prophylaxe die Frage nach der Dauer des vermuteten Schutzes. Das bezieht sich auch auf das Konzept der homöopathischen Impfungen. Da die Homöopathie eine Reiz- und Regulationstherapie darstellt, muss der Arzneireiz ein schwingungsgleiches Gegenüber haben, um die Lebenskraft zu aktivieren. Die Dynamis reagiert auf etwas Kommendes, auf eine natürliche Krankheit oder eine künstliche Arzneikrankheit. Die Dynamis speichert nicht einen künstlichen Reiz und wartet auf eine natürliche Krankheit – wie lange eigentlich, und welche Potenz soll wie lange vorbeugend wirken? Homöopathie ist Energie-Medizin. Wie sollte ein energetischer Arzneireiz konserviert werden? Es geht ja nicht um die Stimulierung zur Bildung von materiellen sogenannten Antikörpern.

Der zweite Widerspruch zur Hahnemann’schen Denkweise ist die Vernachlässigung der individuellen Symptomatik (von Symptomen nach § 153 ganz zu schweigen). Prophylaktisch verordnete homöopathische Mittel beziehen sich auf einen Krankheitsbegriff, eine klinische Diagnose. Wie kann ein prophylaktisch eingesetztes Mittel „wissen“, und der Arzneiverordner ebenso, welche individuelle Symptomatik sich beim Patienten entwickeln wird, wenn dann beispielsweise eine Grippe oder „Borreliose“ erscheint? Die große Stärke der Homöopathie, nämlich die Individualisierung jedes erkrankten Menschen, wird so komplett ausgehebelt. Die vorbeugend verordnete Arznei bezieht sich auf ein unpersönliches klinisches Bild. Jeder Homöopath weiß, wie nutzlos pathognomonische Symptome für die korrekte Mittelfindung sind. Der Hinweis auf „bewährte Indikationen“ kann auch nicht gelten. Die Individualisierung wird dort zwar auch vernachlässigt, aber es gilt das Reiz-Reaktions-Schema. Vorbeugend verordnetes Arnika wird die Gehirnerschütterung weder verhindern noch abmildern, wenn das Kind dann vom Baum purzelt und mit dem Kopf aufschlägt. Aber Arnica wird mit der „verletzten“ Dynamis interagieren, wenn es nach dem Sturz gegeben wird.

Die tiefergehende Frage lautet: Lässt sich Krankwerden arzneilich verhindern? Lässt sich Krankheit grundsätzlich aus der Welt schaffen – und ist das erstrebenswert? Sind Krankheiten sinnlose Zufallserscheinungen, die mal den, mal den anderen treffen? Durch gesunde körperliche und seelisch-geistige Lebensweise kann sicherlich viel für die gesundheitliche Stabilität getan werden. Krankwerden hat eine biografisch-zeitliche Dimension, und nur die Überwindung des Krankseins führt zu echter Heilung und damit zu mehr Gesundheit. Krankheiten arzneilich vorbeugend verhindern zu wollen entspricht allopathischem Impf-Denken.

Hahnemann war dem Prophylaxe-Gedanken gegenüber durchaus zustimmend. In seiner 1801 publizierten Schrift „Heilung und Verhütung des Scharlach-Fiebers“ schrieb er, nachdem er ein 10-jähriges Mädchen im An- ...

Anschrift des Verfassers
Klaus Binding
Heilpraktiker
Brenneckenbrück 5a
38518 Gifhorn
E-Mail: klaus_binding@freenet.de

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Naturheilpraxis 3/2014