SPEZIAL

Eine blutige Geschichte

Ernst-Albert Meyer

Heute spielen Bluttransfusionen und aus Spenderblut gewonnene Produkte eine wichtige Rolle in der Medizin. Doch schon in alter Zeit besaß das Blut eine große Bedeutung: Vor allem in der Volksmedizin und im Aberglauben.


Es gibt Berichte aus dem alten Rom, nach denen sich die Zuschauer im Kolosseum nach den Kämpfen auf sterbende Gladiatoren gestürzt haben, um ihr Blut zu schlürfen. Denn schon in der Antike galt frisches Menschenblut als das beste Mittel gegen die „Heilige Krankheit“ (Epilepsie, „Fallsucht“). Eine „Behandlung“, die noch im 19. Jahrhundert mit behördlicher Genehmigung praktiziert wurde. Diese „Blut-Therapie“ beschreibt auch der römische Naturforscher Plinius (23 bis 79 n. Chr.): „So trinken Fallsüchtige sogar das Blut von Fechtern, gleichsam aus lebendigen Bechern…Sie halten es für das wirksamste Mittel, das Blut, noch warm, noch wallend, aus dem Menschen selbst und so zugleich den Lebensodem selbst aus dem Munde der Wunde zu schlürfen.“ (1) Warum genoss Blut – besonders Menschenblut – früher als Heil- und Zaubermittel eine besondere Wertschätzung? Wahrscheinlich weil die Menschen beobachtet hatten, dass eine starke Blutung zum Tod führen kann. Deshalb galt Blut in vergangenen Zeiten als Träger des Lebens bzw. verkörperte die Lebenskraft schlechthin. Schon in der Bibel, 3. Buch Moses, Kapitel 17, Vers 11 steht geschrieben: „Die Lebenskraft des Fleisches sitzt nämlich im Blut. Dieses Blut habe ich euch gegeben…..“ Außerdem wird den Juden der Blutgenuss ausdrücklich verboten.

„Reiße einer Schwalbe den Kopf ab…“!

Wenn Blut das den Körper belebende Prinzip darstellt, dann muss es auch stark heilende Eigenschaften besitzen, so schlussfolgerte man damals. Schon der in römischen Diensten stehende Militärarzt Dioskurides (1. Jahrhundert n. Chr.) hebt die Heilwirkungen verschiedener Blutarten hervor. So soll das Blut von Ente, Lamm und Gans den Antidota (Mittel gegen Vergiftungen) beigemischt werden. Schwalbenblut war seit der Antike ein beliebtes Mittel gegen verschiedene Erkrankungen. Bei Augenkrankheiten und frischen Augenwunden wurde es laut Dioskurides auf die Augen aufgetragen. Und bei Mandelentzündung empfiehlt das sechste und siebente Buch Moses: „Reiße einer Schwalbe den Kopf ab, fange das Blut auf, mische Weihrauch dazu, reibe es zusammen bis es dick wird, mache bohnengroße Kügelchen daraus und gib dem Patienten drei Tage nacheinander ein.“ (2) Außerdem sollte Schwalbenblut die „Blutflüsse“ aus dem Gehirn aufhalten.

Die Germanen schätzten Ochsenblut mit Wein und Honig vermischt als „Kraft-Trunk“. Bei Fußleiden wurden die entzündeten Stellen mit Taubenblut eingerieben. Das galt auch für die weit verbreitete Gicht (Podagra). Hierzu wurde das Blut aus dem angehackten Flügel einer jungen, schwarzen Taube entnommen. Wenn man bei Sonnenbrand und Leberflecken die Haut mit warmem Hasenblut einreibt, heilen diese schnell ab. Und das Blut von der Landschildkröte getrunken, hilft ebenfalls gegen die „Heilige Krankheit“. Bei dieser geheimnisvollen Krankheit wurde bis in die frühe Neuzeit auch ein Trunk aus Eselsblut empfohlen. Katzenblut beseitigt Fieber! Dazu muss man einer schwarzen Katze ein Loch ins Ohr schneiden, drei Tropfen Blut auf Brot fallen lassen und dies essen. Jäger tranken das noch warme Blut der Gämsen als Mittel gegen Schwäche, Schwindel und Durchfall. In Süddeutschland (Bayern, Schwaben), wo der Kropf häufig auftrat, war folgendes Mittel üblich: Man trug ein in das warme Blut einer Spitzmaus getauchtes Band um den Hals, damit der Kropf verschwindet.

