FACHFORUM

Natürliches Tramadol aus Nauclea latifolia

Jens Bielenberg

Dass Arzneistoffe als Ausgangsstoffe für synthetische Wirkstoffe dienen, ist spätestens seit der Synthese von Aspirin auf der Grundlage des Salicortins aus der Weidenrinde bekannt. Dass synthetische entwickelte Arzneistoffe sich auch im Pflanzenreich wiederfinden lassen, ist jedoch eine Sensation.


Ein Forscherteam um Dr. Michael De Waard am Institut für Naturwissenschaften von Grenoble entdeckte in Extrakten aus der getrockneten Wurzelrinde von Nauclea latifolia zwischen 0,4 bis 3,9% Tramadol, also nicht unerhebliche Konzentrationen dieses Opioids, das ein häufig verordnetes Analgetikum ist. (1) Ein Blick auf diese Pflanze ist nicht nur diesbezüglich spannend, sie findet auch in der traditionellen Medizin vieler afrikanischer Länder Anwendungen zu sehr verschiedenen Indikationen. Nauclea latifolia (syn. Sarcocephalus latifolius/African Peach, Pin cushion tree) ist ein kleiner Baum, der in der Südsahara, besonders im Senegal, in Nigeria, Uganda, Kamerun, im Sudan und in Angola vorkommt und zur Familie der Rubiaceae gehört. Die immergrüne Pflanze besitzt in Kamerun eine große Popularität. Die Rubiazeen sind eine große Familie mit 630 Arten und 13000 Spezies, die weltweit vorkommen. Sie werden besonders in der traditionellen afrikanischen Volksmedizin zu den verschiedensten Indikationen verwendet. Der medizinisch verwendete Pflanzenbestandteil von Nauclea L ist die Rinde der Wurzeln. Inhaltsstoffe sind Indolchinolizidin- Alkaloide (ca. 0,1%), Saponine, Gerbstoffe, ß-Sitosterol und 7-Hydroxycoumarin, ein wichtiges Heilmittel bei Epilepsie und Fieber (Malariafieber).Weitere Indikationen sind Entzündungen, Husten, Bronchialerkrankungen, Koliken, Dysenterie, Gelbsucht, Eingeweidewürmer, Geschlechtskrankheiten und Schmerzen. (2) Tramadol wurde in den 70er-Jahren von Grünthal entwickelt und unter dem Namen Tramal® als Analgetikum in den Handel gebracht.

Antidiabetische, antihypertensive und antivirale Wirkungen

Eine Recherche in der internationalen medizinischen Literatur fördert aber weitere interessante Einsatzgebiete dieser Pflanze hervor. Verschiedene Pflanzenteile werden in der traditionellen Medizin bei Diabetes mellitus angewendet. Eine neue Untersuchung hat versucht, diesen Effekt auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen (Gidado und Mitarbeiter), nicht zuletzt um der Forderung der WHO gerecht zu werden, in Schwellen- und Entwicklungsländern die Pharmakotherapie auf der Grundlage der traditionellen Heilmittel voranzutreiben. Ethanol, Wasser und Hexan-Extrakte der Blätter von Nauclea latifolia Smith wurden normoglykämischen und Streptomycin-induzierten diabetischen Witstar-Albinoratten gegeben. Der wässrige und ethanolische Extrakt (400 mg/kg) konnte den Nüchternblutzuckerspiegel um 31,7% (wässrig) bzw. 36,1% (ethanolisch) reduzieren, ein Effekt, der mit dem von 1 mg/kg Glibenclamid vergleichbar ist. Der exakte Mechanismus und die verantwortlichen Inhaltsstoffe sind unbekannt. (3) In der nigerianischen Volksmedizin wird Nauclea latifolia zur Behandlung von Bluthochdruck angewendet. In einer Untersuchung von Akpanabiatu et al. wurde der Effekt eines wässrigen Extraktes aus den Blättern auf das Lipidprofil und kardiovaskuläre Parameter von Ratten untersucht. Es kam zu einer 40 % Relaxation der mit Phenylephrin vorbehandelten Aorta. Während der Natriumspiegel im Serum unbeeinflusst blieb, stieg der Kaliumspiegel signifikant an, das Lipidprofil blieb unbeeinflusst. (4) Neuerdings isolierte Indolalkaloide haben in vitro einen schwachen Renin-hemmenden Effekt. (5) In der traditionellen afrikanischen Medizin wird Nauclea L auch gegen virale Erkrankungen angewendet. Ein Studie zeigte eine gute Wirkung des Rohextraktes aus der Wur-

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Literatur:
(1) De Waard M et al., Occurrence of the Synthetic Analgesic Tramadol in an African Medicinal Plant. Angew Chem Int Ed Engl. 2013 Sep 6. doi 10.1002 (Epub ahead in print).
(2) Hiller K, Melzig M, Lexikon der Arzneipflanzen und Drogen. Spektrum Verlag, Heidelberg-Berlin 2003.
(3) Gidado A et al., Hypoglycaemic Activity of Nauclea latifolia Sm (Rubiaceae) in experimental animals. Afr J Tradit Complement Altern Med. 2008,5(2):201-208.
(4) Akpanabiatu M et al., Rat serum electrolytes, lipid profile and cardiovascular activity on Nauclea latifolia leaf extract administration. Indian J Clin Biochem 2005,20(2):2934.
(5) Agomuoh AA, et al., Novel indole alkaloids from Nauclea latifolia and their renin inhibitory activities. Chem Biodivers. 2013,10(3):401-410.
(6) Donalisio M et al., In vitro anti-Herpes simplex virus activity of crude extract of the roots of Nauclea latifolia Smith. BMC Complementray and alternative Medicine 2013,13:266.

Anschrift des Verfassers:
Jens Bielenberg
Apotheker
Raphael-Apotheke
Bahnhofstr. 53
25364 Westerhorn

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Naturheilpraxis 2/2014