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Heilpraktiker sind unverzichtbare Säule des Gesundheitssystems

Bericht über die Eröffnung der 82. Tagung für Naturheilkunde

In Bayern leben rund eine Million Männer und Frauen, die wegen einer Diabetes-Erkrankung in ständiger medizinischer Behandlung sind. Und die Dunkelziffer jener, die wahrscheinlich selbst nichts von ihrer Krankheit wissen, wird auf 400.000 geschätzt. Und um diese Dunkelziffer zu senken, sieht Ministerialrat Professor Dr. Wolfgang Caselmann, der im neuen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege das Referat für medizinische Fachangelegenheiten, Gesundheitsförderung und Prävention leitet, „wesentliche Ansatzpunkte für die Naturheilkunde und für Sie als Heilpraktiker mitzuwirken“.

Zur Eröffnung der 82. Tagung für Naturheilkunde am 16. November 2013 in München, die unter dem Schwerpunktthema „Chronische Krankheiten – aktueller denn je“ stand, überbrachte Caselmann nicht nur die guten Wünsche der neuernannten Gesundheitsministerin Melanie Huml, einer approbierten Ärztin, sondern er gab auch bekannt, dass im Rahmen der Gesundheitsinitiative „Gesund.Leben.Bayern“ der Bayerischen Staatsregierung im kommenden Jahr die „Prävention des Diabetes“ zum Schwerpunktthema gewählt wurde. An den Heilpraktikerverband gerichtet „ich lade Sie herzlich ein, sich am Jahresschwerpunkt 2014 zu beteiligen“ wurde – wie im letzten Jahr auch, aktive Mitarbeit nachgefragt.

Dieser Einladung verlieh Joachim Unterländer, im neuen Landtag für die CSU-Fraktion Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration, besonderen Nachdruck: „Wenn von Diabetes als einer der Geißeln der Menschheit gesprochen wird, denn können Sie . . . in der Prävention einen ganz wesentlichen Beitrag leisten.“ Unterländer kündigte neue „gesundheitspolitische Überlegungen zu einem bayerischen Präventionsgesetz“ an, und in diesem Rahmen könnten „Therapiekonzepte in ihrer Gesamtheit nicht ohne die Naturheilkunde, in Bayern nicht ohne den Heilpraktikerverband, diskutiert und umgesetzt werden. Und deshalb müssen wir Sie hier einladen.“

Für die SPD-Fraktion betonte deren gesundheitspolitische Sprecherin Kathrin Sonnenholzner, Vorsitzende des Landtagsauschusses für Gesundheit und Pflege, sie freue sich „ganz besonders, dass dieser Schwerpunkt 2014 Diabetes heißt, aber mit einem Schwerpunktjahr wird es nicht getan sein.“ Die vorgesehenen Initiativen zur Diabetes-Prävention müssten vielmehr „dauerhaft etabliert und verbessert“ werden. Und über die Diabetes-Herausforderungen hinaus meinte die Ärztin: „Wir brauchen tatsächlich mehr Geld in diesem Gesundheitssystem dafür, dass Krankheiten vermieden werden.“

In ihrer Zwischenmoderation der Politiker-Statements meinte Ursula Hilpert-Mühlig, 1. Vizepräsidentin des FDH-Bundesverbandes, direkt an Professor Caselmann gerichtet: „Wir nehmen Ihr Angebot zur Mitarbeit am Themenschwerpunkt Diabetes gerne an; und ich freue mich, Sie im neuen Gesundheitsministerium auch weiterhin als Ansprechpartner zu haben.“

Aber der Komplex der chronischen Krankheiten geht weit über die Volkskrankheit des Diabetes hinaus. In ihrem Eröffnungsreferat (Wortlaut obenstehend) hatte Frau Hilpert-Mühlig an einer befremdlichen Definition des Begriffs der chronischen Erkrankungen durch das Robert-Koch-Institut angeknüpft, wonach sich diese „im Zuge des medizinischen Fortschritts und des demographischen Wandels“ zunehmend als Multimorbidität manifestierten, die wiederum mit einer Vielzahl höchst unterschiedlicher Arzneimittel, der sogenannten Polypharmazie, schulmedizinisch behandelt würden. Die Verminderung der Zahl dieser Medikamente gehöre zu den schwierigsten Aufgaben der Heilpraktiker/innen. Die den Kriterien der Evidenzbasierung genügende wissenschaftliche Medizin biete hierzu wenig Ansatzpunkte. Andererseits würden eindeutige Belege der Evidenz, wie etwa die viel zu häufigen Antibiotika-Verschreibungen trotz erwiesener Resistenz von den Ärzten regelmäßig ignoriert.