Menstrualblut als Heil- und Liebesmittel

Es gibt eine Vielzahl von Berichten über die Anwendung von Menstrualblut als Aphrodisiakum. Da man sich die Menstruation früher nicht erklären konnte, wurde die „monatlicheReinigung“ der Frau lange mit dem Mantel des Mystischen umhüllt. Die Frau galt in dieser Zeit als „unrein“. Für einige Völker – wie den Germanen – war das Menstrualblut giftig. Doch in den meisten Kulturkreisen wurde dieses Blut als Heil- und Zaubermittel sehr geschätzt. Häufig wurde es bei Hautkrankheiten oder als Aphrodisiakum (Liebe erzeugendes Mittel) eingesetzt. So schreibt der Araber Zakarija bin Muhammed al Oazwini (gest. 1283): „Das Blut der Menstruation, wenn mit ihm der Biss eines tollen Hundes bestrichen wird, heilt ihn und ebenso knotigen Aussatz (Lepra) … Das Blut der Menstruation einer Jungfrau hilft gegen den weißen Flecken auf der Pupille (Hornhautflecke), wenn man es als Augensalbe verwendet.“ (3) Außerdem lindert das warme Menstrualblut einer Jungfrau, die Schmerzen, wenn man es auf die „gichtischen Glieder“ aufträgt. Ein mit diesem Blut beflecktes Hemd besitzt sogar magische Kräfte: Es macht unverwundbar gegen Hieb- und Stichverletzungen und löscht, in die Flammen geworfen, jedes Feuer. Die heilkundige Nonne Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) empfiehlt Bäder mit Menstrualblut gegen den damals weit verbreiteten Aussatz (Lepra). Außerdem bestrich man Feuermale, Leberflecken und Warzen mit frischem Menstrualblut. Und um die Krätze zu heilen, soll man ein mit Menstrualblut beflecktes Hemd drei Tage tragen. In Europa und in Nordafrika ist die Anwendung von Menstrualblut als Aphrodisiakum weit verbreitet. Allein oder mit etwas eigenem Schweiß versetzt, wird die Mischung mit einem Getränk dem Mann gegeben, dessen Zuneigung die Frau erringen oder erhalten will. Ein Brauch, der bis ins 19. Jahrhundert praktiziert wurde. So wurde bei einem Ehescheidungsprozess im Jahr 1885 vor dem Landesgericht Kolmar bekannt, dass die Frau ihrem Ehemann, einem Landwirt, mehrere Tropfen Menstruationsblut in den Kaffee getan hat, um sich seine Liebe zu erhalten. Und zum Schluss noch ein Rezept für den Mann: Wenn Dich eine Frau so verzaubert hat, dass Du keine andere mehr magst, nimm Bocksblut und schmier es auf die Hoden, „so wirst Du wieder recht.“

Frisches Menschenblut für die Apotheke

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Menschenblut als Talisman

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Übertragung von Lämmerblut

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Literatur:
(1) Plinius, G., Sec.: Naturalis historiae libri 37, edition J. Sillig, Lips., 1836
(2) Bauer, W.: Das sechste und siebente Buch Mosis, sein wahrer Wert und was das Volk darin sucht. Karin – Kramer Verlag, Berlin 1996
(3) Fabich, F.: Bauernmedizin, Rosenheimer Verlagshaus, Rosenheim 1991
(4) Most, G., F.: Encyklopädie der Volksmedicin, Neuauflage der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1973
(5) Grmek, M., D.: Die Geschichte des medizinischen Denkens, Verlag C.H. Beck, München 1996
(6) Mitteilung des Oberstaatsanwaltes Woytasch, Marienwerder, August 1892

Anschrift des Verfassers:
Ernst-Albert Meyer
Fachapotheker für Offizin-Pharmazie und Medizin-Journalist
Oldendorfer Str. 44
31840 Hessisch Oldendorf



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Naturheilpraxis 12/2013