SPEZIAL

Das Salomonssiege

Eine Entdeckung am Wegesrand?

Karl Friedrich Liebau zum Abschied

Bernd Herling

Der Lord-Siegelbewahrer der NATURHEILPRAXIS geht nun in den mehr als nur verdienten Ruhestand. Seine Aufgabe, die Heterogenität des Berufsstandes in adäquater Form in einer Fachzeitschrift, die Ihresgleichen sucht, widerzuspiegeln, hat er auf Salomonische Art und Weise wahrgenommen. Niemand dürfte ihn darum beneidet haben, wenn es darauf ankam, die Spreu vom Weizen zu trennen, wenn eine Kombination aus Fachkompetenz einerseits und Fingerspitzengefühl, Intuition, Menschenkenntnis und psychologischem Gespür andererseits von Nöten waren, zu erkennen, wo sich die Geister schieden. Denn gerade die schon zitierte Heterogenität des schreibenden Heilpraktikervölkchens verlangt einen extrem breiten Horizont, den es kenntnisreich zu überblicken gilt. Als Siegelbewahrer oblag es ihm, thematische Schwerpunkte zu setzen und zu entscheiden, was nun aufgenommen werden konnte und was nicht. Es ist gewiss keine leichte Aufgabe, zu erkennen, wo zum Beispiel der Humbug beginnt, wo sich jemand, von einer Idee besessen oder aufgrund einer singulären persönlichen Erfahrung blind fürs große Ganze verrennt, wo ein Autor, wiewohl konturscharf, jedoch völlig im Abseits steht, wo ein anderer eingeschüchtert von der allgegenwärtigen Forderung nach Political Correctness im Mainstream unsichtbar wird. Wo wiederum müssen Abstriche gemacht werden, weil vor lauter statistisch untermauerter Wissenschaftlichkeit die Lesbarkeit auf der Strecke bleibt, und wo versteht nur noch ein esoterischer Kreis von Fach-Idioten, im wahrsten Wortsinne,1 um was es gehen soll? Auch wenn der Verfasser hier nur für sich persönlich, als Idiotes also, spricht, meine ich, dass wir alle, Autoren wie Leser, Karl Friedrich Liebau dankbar sein dürfen für seine sichere Hand, die sich von keinerlei ideologischer Einseitigkeit hat leiten lassen. Dafür und natürlich für vieles andere auch, das zu ersehen nun der Verfasser wiederum den Horizont definitiv nicht hat, ein großes DANKE. Als Ausdruck dafür dieser kleine Beitrag über eine auffällige, dennoch wenig beachtete Gattung, die drei bei uns vorkommenden Arten des Salomonssiegels und seiner Magie.


Salomon: König Israels, Baumeister, Magier

Ob es Salomon, den König Israels auf dem Höhepunkt der Macht des, wenn man so will ersten Judenstaates, überhaupt gab, wird immer wieder auch vonseiten der Wissenschaft vehement bezweifelt. Denn außer den biblischen Zeugnissen2 gibt es keine literarischen Verweise auf ihn. Doch neueste archäologische Entdeckungen sprechen nun doch für seine Geschichtlichkeit und man kann sich zurücklehnen und dankbar aufatmen: Die Bibel hat doch recht!

Wenn wir ihr nun weiter glauben wollen, war Salomon der Sohn König Davids, den er mit Bathseba, der Frau seines hethitischen Feldherrn Urias, gezeugt hatte und regierte Israel an die vierzig Jahre, was heißen soll sehr lange Zeit, stimmen die Zahlen, von 970 bis 931 vor Christus. Anders als Paris, der Held mit dem Zankapfel, wählte er, als Gott ihm einen Wunsch freistellte, nicht Schönheit und Liebe (er hatte ja schon einen Harem von mehreren hundert schönen Frauen), sondern die Gabe der Weisheit. Wenn heute seiner gedacht, oder er, etwa in den Sprüchen Salomonis, zitiert wird, steht immer seine Weisheit im Fokus des Geschehens. Ebenso legendär ist sein Reichtum, den er allerdings, da hat die Bibel nun nicht recht, keineswegs durch die Fahrt nach Ophis, im Süden Afrikas, oder ins spanische Tartessos gewinnen hatte können, weil diese Seewege nachweislich erst mehr als hundert Jahre später entdeckt wurden.