Daran knüpfte Unterländer mit der Bemerkung an, für ihn sei „ein ganz entscheidendes Kriterium nicht nur die evidenzbasierte wissenschaftliche Erkenntnis, sondern was den Menschen hilft“. Unter starkem Beifall meinte Unterländer weiter: „Wenn seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten bestimmte pflanzliche Produkte oder bestimmte Methoden in der Therapie einen Nutzen für die Menschen haben, dann kann das nicht in das Reich des Zufalls und der Scharlatanerie zurückgewiesen werden. Das ist wahrhaft interessengeleitet und entspricht nicht den Willen der Menschen.“

Dass diese Wahrnehmung im politischen Leben – gerade auch in Bayern – eine solche Rolle spielt, sei auch, so fuhr Unterländer fort, „dass Verdienst einer sehr nachhaltigen und wirksamen Interessenvertretung in den gesundheitspolitisch nahen Gremien durch Ihren Verband und in besonderer Weise durch Ihre Vorsitzende, Frau Hilpert-Mühlig“.

Diese besondere Aufmerksamkeit, die den Heilpraktikern in Bayern entgegengebracht wird, betonte auch Professor Caselmann: „Ich sehe selten einen Kongress mit so vielen Grußworten von renommierten und allerhöchst platzierten politischen und wissenschaftlichen Persönlichkeiten, auch des öffentlichen Lebens“. Und daraus sei zu entnehmen, „dass sich alle Fraktionen einschließlich des bayerischen Gesundheitsministeriums den Austausch mit den Heilpraktikern wünschen und ihre Arbeit sehr schätzen“.

Bei allen fraktionsübergreifenden Gemeinsamkeiten in manchen gesundheitspolitischen Fragen bekannte Kathrin Sonnenholzner: „Ich bin schon eine Freundin der Evidenzbasierung in alle Richtungen. . . Ich glaube, dass der Weg nicht sein kann, dass wir sagen, in allen Bereichen der Medizin wollen wir Evidenzbasierung, aber in der Naturheilkunde verzichten wir darauf.“

Ihrer Ansicht nach sind auch Naturheilkunde-Studien unerlässlich, denn „nur so sind sie auch auf Augenhöhe mit den anderen Disziplinen“.

Mit Blick auf eine frühere Kampagne des Gesundheitsministeriums zum Thema Männergesundheit beklagte die Ärztin: „Die Schulmedizin ist immer noch auf den durchschnittlichen gesunden 40-jährigen Mann ausgelegt und nicht auf große Differenzierung.“ Sie sieht einen erheblichen „Nachholbedarf in der Frage der frauenspezifischen Medizin“ und würde sich einen „Schwerpunkt Frauengesundheit“ wünschen. Doch hier bleibt unberücksichtigt, dass die wissenschaftlichen Studien, welche die Evidenzbasierung belegen sollen, also „randomisierte kontrollierte Doppelblindstudien“ und „Metaanalysen“, in aller Regel krankheitsbezogen sind und nicht geschlechtsspezifisch. Und wenn Patientinnen und Patienten nach Zufallsprinzipien, also „randomisiert“ in bestimmte Gruppen eingeteilt werden, dann ist das mit geforderten Differenzierungen schwer zu vereinbaren.

Als Vertreter der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen griff deren stellvertretender Vorsitzende Thomas Gehring das Stichwort auf und meinte, die Evidenzbasierung sei „sicherlich wichtig; aber dann muss auch das Kriterium der Nachfrage der Patienten, Zufriedenheit und Wohlbefinden der Patienten ein wichtiges Kriterium sein.“ Bei den Problemen der Polypharmazie konnte Gehring auf das Beispiel seiner betagten Eltern und deren verschriebenen Tablettenkonsum verweisen und plädierte für „einen ganzheitlichen Ansatz und nicht die chemischen Hämmer“. Und weiter: „Wir müssen uns wieder auf eine Medizin besinnen wie die Naturheilverfahren, die besagen: nicht viel hilft viel, sondern regelmäßig hilft viel.“

Von den Gesundheitspolitikern wurde ein weiterer Hinweis von Ursula Hilpert-Mühlig aufgegriffen. Sie hatte betont dass in neuerer Zeit die Zahl der Kinder und Jugendlichen deutlich ansteigt, die unter chronischen Erkrankungen zu leiden haben und darauf hingewiesen, dass dies unter anderem – und ebenfalls evidenzbasiert – auf Antibiotika-Medikationen kurz nach der Geburt und in den ersten Lebensjahren zurückzuführen sei.

Auf diesen Aspekt gingen vor allem die beiden Bildungspolitiker, Professor Dr. Michael Piazolo, hochschulpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion und Generalsekretär der Freien Wähler Bayern, und Thomas Gehring ein. Piazolo bestätigte, „dass in den letzten zehn Jahren die Krankheitsrate, und gerade auch chronische Krankheiten bei Kindern, um circa ein Drittel zugenommen hat“. Er sieht einen Zusammenhang mit dem durch die Einführung des achtjährigen Gymnasiums verstärkten Schulstress. Es sei für ihn „erschreckend, wenn so viele Mediziner, Eltern aber auch Kinder dann zu Ritalin greifen. Das ist unglaublich; das sag ich einfach, in diesem Alter, um vielleicht in einem Gymnasium die Schulleistung zu stärken, hier zu diesem Arzneimittel zu greifen. Und ich glaube, dass da auch eine Aufgabe für Ihren Verband ist, hier hemmend zu wirken.“

Gehring räumte zwar ein, dass persönliches Fehlverhalten vieler Menschen zur Entstehung chronischer Krankheiten beiträgt. Aber er sieht auch „umweltbedingte Gründe, zivilisatorische Gründe und auch gesellschaftliches Fehlverhalten, zu deren Verminderung viele Politikbereiche gefordert seien und „berufsübergreifende Teamarbeit“ im Gegensatz zu dem vorherrschenden „berufsständischen Wesen im Medizinbereich“.

Als Ursula Hilpert-Mühlig schließlich die CSU-Stadträtin Eva Caim um ein Grußwort für die Landehauptstadt München bat, meinte diese, sie habe dieses Grußwort spontan „etwas gekürzt, weil die hochkarätigen Vorredner ganz vieles schon gesagt haben, was ich nicht wiederholen will“. Gleichwohl waren die Ausführungen der Krankenschwester mit langjähriger Berufserfahrung von hohem Interesse. Ihre Berufstätigkeit hatte Frau Caim im Jahre 1967 im Krankenhaus München-Harlaching – völlig schulmedizinisch ausgerichtet – begonnen. Schon damals gab es auf dem Klinikgelände auch das Krankenhaus für Naturheilweisen, über das man damals despektierlich vom „Grashaus da drüben“ gesprochen habe. Aber im Laufe eines langen Berufslebens habe sie die Naturheilkunde immer mehr schätzen gelernt. Heute ist sie als Stadträtin im Aufsichtsrat der Städtischen Klinikum GmbH, in der die städtischen Krankenhäuser Münchens zusammengefasst sind, und im Stiftungsvorstand des Krankenhauses für Naturheilweisen, und das verleiht ihren Ausführungen zusätzliches Gewicht. Sie meinte: „Ich bin überzeugt davon, dass gerade die Naturheilmedizin die Lebensqualität von Menschen ganz erheblich beeinflussen kann. Ich selbst nehme sie gerne selbst in Anspruch. Es ist mir wirklich eine Herzensangelegenheit: An der Nahtstelle zwischen Schul- und Naturheilmedizin darf es keine Gräben geben. Die müssen geschlossen werden, und was ich beobachte in den letzten Jahren, gelingt das immer besser. Also ich denke schon, dass Schulmedizin und auch Naturheilmedizin auf Augenhöhe miteinander tätig sein können zum Wohl des Patienten.“

Damit schloss sich der Kreis zu dem Eingangsstatement von Professor Caselmann, der betont hatte, dass das neue Staatsministerium für Gesundheit und Pflege „für eine umfassende medizinische Zuständigkeit und vor allem für eine menschliche Medizin für Jung und Alt“ stehe. Und nach der Feststellung von Joachim Unterländer haben die Heilpraktiker „ganz unverzichtbar als eine Versorgungssäule unseres Gesundheitssystems zu gelten.“

Christian Ullmann


 

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Naturheilpraxis 1/2014