Angeblich verfuhr er wie zirka 2500 Jahre später der deutsche Renaissance-Wissenschaftler Doctor Faustus, indem er sich der Magie ergab. Diesem war ja bekanntlich der Gottseibeiuns in Gestalt eines Hundes zugelaufen, der sich sodann zuerst in ein Nilpferd, dann zum Elefanten verwandelte, um sich schließlich anzuschicken, zu Nebel zu zerfließen. Als der Doktor dieses Höllenzaubers ansichtig wurde, war ihm sofort klar. „Für solche halbe Höllenbrut ist Salomonis Schlüssel gut.“ Denn Faust wusste Bescheid: „Wer sie nicht kennte, die Elemente und ihre Kraft und Eigenschaft, er wäre kein Meister über die Geister,“ um sogleich die vier Elemente zu beschwören. In diesem Falle, der Inkarnation Mephistos in einen fahrenden Scholasten, half ihm Salomons Schlüssel allerdings nichts, dennoch verdient die Episode festgehalten zu werden.

Was Salomons Macht über die Geister angeht, weiß erstaunlicherweise der Koran mehr als die Bibel, denn im Heiligen Buch des Islam wird Salomon als Herr über die Dschinn beschrieben, was sich darin niederschlug, dass er Geister (spiritús) in gläserne Flaschen sperrte – vielleicht handelte es sich in nuce um auf dem Weg der Alchemie gewonnene Alkoholessenzen – um sie sich dienstbar zu machen. Dazu war er jedoch nicht aus eigener Kraft gekommen, denn der Erzengel Michael hatte ihm auf Geheiß Gottes einen Siegelring mit einem eingelassenen Edelstein gegeben, der ihm diese Gewalt über die Geister verlieh. Eine frühchristliche Schrift der Gnosis, „Das Testament Salomons“, erzählt, dass er als ersten einen schweifenden Geist namens Ornias, den die Macht Gottes, verkörpert im Erzengel Uriel, verstoßen hatte, zu seinem Dienst verpflichtete. Dieser brachte sodann den Luftgeist Ephippas bei, und sie vollendeten den Tempelbau auf dem Berg Moria in Jerusalem, der Stelle, wo Abraham beinahe seinen Sohn Isaak geopfert hätte. Es heißt, dass beim Tempelbau jeglicher Lärm verboten war (Baustellen heute?), weil Gott die Stille liebe, vielleicht konnte so, durch die Arbeit der Luft-Geister, dieses religiöse Zentrum ohne große Geräuschentfaltung errichtet werden?

Dass die Könige Israels immer wieder Dinge taten, die ihnen das Gesetz strengstens verbat, ist bekannt. Man denke nur an den ersten König, Saul, der sich vermaß, die heiligen Schaubrote zu essen, sowie seine Konsultation der Hexe von Endor, die für ihn die Geister der Toten beschwören sollte. Beides Sakrilege der obersten Kategorie! Angeblich verfuhr eben auch Salomon dieser Art, indem er, um die Liebe einer schönen Phoinikerin zu gewinnen, vom Gott Israels abfiel und dem phoinikischen Gott Moloch opferte. Wie jeder, spätestens seit den Bankenkrisen, weiß, war Moloch der Götze des Reichtums, was wohl so interpretiert werden kann, dass Salomon seine Macht, ausgedrückt durch seinen Siegelring, missbrauchte, Reichtümer anzuhäufen.
Und hier kommt nun die Botanik ins Spiel.

Das Salomonssiegel: Polygonatum spp. – Weißwurzarten

...

Anmerkungen
1 Griech.: hò idiotès = der das Eigene verfolgende; wir kennen ja auch „der und der ist eigen“, mehr war damit ursprünglich nicht gemeint.
2 1.Kön. 1-11; 2.Chron. 1-9.

Literatur:
Aichele, Dietmar u. Schwegler, Hans-Werner: Die Blütenpflanzen Mitteleuropas, Band 5, Stuttgart 2004.
Döring, Tobias: Doktor Faustus, in: Mythen Europas, Band 4: Renaissance, Regensburg 2006.
Genaust, Helmut: Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen, Hamburg 2005.
Goethe, J.W.: Werkausgabe, Frankfurt /M. (Insel) 1964.
Hegi, Gustav: Illustrierte Flora von Mitteleuropa, Band. II, München 1906.
Hiller, Karl u. Bickerich, Günter: Giftpflanzen und Arzneipflanzen, Berlin 1997.
Lutherbibel / Septuaginta.
Madaus, Gerhard: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, repr. Ravensburg 1989.
Roth, Lutz, Daunderer, Max et al.: Gifpflanzen – Pflanzengifte, 4. Auflage, Landsberg /Lech, 1994.
Schriften der Gnosis, o.J.
Sebag-Montefiori, Simon: Jerusalem – Die Biographie, Frankfurt/M. 2011.

Anschrift des Verfassers:
Bernd Hertling
Nettelkofenerstr. 1
85567 Grafing

weiter ... (für Abonnenten der Naturheilpraxis)


 

Zum Inhaltsverzeichnis

Naturheilpraxis 1/2014